Von: mk
Bozen – Jedes Jahr sterben in Europa rund hundert Menschen unter Schneelawinen, wie die Zahlen des europäischen Lawinenwarndienstes zeigen. Einer der Hauptgründe ist, dass Verschüttete – eingeschlossen im Schnee – zu wenig Sauerstoff zur Verfügung haben und ersticken. Ein norwegisches Startup-Unternehmen hat nun ein Gerät entwickelt, das Lawinenverschütteten dabei helfen soll länger zu überleben, indem es mehr als eine Stunde lang kontinuierlich Frischluft in die Nähe der Atemwege pumpt. Und es hat sich damit an Eurac Research gewandt.
Das Bozner Forschungszentrum sollte das Gerät testen und mit einer wissenschaftlichen Studie untersuchen, ob es tatsächlich die Überlebenszeit unter einer Lawine maßgeblich verlängern kann, indem es ein schnelles Ersticken verhindert. Die Studie wird derzeit unabhängig vom Unternehmen und finanziert durch Eigenmittel sowie durch den Forschungspartner „MountainLab“ (Mountain Medicine Research Group, University of Bergen) durchgeführt. In den vergangenen Tagen fanden die Tests unter realistischen Bedingungen mit Versuchspersonen statt – sie ließen sich mit dem Gerät im Schnee eingraben. Mit den Ergebnissen rechnet das Forschungsteam noch vor dem Herbst.
Das Gerät ist in einen Rucksack integriert. Sobald es ausgelöst wird, pumpt es bis zu 90 Minuten lang fortlaufend sauerstoffreiche Luft über zwei Schläuche an den Schultergurten heraus in den Kopfbereich – ganze 150 Liter pro Minute. Es funktioniert über eine elektrische Luftpumpe, die sich eine besondere Eigenschaft des Schnees zunutze macht: Er kann sehr schwer sein, ist aber grundsätzlich porös und luftdurchlässig. Das Gerät nimmt also auch unter dem Schnee Luft auf – es saugt sie im Rückenbereich an – und pumpt sie von dort in den Gesichtsbereich. Durch die permanente Luftzufuhr steht in einer kleinen Atemhöhle trotz ausgeatmetem Kohlendioxid immer ausreichend Sauerstoff zur Verfügung, so das Prinzip des Geräts.
„Es gibt Unterschiede zwischen den verschiedenen Schneeeigenschaften. Daher führen wir in unserer Studie gleichzeitig Messungen am Schnee durch und testen, wie gut das Gerät unter verschiedenen Schneebedingungen funktioniert“, erklärt Giacomo Strapazzon, Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research und Verantwortlicher der Studie. Die Tests selbst sind nichts für Feiglinge.
„Wir hatten anfangs befürchtet, dass nur wenige bereit wären, sich für Forschungszwecke vollständig im Schnee eingraben zu lassen. Aber es haben sich rund hundert Leute gemeldet, von denen uns einige sogar mit Nachdruck baten, sie unbedingt auszuwählen“, erzählt der Mediziner Frederik Eisendle von Eurac Research.
Die rund 30 ausgewählten Versuchspersonen wurden in Vortests eingehend auf ihren Gesundheitszustand hin untersucht. Anfang März fanden dann die Tests im freien Gelände in den Dolomiten statt, wo die Probanden samt Gerät bäuchlings im Schnee eingegraben wurden. Das Forschungsteam überwachte dabei die Sauerstoffsättigung, verschiedene Herz-Kreislaufparameter, Atemfrequenz und Atemtiefe, die Schneedichte (in Zusammenarbeit mit dem Schweizer WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF) und die Verteilung von Sauerstoff und Kohlendioxid beim Atmen im Schnee. Zusätzlich wurden Tests durchgeführt, um etwa die Stressreaktion des Körpers zu messen.
Um einen Placeboeffekt auszuschließen, wurden die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt, ohne dass sie selbst wussten, zu welcher Gruppe sie gehörten: in eine Kontrollgruppe, der eine Attrappe des Geräts angeschnallt wurde (die nicht funktionierte, aber täuschend echte Geräusche machte), und in eine Gruppe, bei der das Gerät tatsächlich funktionierte. Die Probanden konnten den Test jederzeit per Signal mit einer Notschnur abbrechen. Ansonsten beendeten die Forscher den Test spätestens nach 60 Minuten oder früher, wenn die überwachte Sauerstoffsättigung unter 80 Prozent absank. Die Auswertung der Differenz in den gemessenen Zeiten zwischen den beiden Gruppen soll nun Rückschlüsse darauf geben, wie gut das Gerät funktioniert.
„Kein Gerät wird je garantieren können, dass es keine Lawinentoten mehr gibt. Am wichtigsten ist die Prävention durch die Lawinenwarndienste oder auch in Form von Ausbildung und Training und die Kameradenrettung. Das Gerät kann – wenn sich herausstellt, dass es gut funktioniert – dabei helfen, die Zeit zu verlängern, in der eine Rettung noch möglich ist“, unterstreicht der Notfallmediziner Hermann Brugger von Eurac Research.
Das Gerät namens Safeback SBX verfügt über die notwendigen technischen Zertifikate, um auf den Markt gehen zu können. „Das Unternehmen hat sich aus freien Stücken an uns gewandt, obwohl es damit ein Risiko eingeht. Wir werden die Ergebnisse in jedem Fall wissenschaftlich publizieren, auch wenn sich aufgrund unserer Studie herausstellen sollte, dass das Gerät nicht gut funktioniert“, schließt Giacomo Strapazzon.
Eine wertvolle Unterstützung erhielt das Forschungsteam von Eurac Research durch das Alpine Ausbildungszentrum der Finanzwacht (Scuola Alpina della Guardia di Finanza) von Predazzo.