Von: apa
Der Biochemiker und ehemalige Wissenschaftsminister Hans Tuppy ist im Alter von 99 Jahren gestorben, wie das Bildungsministerium am Mittwoch in einer Aussendung bekannt gab. Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) würdigte Tuppy als “großartigen Denker und Visionär”. Am 22. Juli hätte der gebürtige Wiener seinen 100. Geburtstag gehabt, laut Parte ist er bereits am 24. April verstorben.
Tuppy absolvierte eine bemerkenswerte hochschulpolitische Karriere und hat als Forscher international reüssiert. Sein breites wissenschaftliches Oeuvre reichte von der Aufklärung der Insulin-Struktur bis zur Biochemie der Blutgruppensubstanzen. Tuppy hat als junger Wissenschafter an nobelpreiswürdigen Entwicklungen mitgewirkt und in der “österreichischen Universitätswüste” der 1950er-Jahre mit dem Institut für Biochemie der Uni Wien eine “kleine Oase” geschaffen, wie es der Biochemiker Gottfried Schatz einmal formuliert hat. Das österreichische Wissenschaftssystem hat er als Rektor der Universität Wien, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und als Minister mitgeprägt.
Exemplarisch für dieses überaus arbeitsreiche Leben könnte ein Satz aus der Nobelpreisrede von Frederick Sanger 1958 gelten, mit dem er die Mitarbeit des jungen österreichischen Nachwuchswissenschafters an der Aufklärung der Struktur des Insulins in Cambridge würdigte: “Tappy worked so hard.” Tuppy war unter der englischen Aussprache seines Namens in der internationalen Scientific Community bekannt geworden.
Am 22. Juli 1924 in Wien geboren, wuchs Tuppy in einer gutbürgerlichen Familie in Wien auf. Im Krieg kam er zum Arbeitsdienst, war aber aufgrund einer Verletzung bald nicht mehr kriegsdienstfähig. Er begann ein Chemiestudium, das er 1948 mit dem Doktorat abschloss.
Sein politisches Leben begann 1945, ein Jahr, das er “als Befreiung” empfand, wie er einmal gegenüber der APA erklärte. Nach dem Ende des Nazi-Regimes, das seinen Vater das Leben kostete – der Staatsanwalt wurde als Ankläger im Dollfuß-Prozess ermordet – konnte er “endlich etwas tun”.
Der Chemiestudent war Mitbegründer der Katholischen Hochschulgemeinde und der “Freien österreichischen Studentenschaft”, die später in die “Union Österreichischer Akademiker” überging. Schon damals regte sich sein Interesse an der Hochschulpolitik, doch die Wissenschaft hat ihn noch mehr gefesselt.
Nach seiner Promotion ging der damals 25-Jährige über Vermittlung des gebürtigen Österreichers und späteren Nobelpreisträgers Max Perutz an die Universität Cambridge (Großbritannien), wo er erstmals mit biochemischen Fragestellungen in Berührung kam. Unter Fred Sanger war er an der erstmaligen Aufklärung der Aminosäuresequenz eines Proteins, des Insulins, beteiligt. Dafür erhielt Sanger 1958 seinen ersten Nobelpreis.
Nach weiteren Ausbildungen am Carlsberg Laboratorium in Kopenhagen (Dänemark) kehrte Tuppy 1951 nach Österreich zurück und wurde Assistent am II. Chemischen Institut der Universität Wien. 1956 habilitierte er sich, wurde 1958 außerordentlicher Professor und 1963 Ordinarius am neu geschaffenen Lehrstuhl für Biochemie an der medizinischen Fakultät der Uni Wien.
Schon zuvor wollte das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim Tuppy die Forschungsleitung des Werks in Biberach (Deutschland) anvertrauen, doch der Wissenschafter wollte lieber an der Uni bleiben. Um das wissenschaftliche Potenzial von Tuppy dennoch zu nutzen, richtete das Unternehmen 1961 in Wien das Institut für Arzneimittelforschung ein. Er leitete das Institut auch kurze Zeit neben seiner Uni-Tätigkeit und bestimmte dessen inhaltliche Ausrichtung, etwa auf Interferone.
Wissenschaftlich spezialisierte sich Tuppy nicht sehr, sondern bearbeitete mehrere Themen gleichzeitig. Es sei typisch für ihn gewesen, “nicht nur auf eine Sache sehr konzentriert” gewesen zu sein.
Nach der Arbeit mit Sanger am Insulin entschlüsselte Tuppy in Wien die Struktur des als “Kuschelhormon” bezeichneten Oxytocin, es gelang ihm die enzymatische Umwandlung von Blutgruppensubstanzen oder die Entdeckung einer Gruppe von Neuraminsäurederivaten mit antiviraler Wirkung. Zudem wirkte er an der Entdeckung der DNA der Mitochondrien mit.
In den 1960er-Jahren engagierte sich Tuppy wieder vermehrt in hochschulpolitischen Fragen. In der vom damaligen ÖVP-Bundesparteiobmann Josef Klaus initiierten Vordenkerorganisation “Aktion 20” leitete er den Bereich Bildung und Wissenschaft und galt schon damals als Ministerkandidat.
Stufe um Stufe kletterte Tuppy dann die akademische Karriereleiter hinauf. 1970 bis 1972 war er Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1974 wurde er zum Präsidenten des 1967 gegründeten Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gewählt, eine Funktion, die er bis 1982 innehatte.
Es gelang Tuppy in der Projektförderung bis heute gültige internationale Standards einzuführen, konkret die Begutachtung von Förderungsanträgen durch ausländische Gutachter (“Peer-Review”). Das sei eine “radikale Änderung” gegenüber dem zuvor herrschenden “paternalistischen System gewesen, in dem man von den eigenen Leuten begutachtet wurde”, erinnerte sich Tuppy.
1983 wurde Tuppy für zwei Jahre zum Rektor der Uni Wien gewählt, gleichzeitig stand er der Rektorenkonferenz vor. 1985 folgte die Wahl zum Präsidenten der ÖAW, eine Funktion, die er 1987 frühzeitig aufgab, um dem Ruf der ÖVP auf den Posten des Wissenschaftsministers zu folgen. In seine Amtszeit fiel die Eröffnung des Instituts für molekulare Pathologie (IMP) durch Boehringer Ingelheim – der Höhepunkt einer Entwicklung, an deren Anfängen Tuppys international ausgezeichneter Ruf als Wissenschafter stand. Zwei Jahre später (1989) musste Tuppy im Zuge einer ÖVP-Regierungsumbildung den Ministersessel für Erhard Busek räumen.
Er zog sich wieder in den universitären Alltag zurück, bis er im Alter von 70 Jahren emeritierte. Doch auch danach bot er weiterhin Vorlesungen und Prüfungen an. Noch im Jahr 2022 leitete Tuppy eine Findungskommission, die die Wahl des neuen ÖAW-Präsidenten vorbereitet hat. Seine hohe Aktivität führte er einmal auf seine “positive Einstellung” zurück. Er gehöre zu denen, “die den deutschsprachigen Kulturpessimismus für ein Verhängnis halten”.
Geehrt wurde Tuppy mit vielen Ehrendoktoraten, dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1975), der Wilhelm-Exner-Medaille (1978) und dem Wittgensteinpreis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (2002). Die Uni Wien und die ÖAW haben zu seinen Ehren 2016 die “Hans Tuppy-Lectures” ins Leben gerufen. Dabei tragen hervorragende Wissenschafter vor, die einen bahnbrechenden Beitrag zu Biochemie oder Molekularbiologie geleistet haben.
Mit dem Ableben Tuppys verliert Österreich eine renommierte Forschungspersönlichkeit, die auch das Wissenschaftssystem des Landes über viele Jahrzehnte maßgeblich mitprägte.