Von: mk
Aldein – Die Bletterbachschlucht, ein UNESCO-Welterbe, ist einzigartig, nicht nur für Geologen, Naturliebhaber und Touristen: In den letzten Monaten hat es immer wieder auch Forschungsteams aus der Notfallmedizin, Bergrettung, Drohnen- und Elektrotechnik hierher verschlagen, um Rettungseinsätze zu simulieren. Sie gingen im Zuge des interregionalen Forschungsprojekts START der Frage nach, ob Drohnen bei der Lokalisierung und Erstversorgung von Verletzten in schwer zugänglichem Gelände helfen können.
24 Einsätze hat das Team von Herbst 2020 bis Frühsommer 2021 an unterschiedlichen Orten in der Bletterbachschlucht simuliert – etwa im Geröllfeld am Ende der Schlucht oder am Fuße eines Steilhangs am Eingang der Schlucht. Es handelt sich um Orte, an denen sich laut Unfallberichten der Südtiroler Bergrettung in den vergangenen zehn Jahren tatsächlich Unfälle – Schulterläsionen, Knochenbrüche, Platzwunden – ereignet hatten. Die Voraussetzungen in der Schlucht sind ideal, um den Einsatz von Drohnen bei der Auffindung und Erstversorgung von Verletzten in schwer zugänglichem Gelände zu testen, wie Michiel van Veelen, Notfallmediziner von Eurac Research, erklärt: „Hier ist es besonders schwierig, Verletzte zu lokalisieren. Das Gelände ist schwer zugänglich – und zudem haben Mobiltelefone hier keinen Empfang.“
Während der Einsätze wurden die Vitalfunktionen der Mannschaft aufgezeichnet: Herz- und Atemfrequenz, Hauttemperatur und EKG-Kurve. „Die Daten liefern uns Auskunft über den Stress, dem alle ausgesetzt sind“, erklärt Giacomo Strapazzon, ebenfalls Notfallmediziner von Eurac Research. „Wir wollen wissen, ob drohnengestützte Rettungseinsätze den Beteiligten ein größeres, auch physisch wahrgenommenes Gefühl der Sicherheit geben.“ Zur psychischen Bewertung mussten die Bergretter vor und nach erfolgtem Einsatz einen Fragebogen ausfüllen.
Die Drohne kann neben der Kamera auch ein kleines Lastenpaket transportieren mit Funkgerät, einer Thermodecke, Masken, Handschuhen und Medikamenten für die Erstversorgung. Das Paket wird nahe am Unfallort abgeworfen. Als große Vorteile eines Drohneneinsatzes nennt Giacomo Strapazzon zum einen die deutlich schnellere Lokalisierung der Unfallstelle, zum anderen den Einsatz von Telemedizin. Denn wenn das Paket erst einmal bei der verletzten Person angekommen ist, können die Begleiter schon mit der Erstversorgung beginnen. Anweisungen erhalten sie von den Bergrettern über das Funkgerät. Selbst bei leichteren Verletzungen kann die Telemedizin entscheidend sein. Strapazzon: „Die Bletterbachschlucht ist auch im Sommer um einige Grad kälter als die umliegende Durchschnittstemperatur. Da kann ohne Thermodecke sehr schnell eine gefährliche Unterkühlung eintreten.“
In den nächsten Monaten gilt es, Datensätze auszuwerten, um Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wie lange dauerte es jeweils bis zur Auffindung, bis zur telemedizinischen Erstversorgung? Welchen Einfluss hat die verstrichene Zeit auf die Vitalfunktionen?
Bei dem Projekt geht es aber nicht nur um notfallmedizinische Forschung und darum, Bergrettungseinsätze zu verbessern: Die beteiligten Elektroingenieure hoffen auch, die Sensoristik von Rettungsdrohnen weiterzuentwickeln. Abraham Mejia-Aguilar und Giulio Bianco von Eurac Research arbeiten an einem Sensor, ähnlich jenen, die bei Lawineneinsätzen verwendet werden, und nutzen dabei die Drohne als Plattform. Sie sind überzeugt, dass in den nächsten Jahren durch Drohnen Verunfallte schneller geortet werden, damit Material transportiert werden kann und die Telemedizin vorangetrieben wird.
Das Interreg-Projekt START (Smart Test for Alpine Rescue Technology) fördert die Zusammenarbeit der grenznahen Ortsstellen der Bergrettungen Tirol, Südtirol, Belluno und Kärnten. Bei den Einsätzen werden neue Technologien und Techniken der Bergrettung verglichen und analysiert, mit dem Ziel, internationale Notfalleinsätze laufend zu verbessern. Bei den START-Testreihen in der Bletterbachschlucht haben mitgewirkt: Eurac Research, Bergrettung Südtirol, Geopark Bletterbachschlucht, NOI Techpark und die Firma MAVtech.