Von: apa
Die Coronapandemie hat post-akute Infektionssyndromen (PAIS) wie ME/CFS oder Long- bzw. Post-Covid weltweit stark ansteigen lassen. Am 15./16. Mai findet dazu eine – von Betroffenen organisierte – Online-Konferenz statt, die unter dem Titel “#UniteToFight2024” (https://unitetofight2024.world) internationale Top-Experten versammelt. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine Videobotschaft angekündigt. Auch Experten aus Österreich finden sich unter den Rednern.
Die Konferenz soll nicht nur dazu dienen, mittels Vorträge zahlreicher Forscher das Thema postviraler Infektionssyndrome (PAIS) einem breiten Publikum zugänglich zu machen, sondern auch die Aufmerksamkeit auf diese Erkrankungen zu lenken, die seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, Wissenschaft und bei Ärzten nur wenig Beachtung finden. ME/CFS etwa wurde seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits im Jahr 1969 als neurologische Krankheit eingestuft, dennoch mangelt es bis heute an Forschung und Wissen um diese Problematik. Auch werden post-akute Infektionssyndrome oftmals als psychische oder psychosomatische Erkrankungen fehlgedeutet und entsprechend fehlbehandelt, worauf in den vergangenen Wochen auch österreichische Wissenschafter und Wissenschafterinnen wiederholt aufmerksam gemacht hatten.
Die Organisatoren rund um den selbst von Long-Covid betroffenen Deutschen Marco Wetzel konnten bisher mehr als 35 Redner für Vorträge gewinnen, darunter zahlreiche renommierte Experten. Die Teilnahme ist kostenfrei, die Mittel für Werbung und das technische Equipment der Konferenz sollen durch Crowdfunding bzw. Spenden getragen werden. Sollten Gelder übrigbleiben, werde dies zu 100 Prozent in die Forschung gespendet, sagte Wetzel zur APA. Der Event findet rein online statt.
“UniteToFight” soll “diese vernachlässigten und stigmatisierten Erkrankungen wie ME/CFS und Long-Covid” thematisieren, so Wetzel. Es handle sich aber um keine traditionelle Konferenz, sondern um die Schaffung einer Plattform in einem “modernem Erscheinungsbild, gemeinschaftlich getrieben”, auch ein interaktives Kommunikationsmodul während der Konferenz ist angedacht. Ziel sei es, die größte jemals zu Long-Covid oder ME/CFS abgehaltene Konferenz auf die Beine zu stellen – dies habe man mit Stand Mitte April rund 3.000 Anmeldungen bereits erreicht. Wunschziel wäre eine Teilnehmerzahl von 10.000 Personen.
Auch soll “UniteToFight” dazu dienen, die wissenschaftlichen Themen in neuem Gewand “mitten in die Gesellschaft” zu bringen, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren und die Forschung anzutreiben. Es gehe darum, “diese Krankheiten ‘attraktiv’ nach außen in die breite Öffentlichkeit zu tragen und sie auch medial zu stärken”, so Wetzel. Ziel sei etwa, mehr Forschungsgelder zu erzielen und auch, dass beispielsweise Hausärzte “genauer hinschauen”. Der Grundgedanke von “UniteToFight” sei, gemeinsam (Patienten, Wissenschaft, etc.) diese Ziele zu erreichen.
Die Idee dazu entstand Ende Jänner dieses Jahres, Auslöser seien verzweifelte Gedanken angesichts schwerster Fällen von ME/CFS gewesen, die auch medial bzw. in den sozialen Medien bekannt wurden. Die Organisationsgruppe von mittlerweile einer Handvoll Personen habe sich über die Plattform X (vormals Twitter) zusammengefunden, als erste Wissenschafterin hat die renommierte ME/CFS-Spezialistin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité zugesagt.
Unter den Sprechern finden sich Experten vor allem aus den USA, Großbritannien, Deutschland sowie aus den Niederlanden, Belgien, Südafrika, Lettland und Österreich. Das Team rund um Wetzel konnte neben Scheibenbogen u.a. die Expertin für Immunologie Akiko Iwasaki von der Yale University (USA) für einen Vortrag gewinnen, ebenso den Experten für Zellphysiologie und mitochondriale Funktion Rob Wüst von der Universität Amsterdam, den australischen Long-Covid-Spezialist und Neurowissenschafter David Putrino von der Icahn School of Medicine (Mount Sinai/New York), aber auch Angehörige von schwerst Betroffenen sowie selbst Betroffene. In den Pausen zwischen den jeweils rund 30 Minuten langen Reden sind Video-Botschaften von Patientenorganisationen aus verschiedenen Teilen der Welt geplant – etwa aus Mexiko, Spanien, Norwegen, Australien, Frankreich, USA, Kanada, Niederlande und Großbritannien.
Aus Österreich nimmt der Wiener Neurologe und ME/CFS-Experte Michael Stingl an der Konferenz als Redner teil, sprechen wird auch Sabine Hermisson, Mutter einer schwerst betroffenen ME/CFS-Patientin. Mit an Bord von “UniteToFight2024” ist auch die Leiterin der von der Wiener Bäckerei-Familie Ströck gegründeten WE&ME-Stiftung, die sich der Erforschung von ME/CFS verschrieben hat, Marie-Therese Burka. Das Besondere sei, dass “UniteToFight” aus einer Patienteninitiative heraus entstanden ist und dass hier in einer leicht verständlichen Form die Thematik präsentiert werden soll, sagte Burka zur APA. “Es ist ganz wichtig, dass sich mehr Menschen für ME/CFS einsetzen, auch jene, die nicht von ME/CFS betroffen sind.” Besonders wichtig sei ihr, noch einmal einen Appell an die jeweiligen Instanzen, aber vor allem auch an die Politik in Österreich zu richten: Österreich könne sich am deutschen Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) ein “sehr gutes Beispiel” nehmen, sagte sie mit Verweis auf die in Deutschland beschlossenen Höhe der Mittel für die Forschungsförderung. Das in Österreich angekündigte Referenzzentrum (Dotierung 1 Mio. Euro für drei Jahre) sei zwar ein schöner Schritt, aber davon gehe nichts direkt in die Forschung.
Stingl sagte zu seiner Teilnahme, es sei “wichtig”, das Wissen über ME/CFS “in die Breite zu tragen”. Dass sich Betroffene ihre eigene Konferenz organisieren müssen, sei eine “bemerkenswerte Geschichte und bezeichnend für den Umgang mit dem Thema”, verwies auch er auf die Problematik, dass postvirale Infektionssyndrome nach wie vor ein Schattendasein führen. Neurowissenschafter Putrino hatte erst Anfang April gegenüber der APA erklärt, er schließe sich Aussagen an, wonach der Umgang mit Menschen mit ME/CFS, Long-Covid, chronischer Lyme-Borreliose und anderen post-akuten Infektionssyndromen einer der “größten Skandale des letzten Jahrhunderts in der Medizin” sei. Hermisson betonte im APA-Gespräch, gerade schwerst Betroffene könnten sich nirgends hinwenden.
Der deutsche Gesundheitsminister Lauterbach sagte den Organisatoren eine Video-Grußbotschaft zu, wie dessen Büro gegenüber der APA mitteilte. “Das Bundesgesundheitsministerium begrüßt von Patientinnen und Patienten organisierte Veranstaltungen sehr”, hieß es in einem Statement. “Sie tragen zu besserer Information, Verständnis und einem produktiven Austausch zwischen Betroffenen, Wissenschaft und Politik bei.” Long-Covid sei eines der Themen, die für das Bundesministerium für Gesundheit “besondere Priorität” haben. Die weitere Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung sei “ein wichtiges politisches Anliegen”.
Ein “zentraler Punkt, mit dem sich das Bundesministerium für Gesundheit im Zusammenhang mit Long-Covid befasst, ist die im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/GRÜNEN und FDP genannte Schaffung eines deutschlandweiten Netzwerks von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen für die Langzeitfolgen von Covid-19 und ME/CFS”, hieß es aus Lauterbachs Büro. Man wies freilich darauf hin, dass im deutschen Gesundheitssystem (mit geteilten Zuständigkeiten) allein die entsprechenden Kliniken über die Einrichtung und den Betrieb von Spezialambulanzen entscheiden. Eine Möglichkeit des Ministeriums, unmittelbaren Einfluss darauf zu nehmen, bestehe nicht. Zielführend sei aber, insbesondere die bereits vorhandenen Ambulanzen bundesweit zu vernetzen und auf die Einrichtung neuer Ambulanzen hinzuwirken.
Um dieses Ziel zu erreichen, fördert das Ministerium ab 2024 im Rahmen eines mehrjährigen Förderschwerpunkts die versorgungsnahe Forschung zu Long-Covid, im Fokus stehen dabei Modellprojekte. Durch die Schaffung eines Netzwerks soll der Informationsaustausch angeregt, Versorgungsforschung initiiert und so die Versorgung der Betroffenen verbessert werden. Insgesamt stehen dafür bis zu 81 Millionen Euro (2024 bis 2028) zur Verfügung, verwies man auf bereits fixierte Beschlüsse. Weitere 20 Millionen Euro stehen über den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss zur Förderung weiterer Versorgungsforschungsprojekte zu postviralen Symptomkomplexen zur Verfügung. Für weitere “Modellmaßnahmen” zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Long-Covid stehen bis zu 52 Millionen Euro (2024 bis 2028) in Aussicht.
Seitens des österreichischen Gesundheitsministeriums hieß es dazu, Ressortchef Johannes Rauch (Grüne) sei es ein “zentrales Anliegen, die Situation von Betroffenen von Postviralen Symptomen nachhaltig zu verbessern”. Im Ministerium verwies man auf die Anfang April erfolgte Ausschreibung für das Nationale Referenzzentrum für Postvirale Syndrome. Damit solle das Wissen zu postviralen Erkrankungen in Wissenschaft und Praxis verbessert werden, “insbesondere zu Long- und Post-COVID und ME/CFS”. Zusätzlich werde aktuell im Ministerium ein Aktionsplan erarbeitet, um die Versorgung bei postviralen Erkrankungen weiter zu verbessern, erst kürzlich hat sich Gesundheitsminister Rauch dazu direkt mit Betroffenen ausgetauscht. Auch verwies man im Ressort auf die im Zuge der Gesundheitsreform zusätzlichen Mittel für Strukturreformen und zur Stärkung des spitalsambulanten Bereichs, wodurch den Bundesländern insgesamt auch mehr Mittel für den Auf- und Ausbau von spitalsambulanten Angeboten zur Verfügung stünden.