Von: apa
Die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger haben maßgeblich dazu beigetragen, die dreidimensionale Struktur von Proteinen, den Bausteinen des Lebens, vorherzusagen und völlig neue Proteine zu bauen. Für das Nobelpreis-Komitee ist das eine “schwindelerregende Entwicklung zum Wohle der Menschheit”, für die es zur einen Hälfte den US-Forscher David Baker (62) und zur anderen Hälfte den Briten Demis Hassabis (48) und seinen 1985 geborenen US-Kollegen John Jumper auszeichnet.
Wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm bekannt gab, erhält der Biochemiker David Baker von der University of Washington (USA) die Auszeichnung “für computergestütztes Proteindesign”. Der Mitbegründer und Chef des in London ansässigen, 2014 von Google übernommenen Unternehmens “DeepMind”, Demis Hassabis, und der dort als Senior Scientist tätige John Jumper werden “für die Vorhersage von Proteinstrukturen” geehrt. “Beide Entdeckungen eröffnen enorme Möglichkeiten”, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie, Heiner Linke.
Proteine (Eiweiße) bestehen aus verschiedenen Aminosäuren, die in langen Ketten miteinander verbunden sind. Als molekulare Werkzeuge kontrollieren und steuern sie die unterschiedlichsten chemischen Reaktionen in Lebewesen, sie fungieren als Hormone, Signalstoffe, Antikörper und Bausteine für verschiedene Gewebe. Entscheidend für die Funktion eines Proteins ist seine dreidimensionale Struktur, zu der sich die Aminosäure-Stränge zusammenfalten. Diese Struktur war aber lange Zeit nur sehr schwierig und aufwendig mittels Röntgenkristallographie zu entschlüsseln.
Hassabis und Jumper haben das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Modell “AlphaFold2” entwickelt, mit dem sich die komplexen Strukturen von Proteinen vorhersagen lassen. Das mittlerweile breit genutzte Modell reduziert die Zeit, die Forscher normalerweise für die Bestimmung der Proteinstruktur brauchen, “von Monaten oder Jahren auf Stunden oder Minuten”, wie es 2022 bei der Verleihung des Breakthrough-Preises an die beiden Wissenschafter hieß. “Neben einer Vielzahl wissenschaftlicher Anwendungen können Forscher nun Antibiotikaresistenzen besser verstehen und Bilder von Enzymen erstellen, die Plastik zersetzen können”, betonte das Nobel-Komitee.
Baker sei “das fast unmögliche Kunststück gelungen, völlig neue Arten von Proteinen zu bauen”, betonte das Nobelpreis-Komitee. Er schaffte es mit der von ihm Ende der 1990er Jahre entwickelten Software “Rosetta” 2003, aus Aminosäuren ein neues Protein zu entwerfen, das sich von allen anderen Proteinen unterscheidet. Die Software konnte eine Proteinstruktur anhand vorhandener Aminosäuren vorhersagen – und umgekehrt anhand einer gewünschten Proteinstruktur die dafür notwendige Zusammensetzung ermitteln. Bakers Team entwarf zum Beispiel ein Gen für eine Abfolge von 93 Aminosäuren und schleuste es in Bakterien ein, die daraufhin tatsächlich dieses Protein produzierten. “Seitdem hat seine Forschungsgruppe eine phantasievolle Proteinkreation nach der anderen hervorgebracht, darunter Proteine, die als Arzneimittel, Impfstoffe, Nanomaterialien und winzige Sensoren verwendet werden können”, hieß es seitens des Nobelpreis-Komitees.
Hassabis galt als Schach-Wunderkind und programmierte schon als Jugendlicher Computerspiele, wandte sich dann aber der KI zu. 2010 gründete er das Unternehmen DeepMind mit, das KI-Modelle für Brettspiele wie Go oder Schach entwickelte und 2014 an Google verkauft wurde. Jumper wurde heuer vom Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen in der KI-Welt gezählt.
Baker sagte, “ich fühle mich zutiefst geehrt”, als er telefonisch zur Preisbekanntgabe zugeschaltet wurde. Der berühmte Anruf aus Stockholm habe ihn geweckt, seine Frau habe vor Freude so laut zu schreien begonnen, dass er den Anrufer nicht gut habe verstehen können, sagte er. “Es war sehr, sehr aufregend.”
Für David Haselbach vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien kam mit AlphaFold “ein absoluter wissenschaftlicher Durchbruch, mit kaum vergleichbarer Tragweite”, die KI habe Proteinstrukturen den gesamten Lebenswissenschaften zugänglich gemacht, sagte er zur APA. Als “grandios” und auch “eine Auszeichnung für das ganze wissenschaftliche Feld” bezeichnete Florian Praetorius vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg (NÖ) die Preisvergabe an Baker. Er hat von 2018 bis Anfang dieses Jahres in dessen Labor an der University of Washington als Post-Doc geforscht, begeistert hätten ihn Bakers “Kreativität und absolute Offenheit, sowie die vollständige Abwesenheit von Stolz und Sturheit”.
Mit der Zuerkennung des Chemie-Nobelpreises gehen heuer alle wissenschaftlichen Auszeichnungen an Männer. In der Medizin werden Victor Ambros und Gary Ruvkun, in der Physik John Hopfield und Geoffrey Hinton geehrt. Die Preise sind je mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 970.000 Euro) dotiert. Übergeben werden sie traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.
(S E R V I C E – https://www.nobelprize.org/)
Aktuell sind 2 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen