Vortrag in Meran

Internet-Sucht kann im schlimmsten Fall zu „Hikkimori“ führen

Donnerstag, 10. Oktober 2024 | 11:27 Uhr

Von: mk

Meran – Gestern fand in Meran der Vortrag „Internetkonsum bei Kindern – was und wie viel ist richtig?“ aus der Reihe „Forum Gesundheit Südtirol“ des Südtiroler Sanitätsbetriebes statt.
Der vollbesetzte Saal im „Pavillon des Fleurs“ sprach für sich: Das Thema brennt vielen Eltern und Erziehern unter den Nägeln. Die beiden Fachfrauen, Primarin Donatella Arcangeli des landesweiten Dienstes für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Fachärztin Benedetta Berlese erklärten anschaulich, nach den Grußworten des Sanitätsdirektors Dr. Josef Widmann, warum ein zu früher bzw. zu intensiver Konsum von elektronischen Medien nicht zu empfehlen ist.

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Das menschliche Gehirn ist erst mit rund 25 Jahren komplett ausgereift: Gerade emotionale Einschätzungen, die rational hinterfragt werden müssen, fallen Kindern und Jugendlichen noch schwer. Die berühmte Achterbahn der Gefühle, das impulsgesteuerte Verhalten von zickigen Teenagern – charakteristisch für die Entwicklung und neurobiologisch erklärbar. Wenn der Sohn oder die Tochter schnell gelangweilt sind, ist das ebenfalls auf diese Phase der Entwicklung zurückzuführen.

In dieser sensiblen Zeit der körperlichen und geistigen Reife kommen Videospiele oder stundenlanges Internet-Surfen den jungen Menschen wie gelegen: Die Langeweile verfliegt und Dopamin wird ausgeschüttet, sobald es neue, “belohnende” Inhalte gibt, die überall und jederzeit verfügbar sind – und man muss dafür nicht mal aus dem Haus. Gerade das, so wiesen beide Fachärztinnen darauf hin, sei der erste Schritt in Richtung Sucht: „Wir reden hier von ein, zwei Jugendlichen auf zehn, die ihre sozialen Kontakte vernachlässigen und eine echte Sucht entwickeln“. Wie bei allen Süchten, so meine man am Anfang, dass man das problematische Verhalten im Griff habe. Doch es sei eben nicht so leicht, wieder aufzuhören, ab einem gewissen Suchtgrad dreht sich das ganze Denken um das nächste Videospiel, an die nächste Möglichkeit, wieder ins Netz einzusteigen. Schlaf wird zur Nebensache, obwohl gerade junge Menschen diesen benötigen würden, denn ohne Schlaf keine ausreichende Erholung und Konzentration für den nächsten Tag.

Der Weg zur Internet-Sucht kann im schlimmsten Fall zur Entwicklung von „Hikkimori“ führen. Der japanische Begriff bedeutet „die sich wegschließen“: Besonders junge Männer, meist überdurchschnittlich intelligent, kapseln sich ab und leben nur noch in ihrer eigenen Welt. Die echten Menschen „draußen“ werden als bedrohlich empfunden, zum Teil sogar die eigene Familie, Kontakte finden ausschließlich online statt. Hier kann nur noch eine kompetente Betreuung durch Fachleute helfen.

Aber sollte man nun den eigenen Kindern komplett das geliebte Handy verbieten? Die Expertinnen verneinen das, rufen aber dazu auf, ein vernünftiges Verhalten vorzuleben und auch einzufordern. „Wir raten zu konkreten Vereinbarungen, wie lange und wofür die eigenen Kinder ins Netz dürfen“, so Benedetta Berlese. Selbstredend, dass über Konsequenzen bei einem Nicht-Einhalten gesprochen werden muss. Kinder unter 14 Jahren sollten so wenig wie möglich im Netz sein, in Italien sei derzeit sogar eine Petition dafür geplant. In Spanien, so Primarin Donatella Arcangeli, wird gar empfohlen, dass unter zwölf Jahren Kinder keinen Zugang zu einem Smartphone haben, auch „Whatsapp“ wird erst ab 16 nahegelegt: „Wenn wir Kinder ein Auto fahren lassen und sie verursachen damit einen Unfall, dann können wir auch nicht sagen, das Auto sei schuld – nein, wir müssen hinterfragen, wer hat ihnen die Autoschlüssel gegeben?“

Abschließend der dringende Rat der Expertinnen, den eigenen Umgang mit den elektronischen Medien zu hinterfragen: Wenn junge Mütter ihre Kinder bereits im Kleinkindalter mit Videofilmen auf dem Handy bespaßen, sei es schwierig, im späteren Alter zu einem gemäßigten Umgang zu rufen.

Doch trotz allem darf das Netz nicht verteufelt werden: Denn ob „digital natives“, also junge Menschen, die bereits mit Internet aufgewachsen sind oder „digital immigrants“ (alle anderen) – ihnen allen stehen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten offen, die vor Jahrzehnten noch undenkbar waren.

Es folgten Fragen aus dem Publikum, auf die die Fachleute antworten und eine Podiumsdiskussion. Mit dabei war auch Michael Reiner, Leiter der Abteilung Beratung und Information bei Young & Direct.

Der Vortrag kann über folgenden Link auf YouTube nachgeschaut werden:

 

Der nächste Vortrag aus der Reihe „Forum Gesundheit Südtirol“ hat das Thema „Antibiotika richtig gebrauchen“ im Fokus. Er findet am 21. November im Pastoralzentrum Bozen statt.

Bezirk: Burggrafenamt

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