Die Temperaturen steigen

Klimawandel bringt Europa mehr Hitze- als “Kältetote”

Montag, 27. Januar 2025 | 17:00 Uhr

Von: apa

Während momentan davon ausgegangen wird, dass europaweit einem Hitzetoten bis zu zehn “Kältetote” gegenüberstehen, dürfte sich dieses Verhältnis durch den Temperaturanstieg ändern. Ein Forschungsteam hat nun abgeschätzt, dass unter Szenarien mit starker Erhitzung in Europas Städten die Sterbefälle aufgrund von Hitze künftig dominieren werden. Entsprechend stark falle der Effekt im Mittelmeerraum und Osteuropa aus, Österreich könne aber eine Art “Hotspot” Mitteleuropas werden.

Ziel der Studie unter Leitung von Pierre Masselot von der London School of Hygiene & Tropical Medicine war es, europaweit die Anzahl der kälte- und hitzebedingten vorzeitigen Todesfälle bei fortschreitendem Klimawandel abzuschätzen. Zur Einordnung: Unter Übersterblichkeit in Zusammenhang mit Kälte werden keineswegs nur Fälle verstanden, in denen Menschen etwa erfrieren. Vielmehr geht es hier um den Zuwachs an Todesfällen, wenn Temperaturen auch nur etwas niedriger als dem Idealbereich mit minimaler Sterblichkeit von um die 20 Grad Celsius liegen. Je kühler es ist, umso stärker kursieren bekanntlich Atemwegserkrankungen und umso angeschlagener präsentieren sich im Durchschnitt Immunsysteme.

Höhere Temperaturen treffen auf alternde Bevölkerung

Wie sich verschiedene Klimaszenarien in 854 städtischen Zentren in Europa auswirken könnten, hat das Team etwa unter Berücksichtigung der zu erwartenden Altersstruktur der Bevölkerung vor Ort abgeschätzt. Trifft in einem Gebiet etwa ein starker mittlerer Temperaturanstieg auf eine im Schnitt relativ alte Bevölkerung, steigt die durch Hitze und ihre Auswirkungen etwa auf den Kreislauf bedingte Sterblichkeit (Mortalität). Gleichzeitig gehen durch die tendenziell milderen Winter die kältebedingten Sterbefälle zurück.

Während beim mittlerweile sehr unrealistischen Klimaszenario mit moderatem Temperaturplus von 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau in Richtung Ende des Jahrhunderts im Mittel mit einem Überhang von rund 6.000 Hitzetoten pro Jahr auszugehen wäre, steige dieser Wert unter der Annahme eines Temperaturanstieges um vier Grad auf knapp 70.000, schreiben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter in ihrer Arbeit. Allerdings sind die Schwankungsbreiten in diesen Angaben sehr groß: In letzterem Szenario reichen die Zahlen beispielsweise von 16.000 bis 136.000.

Unter extremeren Annahmen recht starker Effekt in Österreich

In ihrer Argumentation stützen sich die Studienautoren stark auf den sozioökonomischen Pfad “SSP3-7.0” aus dem Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC). Dieses Szenario geht davon aus, dass der Treibhausgas-Ausstoß in einer von Konflikten und Nationalismus geprägten Welt weiter ansteigen wird, was zu einem Temperatur-Plus von in Richtung vier Grad Ende des Jahrhunderts führt. Trifft dies ein, und werden quasi keine Anpassungsmaßnahmen ergriffen, hätte man in Südeuropa in den Jahren 2050 bis 2054 im Mittel ungefähr 36.000 kältebedingte Tote weniger zu beklagen. Dem gegenüber stünden rund 82.000 hitzebedingt frühzeitig Verstorbene.

Für Österreich käme in dieser Periode ein Hitzetoten-Überhang von fast 12.000 Personen heraus, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Damit fallen die negativen Effekte in Österreich, ähnlich wie die Schweiz oder der Süden Deutschlands oder Polens deutlicher aus als in anderen Gegenden Mitteleuropas. Die Forscherinnen und Forscher sprechen hier von einem “zentraleuropäischen Hotspot”.

Große regionale Unterschiede

Insgesamt seien die Berechnungen des Teams um Masselot mit vielen Unsicherheiten behaftet, wie mehrere Experten gegenüber dem deutschen Science Media Center (SMC) erklärten. Man sehe das auch an den durchwegs sehr großen Schwankungsbreiten in den Angaben, die bei moderateren Klimaannahmen oft auch Netto-Effekte in die jeweils andere Richtung zulassen. Für die Studienautoren weisen ihre Berechnungen darauf hin, dass in zahlreichen europäischen Ballungsräumen die hitzebedingten Todesfälle relativ stark ansteigen könnten, wenn die Temperaturzunahme nicht eingebremst wird bzw. keine Gegenmaßnahmen, wie Verhaltensanpassungen oder bauliche Maßnahmen, wie mehr Grünflächen in Städten oder Klimaanlagen ergriffen werden. Der Norden Europas könnte hingegen auch davon profitieren.

Immerhin zeige die Untersuchung trotz der großen Ungenauigkeiten bei den Ergebnissen, “dass in Europa im Laufe dieses Jahrhunderts die Anzahl der Hitzetoten die der Kältetoten wahrscheinlich übersteigen wird”, so Barbara Schumann von der Linnaeus University in Kalmar (Schweden) gegenüber dem SMC. Besonders die Situation in Südeuropa und die großen regionalen Unterschiede im aus aktueller Sicht “durchaus realistischen” SSP3-7.0-Pfad seien bedenklich.

(S E R V I C E – https://doi.org/10.1038/s41591-024-03452-2)

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