Fentanyl scheint in Europa in den Startlöchern zu sein

Horrordroge: Leichtes Geld für die Mafia – Südtirol wachsam

Mittwoch, 27. März 2024 | 07:27 Uhr

Von: luk

Rom/Bozen – Fentanyl, ein synthetisches Opioid, hat in den letzten Jahren weltweit Besorgnis ausgelöst. Als eines der stärksten Schmerzmittel wird es häufig zur Behandlung von schwersten Schmerzen eingesetzt. Doch die Gefahr liegt in seiner überwältigenden Potenz: Der Stoff ist bis zu 100 Mal stärker als Morphin und 50 Mal stärker als Heroin.

Die Verwendung von Fentanyl außerhalb medizinischer Kontexte, insbesondere im illegalen Drogenhandel und Drogenkonsum, hat zu einer alarmierenden Zunahme von Überdosierungen und Todesfällen geführt. Seine potente Wirkung und die Schwierigkeit, die richtige Dosierung zu kontrollieren, machen Fentanyl zu einer äußerst gefährlichen Substanz. Selbst kleinste Mengen können lebensbedrohlich sein. Während bei Heroin 200 Milligramm tödlich wirken, sind es bei Fentanyl bereits zwei Milligramm. Wird der Stoff Heroin beigemischt, wissen die Konsumierenden in der Regel nichts davon – und können sich unabsichtlich in Lebensgefahr bringen.

Für Drogenkartelle ist Fentanyl extrem lukrativ, da die Herstellung äußerst günstig ist. Die Grundstoffe dafür stammen laut Ermittlern aus Laboren in China.

Tausende Tote in den USA

Vor allem in den USA hat die sogenannte “Fentanyl-Krise” verheerende Folgen hinterlassen. Tausende von Todesfällen werden jedes Jahr dem Missbrauch dieser einen Droge zugeschrieben. Eine Überdosierung von Fentanyl ist mittlerweile die häufigste Todesursache unter jungen Menschen. Die Opioidkrise in den USA kostet jährlich rund 100.000 Menschen das Leben.

Das Fentanyl hat in Teilen Heroin abgelöst. Der in den USA wohl berüchtigtste Drogen-Hot-Spot ist die Kensington Avenue in Philadelphia. Wie Zombies liegen, sitzen und tappen die Drogenabhängigen dort in den Straßen. Die Behörden kämpfen zwar gegen den illegalen Handel und die Verbreitung dieser Substanz an, die Lage scheint aber aussichtslos zu sein.

 

Schwappt die tödliche Welle auch nach Europa über?

Angesichts dieser alarmierenden Entwicklung sind Experten und Behörden schon seit geraumer Zeit vor einem Überschwappen der Fentanyl-Welle auf Europa besorgt. Bisher wurden in einigen europäischen Ländern vereinzelte Fälle von Fentanyl-Missbrauch gemeldet, aber die Verbreitung ist im Vergleich zu den USA noch begrenzt.

Dennoch warnen Fachleute aus der Drogen- und Suchtforschung vor einer Ausbreitung synthetischer Opioide wie Fentanyl in Europa. Sie erläutern jüngste Entwicklungen: Ende des vergangenen Jahres habe es in Irlands Hauptstadt Dublin mehr als 50 Drogennotfälle binnen vier Tagen im Zusammenhang mit Opioiden gegeben – das deute darauf hin, dass diese Stoffe in Europa auf dem Vormarsch seien, erklärten der Bundesverband für Drogenarbeit “Akzept”, die Deutsche Aidshilfe und die Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen unlängst in einer gemeinsamen Mitteilung.

Laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zeigt eine neue Untersuchung, in welchem Ausmaß das hochpotente synthetische Opioid auch in der Drogenszene in Deutschland bereits verbreitet ist. Dabei wurde im Rahmen des Bundesmodellprojekts RaFT (schnelle Fentanyltests in Drogenkonsumräumen) der Deutschen Aidshilfe in 3,6 Prozent von rund 1.400 Heroinproben in Drogenkonsumräumen Fentanyl als Beimischung entdeckt. Die Proben stammten aus Konsumräumen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Münster und Wuppertal.

Die gefährliche Droge ist also angekommen und es gilt, wachsam zu bleiben. Davon ist auch “Daniel” überzeugt. Der Südtiroler ist in jungen Jahren in den Drogenstrudel geraten und hat sich herausgekämpft. Dies ging nicht ganz spurlos an ihm vorbei, wie er im Gespräch mit Südtirol News vor einiger Zeit erklärt hat. Ihn treibt die Sorge um, dass nicht nur Heroin, sondern auch leichte Drogen wie Marihuana mit Fentanyl versetzt werden könnten.

Horror-Verhältnisse wie in den USA in Europa eher unwahrscheinlich

So schlimme Verhältnisse wie in den USA mit Zehntausenden Toten pro Jahr gelten in Europa aber als unwahrscheinlich. Auslöser der Krise dort war eine viel zu großzügige Verschreibungspraxis von Opioiden, was viele letztlich in die Abhängigkeit trieb. Außerdem sei laut Experten in Europa das soziale Netz stärker.

Gefahr nicht unterschätzen

Dennoch dürfe die potenzielle Gefahr laut Fachleuten nicht unterschätzt werden. Die internationale Drogenbekämpfung müsse verstärkt werden, um eine weitere Ausbreitung von Fentanyl zu verhindern und gleichzeitig Präventions- und Aufklärungsmaßnahmen zu intensivieren, um das Bewusstsein für die Gefahren dieser hochpotenten Droge zu schärfen.

Angst vor Versorgungslücke bei Heroin 

Verschärfend könnte für Europa die Entwicklungen in Afghanistan hinzukommen: Die Taliban-Herrscher schränken nämlich aus ideologischen Gründen die Produktion von Schlafmohn als Basis für Heroin stark ein. Dies dürfte sich zeitverzögert auf das Heroinangebot in unseren Breitengraden auswirken. Fentanyl könnte dadurch auch in Europa nach oben katapultiert werden.

Suchtforscher Daniel Deimel erklärt gegenüber dem MDR, dass derzeit noch Heroin nach Deutschland gelangt. Doch mit einer Verzögerung werde sich der Einbruch in Afghanistan auf dem deutschen Markt bemerkbar machen. Er gehe von einem zeitlichen Puffer von rund zwölf Monaten aus. Deimel befürchtet, dass sich der Markt verändern wird, wenn zu wenig Heroin in Deutschland ankommt. Und das könnte gefährliche Auswirkungen haben. Heroin könnte dann durch synthetisch hergestellte Opioide gestreckt werden – eben auch mit Fentanyl.

Schon jetzt vorbeugen – Drugchecking-Projekte

Für den Experten ist es daher umso wichtiger, bereits jetzt vorbeugend zu handeln und Testinfrastrukturen zu schaffen – nicht nur in Drogenschutzräumen, sondern auch für den häuslichen Gebrauch, sagt der Experte. Mit solchen Drugchecking-Projekten könnten Konsumenten ihre Drogen auf Beimischungen von synthetischen Opiaten testen.

Lage in Südtirol

Bettina Meraner, die Primarin vom Dienst für Abhängigkeitserkrankungen beim Sanitätsbetrieb in Bozen, ist im Moment nicht in Sorge. Es gebe keine Anzeichen für eine Fentanylwelle in Südtirol. Sie schildert gegenüber Südtirol News, dass im Suchtbereich derzeit keine Verdachtsfälle zu verzeichnen seien, wenngleich auch in Italien Drogenproben aufgetaucht seien, die mit Fentanyl versetzt wurden.

Meraner merkt an, dass die USA nicht mit Europa verglichen werden könnten. Während in den Staaten viele Menschen keine Krankenversicherung haben, gebe es gerade in Italien und Südtirol ein gutes soziales Netz. Suchtkranke könnten unkompliziert und sogar anonym zu den zahlreichen Dienststellen für Abhängigkeitserkrankungen kommen, um dort medizinische Hilfe – etwa in Form von Substitutionsprogrammen – zu erhalten.

Wenn das Heroin – wie in Deutschland befürchtet – auf der Straße ausbleibt, stelle man die Patienten auf Methadon oder andere Substanzen um. So habe man das auch in der Pandemie gemacht, als es ebenfalls ein Mangel am Angebot gab.

Zudem gebe es in Italien eine Art Frühwarnsystem. Wenn Todesfälle oder Überdosierungen festgestellt werden, würden darüber auch alle anderen Notfallaufnahmen und zuständigen Stellen informiert. So wisse man sehr rasch und flächendeckend, womit man es zu tun habe. Man ist also wachsam.

‘Ndrangheta hat Interesse am Geschäft mit Fentanyl

Während in Südtirol derzeit noch kein Grund zur Beunruhigung besteht, scheint die italienische Mafiaorganisation ‘Ndrangheta Interesse am Geschäft mit der “Zombie-Droge” Fentanyl zu entwickeln.

“Die italienischen Behörden und Geheimdienste haben festgestellt, dass die ‘Ndrangheta den europäischen Markt für Fentanyl testet. Aufgrund seiner extremen Potenz ist Fentanyl äußerst gefährlich und kann bereits in geringen Mengen tödlich sein”, erklärte unlängst Italiens Kabinettssekretär Alfredo Mantovano. Man wolle nun gegensteuern.

Vor zwei Wochen hat die italienische Regierung einen gesamtstaatlichen Plan zur Bekämpfung von Fentanyl und anderen synthetischen Opioiden vorgestellt. Italiens Gesundheitsminister Orazio Schillaci will mit verstärkten Kontrollen, Ärzteausbildung und Informationskampagnen vorgehen, um den Handel und Konsum dieser gefährlichen Substanzen im Keim zu ersticken.

Bezirk: Bozen