Bestürzung nach Tod von Obdachlosem in Bozen

„Dieser Tod muss uns alle aufrütteln“

Samstag, 10. Dezember 2022 | 17:00 Uhr
Update

Von: mk

Bozen – Nach dem Tod des jungen Obdachlosen in Bozen fragen sich viele: Wie kann so etwas passieren? Wie berichtet, hatte der 20-jährige Ägypter die Nacht auf Freitag in einem behelfsmäßigen Unterschlupf in der Industriezone verbracht. Am nächsten Morgen ist er nicht mehr aufgewacht.

In der Früh schlugen Freunde des Obdachlosen Alarm. Obwohl ein Rettungswagen samt Notarzt zur Stelle in der Nähe des Bahnhofs beim Messegelände ausgerückt ist, kam jede Hilfe für den 20-Jährigen zu spät. Auch die Polizei stand im Einsatz. Der junge Mann ist in der Nacht erfroren.

Die Obdachlosenunterkünfte in Bozen sind schon lange überfüllt und in Meran gibt es nur 25 Plätze. Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung dürfen dort nicht schlafen. In Bozen gibt es derzeit nur für 185 Personen einen Schlafplatz. Über 200 Menschen, die auf der Straße leben, stehen auf der Warteliste und müssen die Nächte im Freien verbringen.

Die Stadtgemeinde Bozen hat immer wieder verlangt, dass auch andere Gemeinden Obdachlose aufnehmen und betreuen.

In der kommenden Woche soll wieder eine Kältefront durch Südtirol ziehen.

Muser: „Dieser Tod muss uns alle aufrütteln“

Zum tragischen und schockierenden Tod des jungen Mannes aus Ägypten sagt Bischof Ivo Muser, dass “uns dieser Tod aufrütteln muss”. Es gebe nur eine Antwort darauf, sagt Muser: “Nicht gleichgültig bleiben, nicht wegschauen, sich treffen lassen und nach gemeinsamen Lösungen suchen, dass so etwas nicht mehr geschieht.”

Die Stellungnahme von Bischof Ivo Muser im Wortlaut:

“Dieser Tod macht mich wie sicher viele Menschen in Bozen und in ganz Südtirol traurig – sehr traurig, betroffen und nachdenklich.

Ein junger Mann, fern der eigenen Heimat, seit kurzer Zeit in unserer Stadt, ausgestattet mit nur einer Decke stirbt den Erfrierungstod – mitten in unserer reichen Stadt. Ich kenne nicht seinen Namen und nicht seine Geschichte, ich weiß nicht, warum und mit welchen Hoffnungen, Erwartungen und Träumen er seine Heimat verlassen hat. Ich weiß nicht, ob er jemanden um Hilfe gebeten hat. Ich weiß nicht, wie lange er bereits unterwegs war, welche Strapazen, Erfahrungen und Enttäuschungen er hinter sich hat.

Besonders tragisch finde ich seinen Tod in diesen vorweihnachtlichen Tagen. Unsere Stadt und unser Land sind voll von Touristen; sie alle sind willkommen und sie alle bringen Geld. Für sie alle ist Platz. Für diesen jungen Mann aber findet sich kein Platz. Er stirbt einen einsamen und bitterkalten Tod.

Dieser tragische Tod sollte gewiss nicht instrumentalisiert werden. Dieses Ereignis ist viel zu traurig und zu beschämend, um damit polemisch auf andere zu zeigen. Aber dieser Tod muss uns alle aufrütteln, persönlich und alle Institutionen: Für solche Menschen ist in unserer Gesellschaft kein Platz, weil sie nicht vorgesehen, nicht erwünscht und nicht willkommen sind. Sie bringen nichts und mit ihnen kann man kein Geld verdienen. Sie stören nur – vor allem auch inmitten des vorweihnachtlichen Konsum- und Erlebnisbetriebes.

Es gibt nur eine Antwort: nicht gleichgültig bleiben, nicht wegschauen, sich treffen lassen und nach gemeinsamen Lösungen suchen, dass so etwas nicht mehr geschieht!

Ich danke allen, die gegen jede Form von Gleichgültigkeit das tun, was ihnen möglich ist. Ich danke allen, die ihren Beitrag leisten, dass unsere Gesellschaft menschlich ist – auch gegenüber den Fremden, den Anderen, den Nichtwillkommenen. Sie gehören zu uns – einfach weil sie Menschen sind.

Meine Trauer nehme ich hinein in mein Gebet für diesen jungen Mann, der mitten unter uns erfroren ist. Möge Gott ihn jetzt umgeben mit Wärme und Licht.”

Kritik von „Omas gegen Rechts“

Auch die “Omas gegen Rechts” nehmen zum Tod des jungen obdachlosen Stellung. Die Vereinigung beklagt in einem offenen Brief an die Landesregierung, den Bozner Stadtrat und den Bischof, wie es möglich ist, dass jemand in der reichen Provinz Bozen bei Minusgraden auf der Straße schlafen und sterben müsse.

Zum wiederholten Male habe die Stadt Bozen heuer die Behausungen der Obdachlosen am Eisackufer zwangsgeräumt und deren Zelte, Decken und Schlafsäcke weggeworfen, bemängelt die Vereinigung.

Den „Omas gegen Rechts“ zufolge gebe es genug leerstehende Gebäude von Land und Kirche, die für Menschen geöffnet werden könnten. „Wir warten auf Antwort – bevor wir ein zweites Kälteopfer beweinen müssen!“, erklärt die Vereinigung in einer Pressemitteilung.

Grüne und Vertreter der Linken haben am späten Nachmittag unterdessen einen Fackelzug in der Nähe der Flixbus-Haltestelle organisiert. Die Linke hat außerdem eine Anfrage im Parlament eingereicht.

Bezirk: Bozen