Von: mk
Bozen – Yessica P. ist erst 20 Jahr alt, stammt ursprünglich aus Ecuador und lebt seit September in Bozen auf der Straße. Dass sie in der Kälte nicht erfiiert, verdankt sie nicht zuletzt großzügigen Frauen – unter anderem der Mutter von Wasserspringerin Tania Cagnotto.
„Ich brauche eine Dusche. Ich muss mich waschen. Ich muss zurück in die Wärme“, erklärt die 20-Jährige. Sie ist eingehüllt in unzählige Decken in einem Laubengang vor der Guntschnapromenade in Gries und trägt eine Winterjacke, die zwei Nummern zu groß ist.
Sie seien zu dritt hier auf der Promenade, erklärt Yessica laut einem Bericht der Zeitung Alto Adige. Während zwei weitere junge Obdachlose weiter oben schlafen würden, halte sie sich hier auf. Untertags sind die beiden anderen allerdings unterwegs. Sie bleibt. „Weil ich nicht weiß, wo ich sonst hingehen soll“, sagt die 20-Jährige.
Viele Frauen in der Umgebung haben sie praktisch adoptiert. Sie kommen alle Tage vorbei, bringen der jungen Obdachlosen Decken, einen Schlafsack, Thermoskannen mit heißen Getränken, etwas zu essen oder ein Paar Winterschuhe. Zu diesen Frauen zählt auch Carmen Casteiner, der Mutter Tania Cagnotto, die im Verlauf ihrer Karriere unzählige Medaillen gewonnen hat.
Carmen Casteiner hat bereits viele Male versucht, eine Unterkunft für die 20-Jährige zu organisieren – bislang allerdings vergeblich. „Sie sind wie meine Familie“, sagt Yessica über die Frauen, die ihr helfen. Sie würden anhalten, mit ihr reden, ihr beistehen und wegen ihnen fühle sie sich weniger allein. „Ohne sie würde ich vermutlich bereits in einem Grab liegen.“ Mustafa, den 20-jährigen Ägypter, der erst kürzlich in Bozen erfroren ist, hat sie zwei Tage vor seinem Tod kennengelernt. Auch er hat auf ein warmes Bett gewartet.
Die Kälte mache sie schwach, erklärt Yessica. „Ich spüre, wie ich meine Kraft von Tag zu Tag verliere.“ Obwohl sie auf der Straße lebt, legt sie Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Die Frauen bringen ihr auch Seife, Trockenshampoo und auch ein bisschen Schminke. „Ich ertrage es nicht, so schmutzig zu sein“, erklärt die 20-Jährige.
Doch warum lebt sie auf der Straße? Welches Schicksal steckt dahinter? Im Alter von sieben Jahren ist Yessica von einer italienischen Familie adoptiert worden. Anschließend fing ihr neues Leben in Bozen an. Ob es ein besseres Leben ist, muss sich wohl erst zeigen. Nach der Grund- und Mittelschule besuchte sie die Landesberufsschule und arbeitete als Verkäuferin, an der Kasse im Supermarkt oder als Kellnerin.
Vor einigen Monaten wurde ihr Vertrag in einem Supermarkt nicht erneuert. Seitdem hat sie keine Arbeit mehr gefunden. Um sich über Wasser zu halten, zog sie zunächst zu ihrer Mutter. Doch mit dem Stiefvater kam sie nicht klar. Anschließend zieht sie bei ihrem Vater ein, doch auch dort klappt es aus verschiedenen Gründen nicht – bis sie irgendwann vor die Tür gesetzt wurde.
Doch nicht nur wegen der Kälte ist das Leben auf der Straße gefährlich. Ihr Platz ist vor allem am Abend kein sicherer Ort für eine junge Frau. Mehrmals kamen Männer dicht an sie heran, während sie sich schlafend stellte. Einige schmissen mit kleinen Steinen oder Eisbrocken nach ihr.
Wie die Zeitung Alto Adige berichtet, sind mittlerweile der Verein Volontarius und die Präsidentin der Betrieb für Sozialdienste in Bozen, Liliana Di Fede, auf den Fall aufmerksam geworden. Yessica befindet sich vermutlich schon bald in Sicherheit. Trotzdem bleibt die Frage: Warum ist in den drei Monaten zuvor – bis auf die Frauen in Gries – niemand eingeschritten?