71-Jährige: Nie die leiseste Ahnung gehabt

Missbrauchsprozess in Frankreich: Mitwisserschaft bestritten

Donnerstag, 27. Februar 2025 | 12:01 Uhr

Von: APA/AFP

Im französischen Missbrauchsprozess mit über 250 Opfern im Kindesalter hat die Ex-Frau des Angeklagten ihre Mitwisserschaft bestritten. “Es gab nichts, was darauf hingewiesen hätte, nichts und wieder nichts”, sagte die 71-Jährige am Mittwoch vor Gericht in Vannes. “Ich habe nie die leiseste Ahnung gehabt.” Ihr Ex-Mann, der 74 Jahre alte frühere Chirurg, muss sich wegen Missbrauchs von insgesamt 299 Patienten vor Gericht verantworten, die meisten von ihnen Kinder.

Der Arzt hatte zu Prozessbeginn seine Taten weitgehend gestanden. Nach Darstellung der Anklage verging er sich an seinen jungen Patientinnen und Patienten unter dem Vorwand von Untersuchungen oder während sie unter Narkose waren. Seine Opfer waren im Schnitt elf Jahre alt. Seine Ex-Frau sagte vor Gericht aus, dass sie nicht einmal gewusst habe, dass ihr damaliger Mann bereits 2005 wegen des Besitzes kinderpornografischer Bilder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei – was sie während der Ermittlungen noch eingeräumt hatte. “Das habe ich nie gesagt”, erklärte sie nun angesprochen auf ihre frühere Aussage.

“Keinen Blick für das Böse”

Auf die Vorlage von Briefen während der Gerichtsverhandlung, in denen sie Kindesmissbrauch durch ihren Mann erwähnte, reagierte die Ex-Frau nicht. Sie weigerte sich auch, Nacktfotos anzusehen, die ihr damaliger Mann von einer schlafenden Nichte im Kindesalter gemacht hatte. Auf die Frage, warum sie nichts bemerkt habe, antwortete sie, dass sie “keinen Blick für das Böse” habe. Zudem führte sie ihre “Hyperaktivität” an. Wenn sie etwas erfahren hätte, wäre sie zur Polizei gegangen, erklärte sie. Sie sagt zudem aus, dass sie selber als Kind zwei Mal von Onkeln vergewaltigt worden sei.

Der Bruder des Angeklagten hatte sie zuvor beschuldigt, ihren Mann gedeckt zu haben. “Sie wusste über die Taten ihres Mannes Bescheid und hat nichts unternommen”, sagte er. Er warf seiner früheren Schwägerin vor, aus finanziellen Interessen mit ihrem Mann zusammengeblieben zu sein. Der Angeklagte war 2020 zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er vier Mädchen missbraucht hatte, unter ihnen zwei Nichten und die sechs Jahre alte Tochter seiner Nachbarn. Der Fall des Nachbarkindes hatte zu einer Hausdurchsuchung geführt, bei der die Tagebücher ans Licht kamen. Darin beschrieb er minutiös, wie er sich an den Kindern verging – teils im Krankenzimmer, teils sogar auf dem Operationstisch. Ermittler fanden außerdem rund 300.000 Fotos und Videos mit Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger.

Der Chirurg arbeitete in rund zwölf verschiedenen Krankenhäusern im Westen Frankreichs. Obwohl manche seiner Chefs und Kollegen wussten, dass er bereits früher im Zusammenhang mit Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger verurteilt worden war, behinderte dies nicht seine Karriere. Der Prozess ist auf vier Monate angesetzt. Die Höchststrafe beträgt 20 Jahre.

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