Von: apa
Eine qualifizierte Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten hat sich für eine Herabsenkung des Schutzstatus von Wölfen ausgesprochen. Das hat die EU-Kommission am Mittwoch bestätigt. Bereits am Donnerstag beim EU-Wettbewerbsrat in Brüssel soll die Entscheidung formal von Ministern der 27 EU-Staaten abgesegnet werden. Die heutige Abstimmung erfolgte im EU-Gremium der ständigen Vertreter (EU-Diplomaten; Anm.).
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) hatte sich in der Vergangenheit immer wieder für diesen Schritt ausgesprochen. “Fakt ist, der Wolf ist in Europa nicht mehr vom Aussterben bedroht und vermehrt sich mittlerweile pro Jahr um bis zu 30 Prozent”, sagte Totschnig laut einer Aussendung vom Mittwoch. “Das Problem mit dem Wolf geht weit über Risse von Tieren hinaus, denn der Wolf verliert zunehmend die Scheu vor dem Menschen.” Er sprach von einem “Meilenstein”.
Formal fällt die Entscheidung in den Bereich der EU-Umweltminister. Hier hatte es lange keine qualifizierte Mehrheit (15 Länder, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten; Anm.) für ein Herabsenken des Schutzstatus gegeben. Auch Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) sprach sich dagegen aus, war in diesem Fall aber an eine einheitliche Länderstellungnahme gebunden, in der sich alle Bundesländer für ein Herabsenken aussprachen.
Der WWF sprach am Dienstag von einem “populistischen Angriff auf den Artenschutz”, wie WWF-Experte Christian Pichler sagte. “Tatsächlich notwendig wäre eine gut geplante Herdenschutz-Offensive”, so Pichler. Das geplante Vorgehen sei wissenschaftlich nicht gedeckt und könne insgesamt kontraproduktiv wirken. “Als heimische Wildtiere und Beutegreifer sind Wölfe ein natürlicher Beitrag zur Artenvielfalt. Sie verhindern die Ausbreitung von Krankheiten und stärken im Idealfall auch die wichtigen Schutzwälder, weil sie zu hohe Wildbestände reduzieren können.”
Die Umweltschutzorganisation Tierschutz Austria appellierte in einer ersten Reaktion an Gewessler, sich gegen die heutige Entscheidung zu stellen. “Eine Schwächung des Artenschutzes wird verheerende Folgen für unsere heimische Fauna haben und auch den Zustand unserer Schutzwälder sowie unsere Widerstandskraft gegen klimabedingte Extremwetterereignisse weiter verschlechtern”, hieß es in einem Statement der Organisation.
Erwartungsgemäß gegenteilig fiel die Reaktion des Bauernbundes aus. Gewessler müsse im Ministerrat für eine Senkung des Schutzstatus stimmen, erklärte Bauernbund-Präsident und ÖVP-Nationalratsabgeordneter Georg Strasser am Mittwoch. “Eine einheitliche Stellungnahme der Bundesländer – in deren Kompetenz der Naturschutz liegt – ist für Gewessler rechtlich bindend”, nahm Strasser die Ministerin in die Pflicht. Wölfe würden eine massive Gefährdung der Tierhaltung in Österreich darstellen und müssten daher langfristig bejagt werden können, erklärte Strasser. “Bäuerinnen und Bauern überlegen sich, ob sie ihre Tiere noch auf Almen auftreiben, da die Bedrohung durch das Großraubtier Wolf omnipräsent ist. Davon ist die Landwirtschaft nicht alleine betroffen, sondern ebenso alle nachgelagerten Sektoren.”
Die Mitgliedstaaten hätten den nächsten Schritt “für diese Wolfs-Kurskorrektur gemacht”, sagte Alexander Bernhuber, Agrar- und Umweltsprecher der ÖVP im Europäischen Parlament. “Auf österreichischen Druck hin haben die EU-Mitgliedstaaten heute den Weg für die Herabsetzung des Schutzstatus des Wolfs frei gemacht”, erklärte auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ebenfalls ÖVP).
Deutlich positiv reagierte auch die FPÖ. “Es war höchst an der Zeit, den Schutzstatus des Wolfes zu ändern, um die heimische Almwirtschaft zu schützen”, zeigte sich der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider erfreut. Ähnliche Töne schlug die Landwirtschaftskammer an. Die Herabstufung des Schutzstatus sei “nicht nur logisch, sondern überfällig”, sagte Präsident Josef Moosbrugger. Die über Jahrhunderte gewachsene Alm- und Weidewirtschaft samt der davon abhängenden Lebensvielfalt sei heutzutage viel stärker gefährdet als der Wolf, so Moosbrugger.
Der SPÖ-EU-Abgeordnete Günther Sidl störte sich hingegen grundlegend an der Entscheidung und dem dafür gewählten Zeitpunkt. Während weiterhin die Teuerung das Leben der Menschen bestimme, die wirtschaftlichen Prognosen schlecht seien und täglich Firmen pleite gingen, sei “trotzdem offenbar für manche der Wolf das zentrale Thema”, sagte Sidl. “Das ist nichts anderes als eine klare Themenverfehlung.” Er sprach sich am Mittwoch für die Schaffung von fundierten wissenschaftlichen Grundlagen aus. “In diesem Fall heißt das, dass wir ein genaues Bild der Wolfspopulation und ihres Bewegungsradius brauchen. Erst wenn wir hier einen klaren Überblick haben, ist eine nachhaltige Entscheidung möglich.” Bis dahin müssten alle Wolfsrisse schnell und unbürokratisch entschädigt werden und die Förderungen für Schutzmaßnahmen bereitliegen, forderte er. Er äußerte Sorge, dass es als nächstes dem Luchs oder Schakal “an den Kragen” gehe. “Das dürfen wir nicht zulassen.”
Die EU-Kommission hatte im Dezember 2023 vorgeschlagen, den Schutzstatus des Wolfes von “streng geschützt” auf “geschützt” abzusenken. Wird der Entschluss der EU-Staaten morgen auf Ministerebene bestätigt, kann die EU einen Abänderungsantrag für die Berner Konvention einbringen, in der der Schutzstatus der Tiere geregelt ist. Die nächste Sitzung des zuständigen Gremiums, bei dem eine Abänderung der Konvention beantragt werden kann, soll Anfang Dezember stattfinden. Geht der Vorschlag hier durch, kann die EU wiederum ihre Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) entsprechend abändern.
Ein herabgesenkter Schutzstatus gäbe den EU-Staaten mehr Flexibilität, ohne den Schutz ganz aufzuheben, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Mittwoch. Er betonte, dass es der Kommission nur um den Wolf gehe und keine anderen Tierarten betroffen sein sollen.
Dorfmann: „Endlich Weg frei zu mehr regionalen Spielräumen“
Der Europäische Rat hat heute den Weg für das Absenken des Schutzstatus des Wolfes freigemacht. „Das ist der Durchbruch, auf den wir so lange und so hart hingearbeitet haben“, erklärte der Südtiroler Europaparlamentarier Herbert Dorfmann nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses. „Mit der heutigen Entscheidung kann das Verfahren zur Änderung der Berner Konvention eingeleitet werden, die wiederum Staaten und Regionen mehr Spielräume im Rahmen des Wolfsmanagements geben würde.“
Die Berner Konvention regelt den Schutz wildlebender Pflanzen und Tiere, Wölfe sind laut ihren Anhängen in Europa „strikt geschützt“. „Wir haben in den letzten Monaten immer und immer wieder argumentiert, dass die Konvention der Realität angepasst werden muss“, so Dorfmann heute. „Und diese Realität ist: Es gibt mittlerweile in der EU mehr als 20.000 Wölfe und sie sind in allen EU-Mitgliedstaaten auf dem Vormarsch.“
Nicht nur mit diesen Daten, sondern auch wegen der Probleme, die sich aufgrund der stetig größer werdenden Wolfspopulation vor allem in den Alpen ergeben, haben Dorfmann und eine Reihe seiner Kolleginnen und Kollegen aus den Alpenregionen die EU-Kommission überzeugen können, einen Vorstoß in Richtung einer Änderung der Berner Konvention zu unternehmen. „Der Vorschlag der Kommission ist heute im Europäischen Rat diskutiert und gutgeheißen worden“, freut sich der Südtiroler EU-Abgeordnete.
Der heute angenommene Vorschlag sieht vor, das Verfahren zur Änderung der Anhänge II und III der Berner Konvention einzuleiten, um den Schutzstatus des Wolfs von „strikt geschützt“ auf „geschützt“ herabzusetzen. „Diese Änderung würde den Staaten und Regionen mit stabilen Wolfspopulationen die Chance geben, mit konkreten Maßnahmen darauf hinzuarbeiten, dem Schutz der Wölfe einerseits, aber auch den Interessen der Alm- und Weidewirtschaft andererseits gerecht zu werden“, so Dorfmann.
Mit der heutigen Entscheidung des Europäischen Rates ist nun der Weg frei, die rechtlichen Grundlagen für ein effizientes Wolfsmanagement zu schaffen. „Endlich“, sagt der Südtiroler EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann, „denn damit wird nicht nur den Bedürfnissen der Bauern Rechnung getragen, sondern auch für die dringend nötige Rechtssicherheit gesorgt, die in den letzten Jahren vollkommen gefehlt hat.“
Aktuell sind 14 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen