Johanna Sebauer las über "Das Gurkerl"

Angst auf Urlaub und ein Gurkerl am letzten Bachmann-Lesetag

Samstag, 29. Juni 2024 | 12:06 Uhr

Von: apa

Der in Berlin lebende Schweizer Semi Eschamp hat am Samstagvormittag mit seinem Text “Ist Realität selbst da, wo sie nicht hingehört?” den letzten Tag des Wettlesens um den 48. Ingeborg-Bachmann-Preis eröffnet. Seine fantastische Geschichte begeisterte die Jury allerdings kaum. Mit “Das Gurkerl” legte es die in Hamburg lebende Österreicherin Johanna Sebauer anschließend humoristisch an und darf sich nach viel Jury-Lob als eine der Favoritinnen für die Preisverleihung fühlen.

In Eschamps Text hat ein Buch ein Eigenleben, ächzt, probiert zu fliegen oder seine Seiten zusammenzupressen, damit es nicht gelesen werden kann. Ein Kunde namens René Maria Petersen und die Buchhändlerin Maria Petra Renévski versuchen, damit möglichst selbstverständlich umzugehen. Der in mehrere Abschnitte gegliederte Text birgt aber auch weitere Überraschungen, etwa die Angst auf Urlaub, einen Traum, der beim Aufwachen abgestreift und sorgsam zusammengelegt wird, oder eine aufgeregt zappelnde Zeitung. Am Ende bucht Petersen eine per Anzeige angebotene “Reise in die Realität”.

“Eine spekulative Bewegung, die von einem Begriff zum nächsten geht”, sah Philipp Tingler und fand das “mal mehr, mal weniger gelungen”. Insgesamt habe er “einen zwiespältigen Eindruck”, ein Urteil, dem auch Mithu Sanyal, Klaus Kastberger und Thomas Strässle beipflichten konnten: “Ein klassischer fantastischer Text”, so Strässle, der aber auch “komische Wendungen” in ihm fand. Laura de Weck, die den Text eingeladen hatte, empfahl eine Lektüre wie bei einem Museumsrundgang. Dazu hatten ihre Jury-Kollegen und -Kolleginnen jedoch mehrheitlich keine Lust.

Johanna Sebauer hatte schon in ihrem Porträt-Video auf ihr Thema aufmerksam gemacht und auch ein Gurkenglas für das Lesepult mitgebracht. “Das Gurkerl” führt mitten in die Medienwelt und in das Sommerloch, das ein Journalist, dem bei der Jause Essigwasser eines Gewürzgurkenglases in die Augen kommt, mit einem medialen Feldzug gegen die eingelegte Gurke füllt. Heutige Mechanismen einer künstlich geschürten Aufregung werden dabei auf satirische Weise deutlich gemacht.

“Ein wahnsinnig gut geschriebener Text!”, begeisterte sich Mithu Sanyal. Es sei “ein hochriskantes Unterfangen hier mit einem Text anzutreten, der so auf Humor und Effekt getrimmt ist”, fand Mara Delius. Das Risiko habe sich gelohnt, denn Sebauer habe “einen brillanten und hochkomischen Text” vorgelegt, “extrem elegant, extrem geschickt komponiert”. Auch Strässle war eingenommen und lobte vor allem die Austriazismen, die eine Beschimpfungsvirtuosität erkennen ließen. Auch Tingler fand die Geschichte “überaus gelungen und die sprachliche Gestaltung überaus gekonnt”. “Der Text ist ganz deutlich!”, sagte Brigitte Schwens-Harrant – und meinte das positiv, denn Satire müsse deutlich sein. Kastberger, der “Das Gurkerl” eingeladen hatte, hatte sich schon mit seinem gewählten Outfit als Fan geoutet: Sein T-Shirt wurde von einem gezeichneten Gurkerl geschmückt. Auch das Publikum fand “Das Gurkerl” so bekömmlich, dass Sebauer sich auch Chancen auf den morgen vergebenen Publikumspreis ausrechnen darf.

Nach der Mittagspause machen Miedya Mahmod und die in Wien lebende slowenische Musikerin und Autorin Tamara Štajner den Abschluss im Lesereigen. Danach muss die siebenköpfige Jury zu einem Urteil kommen. Morgen um 11 Uhr gehen dann die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt mit der Preisverleihung zu Ende.

(S E R V I C E – https://bachmannpreis.orf.at/)

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