Von: apa
Sie ist das große Prestige-Projekt von Europas Weltraumagentur ESA: Am Dienstag (9. Juli) soll der Start der neuen Schwerlastrakete Ariane 6 vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guyana um 15.00 Uhr Ortszeit (20.00 MESZ) aus erfolgen. Ob der Termin hält, ist erfahrungsgemäß und letztlich auch wetterbedingt ungewiss. Er markiert jedenfalls einen hoffnungsbeladenen Moment in einer zuletzt eher von Tiefschlägen geprägten Geschichte der europäischen Raumfahrt.
Ariane 6 – gepriesen als leistungsstarke, vielseitige und skalierbare Trägerrakete – ist das Nachfolgemodell von Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Die neue Rakete soll Europas Raumfahrt wettbewerbsfähiger machen und einen autonomen Zugang zum Weltraum gewährleisten. Bereits jetzt gibt es Aufträge für 30 Flüge mit der Rakete, wie es zuletzt von der ESA hieß. Noch vor Jahresende soll, so der Plan, der erste kommerzielle Flug einer Ariane 6 stattfinden.
Eigentlich sollte sie bereits Ende 2020 erstmals abheben. Die Unwegsamkeiten eines derartigen Großprojektes, an dem 13 europäische Länder, darunter auch Österreich, beteiligt sind, trugen laut ESA zur Verspätung bei. Schuld daran war auch die Corona-Pandemie. Nun hofft man also auf den erfolgreichen Start: Letzte Tests vor dem Erstflug der Rakete, inklusive der finalen Generalprobe (“wet dress rehearsal”), bei der Betankung und Countdown bis wenige Sekunden vor dem tatsächlichen Abheben der Rakete erprobt wurden – der Ablauf wurde dann kurz vor Launch natürlich abgebrochen -, verliefen laut der europäischen Weltraumbehörde zufriedenstellend.
Für den 9. Juli ist ein dreistündiges Startfenster (bis 18.00 Uhr Ortszeit) einkalkuliert, um etwa auch auf Wetterverschiebungen reagieren zu können. Die Flugdauer der Rakete wurde im Vorfeld bei vollem Erfolg mit zwei Stunden und 51 Minuten angegeben.
Der Startschuss für den Bau der Rakete erfolgte bereits im Jahr 2014 mit einem Beschluss im ESA-Ministerrat. Den “unabhängigen Zugang zum All” hatte der aus Österreich stammende ESA-Chef Josef Aschbacher immer wieder als “höchste Priorität für Europa” bezeichnet. Doch nach dem Letztflug einer Ariane 5 im vergangenen Juli hatte man keine eigenen Mittel mehr, um große Satelliten ins All zu bringen. Probleme gibt es auch bei dem neuen Vehikel für leichtere Satelliten: Nach dem Fehlstart der Vega-C bei ihrem ersten kommerziellen Flug im Dezember 2022 blieb die Rakete am Boden. Sie soll nun Mitte November wieder ins All fliegen. Auf Ariane 6 lasten also alle Hoffnungen, die Krise im Trägerraketensektor zu beenden.
Je nachdem, wie viel Energie für den Transport der Satelliten ins All benötigt wird, gibt es Ariane 6 in einer Version mit zwei Boostern (Ariane 62) für eine Nutzlast von bis zu fünf Tonnen oder mit vier Boostern (Ariane 64) für eine Nutzlast bis zu 11,5 Tonnen. Die Booster sind maßgeblich für den Startschub verantwortlich, mit einer solchen Vorrichtung kann laut der von der ESA mit dem Raketenbau beauftragten Ariane Group ein Schub von über 4.500 Kilonewton erreicht werden – die 30-fache Schubkraft eines Düsenjägers. Die Höhe der Rakete beträgt bis zu rund 60 Meter, ihr Gewicht mit der maximalen Nutzlast etwa 900 Tonnen. Flüssigsauerstoff und Flüssigwasserstoff dienen dem Hauptstufentriebwerk der Rakete als Treibstoff.
In Ariane 6 steckt auch Know-how und Technologie aus Österreich. So lieferte der größte Weltraumzulieferer des Landes, Beyond Gravity Austria (vormals RUAG Space), mit Hauptsitz in Wien die Hochtemperatur-Thermalisolation für Raketenantriebe des neuen Systems sowie einen Steuermechanismus (“Kardan-Mechanismus”) für die Raketenoberstufe, der für die genaue Ausrichtung des Triebwerks sorgt. Die Spezialisolation wurde im Unternehmens-Werk in Berndorf im Triestingtal (NÖ) produziert. Laut Beyond Gravity Austria ist die bereitgestellte Isolation – nach dem bewährten Einsatz bei Satelliten – nun erstmals auf einer Trägerrakete im Einsatz.
Das Wiener Hightech-Unternehmen TTTech hat an der Entwicklung des Datennetzwerks der Trägerrakete, quasi ihrem Nervensystem, mitgearbeitet und Komponenten für die Bordelektronik geliefert. Die Chips des Unternehmens ermöglichen es, sicherheitskritische Navigations- und Steuerungsdaten sowie weniger kritische Überwachungs- oder Videodaten zuverlässig und mit hoher Geschwindigkeit in ein und demselben Netzwerk zu übertragen.
Test-Fuchs Aerospace Systems aus Groß-Siegharts (NÖ) entwickelte und lieferte bereits Tankbedrückungsventile für Ariane 5 und entwickelte nun für Ariane 6 verschiedene Wasserstoff- und Sauerstoff-Rückschlagventile. Das Unternehmen ist zudem Produktionspartner für Elektroventile und Ventilplatinen, wie es gegenüber der APA hieß.
Das steirische Unternehmen Hage Sondermaschinenbau wiederum fertigte im Auftrag von MT Aerospace eine 50 Meter lange Anlage an, die zur Bearbeitung von Verschlusskappen, sogenannte Bulkheads, für Ariane 6 zum Einsatz kam. Über die genutzte Technologie des “Friction Stir Weldings” (auf Deutsch: Rührreibschweißen) konnten die Teile für das Tanksystem sehr präzise bearbeitet und mit besonders widerstandsfähigen Schweißnähten versehen werden.
Laut der Forschungsförderungsgesellschaft FFG waren zudem auch das Stahlbearbeitungsunternehmen ISW mit Tankabdeckung und – Flansch sowie das Edelstahlunternehmen Böhler mit Zünder-Gehäuse und -Abdeckung für den Starter der Turbopumpe des Vinci-Raketentriebwerks der oberen Stufe beteiligt.
Mit jeder Ariane 6 falle ein Umsatz für die österreichischen Firmen von etwa 500.000 Euro an, hieß es seitens der FFG gegenüber der APA. Bei 30 bisher verkauften Starts bedeute dies einen Umsatz von 15 Millionen Euro für die heimische Industrie. Dies übertreffe damit auch die entsprechenden österreichischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die mit etwa zwölf Millionen Euro beziffert wurden und vom Klimaministerium über die ESA für die Firmen in Österreich bereitgestellt wurden.
Am 9. Juli wird eine Ariane 62 mit verschiedenen Passagieren, also kleineren Satelliten und Nutzlasten, zusätzlich zu einem Last-Dummy, an Bord bestückt sein, von denen einige auch auf einer Umlaufbahn in etwa 600 Kilometern Höhe ausgesetzt werden sollen. Die ESA wird den Erstflug leiten. Für die nachfolgenden Flüge ist Arianespace der Startdienstleister, der dann die Ariane-6-Trägerrakete für institutionelle und kommerzielle Kunden vermarktet und betreibt.
Falls es am Starttag nicht klappen sollte, “kommt es darauf an, ob wir zu dem Zeitpunkt schon betankt haben oder ob wir nicht betankt haben”, sagte Tina Büchner da Costa, ESA-System-Ingenieurin für das Ariane 6-Trägersystem, bei einem Medien-Briefing im Vorfeld: “Wenn wir schon betankt haben, bräuchten wir wahrscheinlich zwei Tage, um wieder startklar zu sein.” Ansonsten könne man wohl den nächsten Tag anvisieren.
(S E R V I C E – Ariane 6 im Überblick der ESA: https://www.esa.int)