Von: apa
Im Prozess um die Drohungen gegen die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die im Sommer 2022 Suizid begangen hat, ist am Mittwoch ein 61-jähriger Deutscher im Landesgericht Wels vom Vorwurf der gefährlichen Drohung mit Suizidfolge nicht rechtskräftig freigesprochen worden. Er soll ihr im Netz u.a. angedroht haben, sie wegen ihrer Äußerungen zu Corona vor ein “Volkstribunal” zu stellen und sie “auf die Anklagebank und dann sicher ins Gefängnis” zu bringen.
Es gebe in dem Prozess eine besondere Situation führte die Richterin aus: Da der Angeklagte in Deutschland lebt und dort die Nachrichten verfasst hat, ist die österreichische Justiz nur dann zuständig, wenn es sich um eine gefährliche Drohung mit Suizidfolge handelt. Für den Straftatbestand der “gewöhnlichen” gefährlichen Drohung aus Deutschland wären die deutschen Behörden zuständig. Weil die Staatsanwaltschaft Wels, gestützt auf ein psychiatrisches Gutachten, davon ausging, dass diese Drohungen mitursächlich für den Suizid seien, hatte man den Mann in Österreich anklagen können. Ein gegen ihn in Deutschland laufendes Verfahren hat die Generalstaatsanwaltschaft München unter Verweis auf jenes in Wels aber vorläufig eingestellt.
Angeklagter musste nicht von Kellermayrs Zustand wissen
Nach Ansicht des Gerichts musste der Angeklagte zum Zeitpunkt, als er seine Nachrichten schrieb, aber nicht mit der für eine strafrechtliche Verurteilung nötigen Sicherheit wissen, dass Kellermayr auch von anderer Seite massiv bedroht wurde oder erkennen, dass sie suizidgefährdet gewesen sei, so die Begründung sinngemäß. Auch war man nicht überzeugt, dass die Botschaften des Angeklagten Mitauslöser des Suizids waren, so die Vorsitzende des Schöffensenats.
Angeklagter sah nur “wechselseitiges Streitgespräch”
Der 61-Jährige soll von Februar bis Juli 2022 in E-Mails sowie Twitter-Nachrichten (heute X, Anm.) angekündigt haben, die Medizinerin vor ein noch einzurichtendes “Volkstribunal” zu stellen und sie “auf die Anklagebank und dann sicher ins Gefängnis” zu bringen. Er bestritt das nicht, sah aber nur ein wechselseitiges Streitgespräch, denn Kellermayr antwortete immer wieder. In seinem Schlusswort sagte der Angeklagte, der zuvor dreieinhalb Prozesstage lang das Wort komplett seinen Anwälten überlassen hatte, dass die Coronazeit für ihn sehr belastend gewesen sei. “Ich war in meiner Angst gefangen. Meine Ohnmacht habe ich durch Aktivismus kompensieren müssen.” Er bedaure den Suizid Kellermayrs “aufrichtig”, sehe aber nicht seine Nachrichten als Grund dafür. Daher hatte er sich auch nicht schuldig bekannt.
Die Ausforschung des Angeklagten war kein größeres Problem, denn der Unternehmer schrieb die Nachrichten unter seinem Firmenaccount. Im Gericht in Wels war er allerdings sehr auf seine Anonymität bedacht – außerhalb des Verhandlungssaals stets mit Mütze und dunkler Brille angetan, gegenüber Fotografen penibel auf die Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte achtend.
Viele Zeugen, viele Themenstränge
Im Lauf der vier Prozesstage wurden zahlreiche Zeugen gehört. Die Verteidigung bemühte sich, ein Bild zu zeichnen, wonach Kellermayr ein ganzes Bündel an Problemen belastete, die auch umfangreich beleuchtet wurden – gesundheitliche, psychische, finanzielle und eben durch die Bedrohungslage, wobei es hier zwei Stränge gibt: Ein nach wie vor unbekannter Täter, der unter dem Namen “Claas” auftrat, erging sich in Folter- und Tötungsfantasien, der Angeklagte drohte hingegen mit dem “Volkstribunal”.
Die Zeugen berichteten einhellig, dass Kellermayr massive Angst hatte, dass sie aber nicht zu überreden war, Social Media zu meiden und stattdessen große Summen in Sicherheitsvorkehrungen steckte. Am meisten hätten die Ärztin die Drohungen von “Claas” belastet, so der Tenor. Aber auch die Nachrichten des Angeklagten hätten sie demnach nicht unbeeindruckt gelassen.
“Lynchmob” gefürchtet
Eine Vertraute der Ärztin schilderte, diese habe sich vor einem “Lynchmob” gefürchtet, auch weil der 61-Jährige die Formulierung “Wir beobachten Sie”, also Plural, verwendete. Zudem kannte Kellermayr seine Identität, wusste von etlichen Vorstrafen, und – wie eine im Prozess vorgespielte Sprachnachricht an die Freundin zeigte -, dass er nur zwei Autostunden entfernt wohnte. Der psychiatrische Sachverständige, auf dessen Gutachten sich die Staatsanwaltschaft stützt, sah die “Volkstribunal”-Drohungen des Angeklagten mitursächlich und zumindest als “Puzzlestein” für die Suizid-Entscheidung Kellermayrs. Das Gericht sah das nicht als gesichert an und sprach den Mann frei. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab, damit ist das Urteil nicht rechtskräftig.
(S E R V I C E – Sie sind in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchen Hilfe? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich)
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