Von: mk
Bozen/Sterzing – Geschätzte 20 Prozent der Patienten und Patientinnen, die an Covid-19 erkrankt waren, haben auch nach überstandener Krankheit anhaltende Symptome. Ein Forschungsteam der Abteilung für Neurorehabilitation in Sterzing hat dazu Studien vorgenommen. Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat indessen ein hochspezialisiertes Ambulatorium für Patienten mit Long-Covid-Problematiken geschaffen.
Long-Covid – auch Long-Covid-Syndrom oder Post-Covid genannt – ist ein Sammelbegriff für Symptome, die auch noch Wochen und Monate nach überstandener Covid-19-Erkrankung bei Patientinnen und Patienten auftreten können. Diese Beschwerden können die Fachbereiche Pneumologie, Kardiologie, Neurologie, Psychologie und andere klinische Gebiete berühren. Die Beschwerden von Long-Covid-Patienten reichen von ausgeprägter körperlicher Müdigkeit (medizinischer Begriff: „Fatigue“), Konzentrations- und Denkschwierigkeiten („Brain Fog“), Anosmie (Verlust des Geruchssinns), Muskel- oder Gelenkschmerzen, Schmerzen oder Engegefühl in der Brust bis hin zu Kopfschmerzen und Schlafstörungen.
Post-Covid-Ambulatorium in Bozen und Pilotprojekt
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb hat bereits verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um auf Patienten und Patientinnen, die langfristig an den Folgen von Covid-19 leiden, vorbereitet zu sein. Dabei baut der Sanitätsbetrieb auf ein abgestuftes System. Erster Ansprechpartner bei Long-Covid-Beschwerden ist der Hausarzt. Ebenfalls bereits eingerichtet wurde ein Post-Covid-Ambulatorium in der Infektionsabteilung des Landeskrankenhauses Bozen, das sich interdisziplinär um Fälle von Long-Covid kümmert. In diesem Fachambulatorium arbeiten Infektologen, Internisten, Pneumologen, Anästhesisten und Psychologen eng in der Betreuung von Long-Covid-Patienten zusammen.
Landesrat Thomas Widmann begrüßt dieses Angebot: „Long-Covid wird uns die nächsten Jahre begleiten. Dieses komplexe Krankheitsbild wird nach wie vor unterschätzt. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen und auch in diesem Bereich Forschung auf den Weg zu bringen. Sterzing leistet hier europaweit Vorbildfunktion. Der Sanitätsbetrieb arbeitet zudem an einem landesweiten Projekt der Betreuung von Long-Covid-Patienten.“
Generaldirektor Florian Zerzer erläutert, dass unter der Projektleitung von Elke Maria Erne, Primaria der Infektionsabteilung, das Post-Covid-Ambulatorium landesweit vernetzt werden soll: „In unmittelbarer Zukunft soll daraus ein landesweites, interdisziplinäres Netzwerk entstehen, das Long-Covid-Patienten und -Patientinnen auffängt und betreut.“
„Hirnebel“ und Müdigkeit – häufige Beschwerden bei Long-Covid
Das Forschungsteam der Abteilung für Neurorehabilitation in Sterzing unter der Leitung von Primar Luca Sebastianelli und der wissenschaftlichen Aufsicht von Prof. Leopold Saltuari, hat bereits im Jahr 2020 zwei Pilotstudien an Südtiroler Patienten und Patientinnen durchgeführt. Obwohl diese Menschen offiziell als von Covid-19 geheilt gelten, erreichen sie nicht mehr ihren früheren geistigen und körperlichen Gesundheitszustand und sind oft nicht in der Lage, ihre Arbeitstätigkeit wieder aufzunehmen.
Die Probanden hatten schwere Covid-19-Erkrankung mit neurologischen Komplikationen hinter sich und mussten während dieser Zeit auch intensivmedizinisch betreut werden. Anschließend litten sie an Long-Covid mit Müdigkeit und Gehirnnebel (Brain Fog).
Die Medizinwissenschaft nahm zunächst an, dass Long-Covid bei dieser Art von Patienten eine Folge der Beeinträchtigung der Lungen- und Herzfunktion während des langen Krankenhausaufenthalts mit Bettruhe, künstlicher Beatmung sowie des möglichen ängstlich-depressiven Syndroms sei, das dem Trauma einer schweren Erkrankung folgt.
Das Forschungsteam in Sterzing mit den verantwortlichen Forscherinnen Viviana Versace, Neurologin, und Paola Ortelli, Neuropsychologin, veröffentlichte in den ersten Monaten dieses Jahres die Ergebnisse dieser Studien:
· die Empfindung von „Hirnnebel“ beruht auf einer tatsächlichen Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen, insbesondere der sogenannten „exekutiven Funktionen“, das heißt der Fähigkeit, die eigenen Handlungen zu planen, zu initiieren und zu korrigieren. Allesamt Funktionen, die von den präfrontalen Bereichen des Gehirns ausgeführt werden.
· „Hirnnebel“ und Müdigkeit können klar mit einer ausgeprägten Dysfunktion internaler Netzwerke und Neurotransmittersysteme im Frontallappen assoziiert werden. Dies konnte mit Hilfe transkranieller Magnetstimulationstechniken aufgezeigt werden.
Long-Covid auch bei mildem Krankheitsverlauf
Bei der dritten in Sterzing durchgeführten Studie zu Long-Covid wurden 70 Personen mit Langzeit-Covid-Symptomen, die nach einer Covid-19-Erkrankung mit leichtem Verlauf aufgetreten waren, untersucht. Rund 74 Prozent der Teilnehmer waren weiblich (Long-Covid betrifft häufiger Frauen als Männer), das Durchschnittsalter der Probanden betrug 49 Jahre. Die Ergebnisse dieser Studie, bei der erneut transkranielle Magnetstimulation und neurokognitive Untersuchungen eingesetzt wurden, bestätigen zum einen die Daten aus den vorangegangenen beiden Studien und zeigten zum anderen, dass auch bei Patienten und Patientinnen mit leichtem Krankheitsverlauf anschließend anhaltende Dysfunktion einiger frontaler neuronaler Schaltkreise im Gehirn festgestellt werden konnten. Auch diese Studie wurde bereits bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift zur Veröffentlichung eingereicht.
Weitere Studien in Sterzing
Aktuell wird in Sterzing eine Studie zur Erforschung der Hirnaktivität bei Long-Covid mit der innovativen Methode der transkraniellen Magnetstimulation in Kombination mit Elektroenzephalographie (TMS-EEG) in Zusammenarbeit mit Prof. Giacomo Koch vom Wissenschaftlichen Institut für Hospitalisierung und Behandlung (IRCCS), Stiftung Santa Lucia, Rom, durchgeführt. Die Ergebnisse werden in einigen Wochen erwartet.
Außerdem wird man in Sterzing in Kürze mit einer klinischen Studie begonnen, bei der die Wirksamkeit eines Medikaments bei Long-Covid-Symptomen getestet werden soll.
Gesundheitslandesrat Thomas Widmann unterstrich die Wichtigkeit dieser Studien: „Covid-Langzeit-Folgen treten häufig auf und dürfen keinesfalls unterschätzt werden. Vermehrte Forschung auf diesem Gebiet ermöglicht es uns angemessen auf die auftretenden Beschwerden zu reagieren und unsere Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen.“
Links zu den bereits veröffentlichten Studien:
https://www.jns-journal.com/ article/S0022-510X(20)30607-9/ abstract
https://www.sciencedirect.com/ science/article/pii/ S1388245721000808