Von: mk
Bozen – Das HI-Virus mit einer effektiven Therapie in Schach halten – das ist seit einigen Jahren möglich. Die Immunkrankheit AIDS kann somit nicht mehr ausbrechen. Holger*, ein Patient aus Südtirol, erzählt über sein fast normales Leben mit HIV.
Eine völlig unerwartete Diagnose
Holger war 48 Jahre alt, als er bei einer dermatologischen Untersuchung im Krankenhaus Bozen nach einer Blutuntersuchung völlig unerwartet mit der Diagnose HIV konfrontiert wurde. Er konnte es nicht glauben, ein zweiter Test bestätigte aber das Ergebnis. „Das war für mich ein harter Schlag“, so Holger. Die Diagnose riss ihm förmlich den Boden unter den Füßen weg. „Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich angesteckt hatte. Es musste passiert sein, nachdem die Beziehung mit meinem langjährigen Partner zu Ende gegangen war und ich eine Zeitlang keine feste Beziehung hatte.“
Verunsicherung und Schuldgefühle
Holgers erste Reaktion waren eine große Verunsicherung und starke Schuldgefühle. Wie würde sich sein Leben nun ändern und würde es ihm gelingen, die Infektion geheim zu halten? Im Krankenhaus Bozen des Südtiroler Sanitätsbetriebes wurde Holger auf der Abteilung für Infektionskrankheiten vom Infektiologen Giovanni Rimenti behandelt, der sich heute im Ruhestand befindet. Dieser brachte viel Geduld für Holger auf und legte ihm auch nahe, die Infektion zu seinem eigenen Schutz geheim zu halten. Eine HIV-Infektion ging, damals noch mehr als heute, mit einer großen Stigmatisierung einher. Holger wollte nicht offenlegen, dass er HIV-positiv war, um in seinem Beruf keine Benachteiligungen zu erfahren und um sich vor Diskriminierungen und Ausgrenzungen zu schützen. Das war für Holger, der eigentlich ein sehr offener Mensch ist, nicht einfach.
Gerade in der ersten Zeit nach der Diagnose wurde Holger von den Ärzten und Psychologen der Infektionsabteilung des Krankenhauses Bozen gut betreut und aufgefangen. Dr. Rimenti nahm sich viel Zeit für seinen Patienten, um ihm alles genau zu erklären und ihn zu beruhigen. Früher bedeutete eine HIV-Infektion praktisch ein Todesurteil. Die Krankheit AIDS konnte nicht aufgehalten werden, letztlich starben die Patienten an der Immunschwäche. Heutzutage gäbe es jedoch wirksame Therapien und man könne gut mit der Infektion leben. Anhand der Blutwerte konnte man sehen, dass die Infektion bei Holger noch nicht lange zurücklag. Sobald die sogenannten CD4 Immunzellen unter 200 fallen würden, müsse er mit der Therapie beginnen und bis dahin regelmäßig zu den Blutkontrollen kommen. „Ich fürchtete mich vor dem Leben mit der Therapie. Es war wie ein Damoklesschwert, das über mir schwebte. Ich stellte mir vor, dass es ein trauriges Leben sein würde, dass ich nicht mehr feiern und keinen Alkohol mehr trinken durfte.“
Leben mit dem Virus
Nach und nach gelang es Holger besser mit dem Wissen um die Infektion umzugehen. Dazu trug sicherlich auch sein heutiger Lebenspartner bei, den er ein halbes Jahr nach der Diagnose kennenlernte. Dieser hielt zu ihm trotz seiner Infektion und unterstützte ihn, wo es ging. „Wir benutzten natürlich immer Kondome. Mein Partner war sich immer sicher, dass er sich nicht anstecken würde, womit er glücklicherweise Recht behalten sollte.“ Holgers Partner ließ sich regelmäßig bei der Südtiroler AIDS-Hilfe Propositiv testen, wo dies anonym und kostenlos möglich ist.
Zwei Jahre nach der Diagnose war Holgers Immunsystem so sehr beeinträchtigt, dass er mit der Therapie beginnen musste. Die Medikamente bewirken, dass die Vermehrung der Viren unterdrückt wird, so dass die gefürchtete Krankheit AIDS nicht ausbrechen kann. Holger war in der ersten Zeit sehr nervös und unsicher, wie sein Körper darauf reagieren würde. Er bat seinen Partner, bei ihm zu schlafen und aufzupassen, ob es ihm gut ging. „Seitdem ich mit den Medikamenten begonnen habe, schläft mein Partner jede Nacht bei mir. Die Therapie hat unsere Beziehung gewissermaßen intensiviert.“ Erfreulicherweise vertrug Holger die Tabletten sehr gut, nach etwa zwei Wochen, so wurde ihm erklärt, hätte sich der Körper auf die Wirkstoffe eingestellt. Von da an konnte er ohne Einschränkungen leben und durfte sogar wieder Alkohol trinken.
Die Therapie ist erfolgreich
Holger nimmt die Tabletten „ganz akribisch“ jeden Abend vor dem Schlafengehen und achtet stets darauf, immer einen Vorrat davon daheim zu haben. Die Vorstellung, ohne Medikamente dazustehen, sei für ihn schrecklich: „Manchmal träume ich sogar davon, dass ich im Urlaub bin, den Koffer öffne und bemerke, dass ich die Tabletten vergessen habe.“ Etwa zwei Jahre nach Beginn der Therapie konnte das Virus bei einer Blutkontrolle nicht mehr nachgewiesen werden und ist auch beim Sex nicht mehr übertragbar. Spuren des Virus seien zwar noch in den weißen Blutkörperchen, den Leukozyten, vorhanden, aber das Virus werde erfolgreich unterdrückt und das sei seit damals auch so geblieben. Für Holger war dies eine große Erleichterung. „Ich schulde der Medizin mein Leben. Mir ist bewusst, dass ich großes Glück habe, in einem Land zu leben, in dem mir diese teure Therapie zur Verfügung gestellt wird. Ich bin auch sehr froh, dass ich sie gut vertrage und gut in meinen Alltag einbinden kann.“ Holger spricht so gut auf die Therapie an, dass er die Aussicht auf eine normal hohe Lebenserwartung hat.
Die ersten medikamentösen Kombinationstherapien gegen das HI-Virus waren sehr aufwendig. In den Anfängen mussten die Patienten alle zwei Stunden über den Tag verteilt insgesamt 25 Tabletten einnehmen und man sah ihnen die Therapie auch körperlich an. Sie bekamen eingefallene Wangen und einen sogenannten Stiernacken. Heute ist dies nicht mehr so und die Medikamente werden zumeist gut vertragen. Holger muss lediglich regelmäßig die Knochendichte kontrollieren lassen, weil er eine Osteoporose entwickeln könnte.
Derzeit wird Holger von der Fachärztin für Infektionskrankheiten und Spezialistin für HIV, Angela Pieri, betreut, die auch eine Zeit lang in Südamerika als Ärztin gearbeitet hat. Sie ist sehr verständnisvoll und hat immer einen sehr netten und lockeren Umgang mit ihm, so dass er sich bei ihr gut aufgehoben und aufgefangen fühlt. Seit kurzem ist Holger in einem Projekt eingebunden, bei dem er alle zwei Monate intramuskulär zwei Spritzen verabreicht bekommt und gar keine Tabletten mehr einnehmen muss.
„Alle sollten den eigenen Status kennen“
In Südtirol ist es noch immer schwierig, offen mit einer HIV-Infektion umzugehen. Holger hält seine Infektion zwar noch immer geheim, heute wäre es für ihn jedoch nicht mehr schlimm, wenn es herauskäme. Besonders während der Corona-Pandemie wurde viel darüber geredet, dass der Fortschritt der Medizin AIDS seinen Schrecken genommen hätte. Das fand Holger sehr ermutigend. Ebenso war für ihn hilfreich, dass sich einige bekannte Persönlichkeiten offen zu ihrer Infektion bekennen.
Trotz dieser vielversprechenden Therapien ist HIV weiterhin tödlich. „Alle sexuell aktiven Menschen – Jungs wie Mädchen – die nicht in einer festen Beziehung leben, sollten daran denken, immer Kondome zu verwenden.“, so Holger. „Kondome schützen vor einer HIV-Infektion und auch vor anderen Geschlechtskrankheiten. Außerdem sollten alle den eigenen Status kennen – zum Selbstschutz und zum Schutz der anderen. Deshalb ist es wichtig, sich testen zu lassen, denn je eher das Virus entdeckt wird, desto besser stehen die Chancen für eine Behandlung.“
Im Rahmen der Stop HIV-Tour des Südtiroler Sanitätsbetriebes macht das mobile Ambulatorium noch am 1.12. in Neumarkt (Laubengasse Rathausring) und Bozen (Dominikanerplatz) sowie am 2.12. noch einmal in Bozen (Talferbrücke) sowie in Leifers (Kennedystraße) Halt. Es werden Infos zu HIV gegeben und Gratistests angeboten. Mittels Schnelltests kann sich jeder im Ambulatorium für HIV-Tests am Landeskrankenhaus Bozen des Südtiroler Sanitätsbetriebes anonym und ohne Vormerkung testen lassen. Nach ärztlicher Verschreibung kann in allen Blutabnahmestellen des Sanitätsbetriebes ein HIV-Test gemacht werden.
*Name von der Redaktion geändert.
Begegnungen, unter diesem Titel stellt der Südtiroler Gesundheitsbetrieb seit Juli 2023 regelmäßig Patientengeschichten vor, die aufzeigen, welche Schicksale und Wendungen Menschen in ihrer gesundheitlichen Betreuung erfahren.