Von: luk
Brixen – Die Causa Prof. Martin M. Lintner und die Verweigerung einer Zustimmung der Wahl zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen durch den Vatikan hat vergangene Woche hohe Wellen geschlagen. Die Zahl der Solidaritätsbekundungen war enorm.
Nun meldete sich Martin M. Lintner in einer Stellungnahme zu Wort. Darin begründet er den Verzicht auf einen Rekurs gegen die Entscheidung und schlägt zugleich kritische Töne an. Er spricht davon, dass dies nicht ein individueller Fall sei, sondern ein institutionelles Problem. Wut und Ohnmacht gebe es bei vielen seiner Kolleginnen und Kollegen.
Die vatikanische Entscheidung gegen ihn habe bei vielen Gläubigen nicht nur Unverständnis, sondern auch schwere Irritationen ausgelöst. Sie wecke Zweifel am Gelingen von Synodalität. Es tue ihm auch weh, wie bei anderen Menschen eine kritische bis negative Haltung gegenüber der Kirche bestärkt wird.
Das Statement von Prof. Martin M. Lintner wird nachfolgend vollinhaltlich angeführt:
Die Entscheidung der vatikanischen Behörden, meiner Wahl zum Dekan der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen nicht zuzustimmen, hat enorme Reaktionen in Südtirol, im gesamten deutschen Sprachraum und mittlerweile auch in Italien und weit darüber hinaus ausgelöst. Es erreichen mich täglich unzählige Nachrichten und Solidaritätsbekundungen aus europäischen Ländern, aber auch aus anderen Regionen der Welt. Da es mir nicht möglich ist, allen persönlich zu antworten, möchte ich mich auf diesem Weg zu Wort melden.
Ich möchte den Journalistinnen und Journalisten danken, die um Interviews angefragt, aber respektiert haben, dass ich mich nicht sofort nach Bekanntwerden der Nachricht zu meiner Causa äußern wollte. Ich muss selbst erst die Gesamtzusammenhänge, die Hintergründe und die Tragweite dessen, was hier vor sich geht, verstehen. Weiter unten werde ich eine erste Einschätzung aus meiner Perspektive geben.
Mein herzlicher Dank gilt den theologischen Gesellschaften sowie Theologinnen und Theologen, die öffentlich Stellung bezogen haben.Der Rückhalt und die Wertschätzung von so vielen Kolleginnen und Kollegen geben mir in diesen turbulenten Tagen Kraft. Aufrichtig danke ich auch für die unzähligen Solidaritätsbekundungen von Gruppen und Einzelpersonen aus den zivilgesellschaftlichen und politischen Bereichen. Diese Wertschätzung, Nähe und Zuspruch zu erfahren, ist überwältigend und erfüllt mich mit Demut. Sie tun mir menschlich wohl, da die vatikanische Entscheidung auch mich überrascht und betroffen gemacht hat.
Der Zuspruch aus unterschiedlichsten Lagern bestätigt mich in meinem Bemühen, als Theologe auch eine Brückenfunktion zwischen Kirche und Gesellschaft wahrzunehmen und eine lebensrelevante und leidsensible Theologie zu betreiben, die für die Menschen in ihren konkreten Lebenssituationen und Herausforderungen von Bedeutung ist.
Die vatikanische Entscheidung gegen mich hat bei vielen Gläubigen nicht nur Unverständnis, sondern auch schwere Irritationen ausgelöst. Sie weckt Zweifel am Gelingen von Synodalität. Mir tut es auch weh, wie bei anderen Menschen eine kritische bis negative Haltung gegenüber der Kirche bestärkt wird. Wer mich kennt, weiß um mein Zugehörigkeitsgefühl zur Kirche und um meine konstruktiv-kritische Loyalität zum kirchlichen Lehramt.
Nun möchte ich meinen Blick auf die PTH Brixen richten. Ich bedanke mich beim Hochschulkollegium für das Vertrauen, das es mir bei der Wahl zum Dekan zum Ausdruck gebracht hat, und bei Bischof Dr. Ivo Muser, der meiner Wahl zugestimmt hat. Die negative Antwort seitens der vatikanischen Behörden stellt nicht nur für mich, sondern auch für Bischof Muser und die Hochschule eine Herausforderung dar.
Den Professorinnen und Professoren, den Studierendenvertreterinnen und Studierendenvertretern, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Brixner Theologischen Kurse und den Absolventinnen und Absolventen des Universitätslehrgangs Angewandte Ethik danke ich herzlich für ihre Solidarität.
Der amtierende Dekan Dr. Alexander Notdurfter war in den vergangenen Tagen einer großen emotionalen Belastung ausgesetzt. Er muss jetzt die Leitung der Hochschule über seine Amtszeit hinaus ausüben, obwohl er sich bereits darauf gefreut hat, den Stab zu übergeben und sich wieder mehr der Lehre und Forschung zu widmen.
Mein besonderer Dank gilt Bischof Muser, der um mein menschliches Befinden und um meine Zukunft als Moraltheologe besorgt ist. Ich bin mit ihm im guten Austausch. Auch die vorliegende Presseaussendung ist mit ihm abgesprochen. Er hat meiner ausdrücklichen Bitte entsprochen, keinen Rekurs gegen die vatikanische Entscheidung einzureichen. Es ist mir nämlich ein Anliegen, weder meine Hochschule noch mich selbst einem möglicherweise langwierigen und nervenaufreibenden Verfahren auszusetzen.
Die teils heftigen und emotionalen Reaktionen seitens der theologischen Vereinigungen sind Ausdruck der berechtigten Sorge um die Glaubwürdigkeit der Theologie als Wissenschaft im Kontext der Universitäten sowie der säkularen Gesellschaft. Sie zeigen meiner Meinung nach aber auch deutlich, dass hier Wut und Ohnmacht von sehr vielen Kolleginnen und Kollegen durchbrechen, die im Lauf ihrer akademischen Tätigkeit mit ähnlichen Problemen und Hindernissen konfrontiert worden sind. Diese Probleme sind seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis und bedeuten für die Betroffenen eine Belastung, verbunden mit dem Gefühl von Demütigung, mit emotionalen Verletzungen bis dahin, dass berufliche Karrieren nachhaltig beschädigt wurden. Darunter kann auch die persönliche Identifikation mit der Kirche leiden. Viele schweigen darüber aus Angst, ihre Reputation als Theologin bzw. als Theologe zu verlieren und unter Verdacht einer mangelnden Kirchlichkeit gestellt zu werden. Als ich Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie und des Internationalen Netzwerkes von Gesellschaften für Katholische Theologie war, habe ich viele solche Schicksale kennengelernt.
Das hat mir deutlich gemacht, dass es sich hier nicht nur um individuelle Fälle handelt, sondern um ein institutionelles Problem. In formellen und informellen Gesprächen mit Amtsträgern und Mitarbeitern der Glaubenskongregation und der Bildungskongregation habe ich mich zum Sprachrohr für diese Kolleginnen und Kollegen gemacht und diese Probleme thematisiert. Dabei hatte ich den Eindruck, dass seitens der Kongregationen – mittlerweile Dikasterien – ein Problembewusstsein vorhanden ist und dass die Notwendigkeit erkannt wurde, die Procedere zu überarbeiten und Verfahren transparent und fair zu führen.
Ich wünsche mir und hoffe, dass mein Fall dazu beiträgt, ein konstruktives Verhältnis des Vertrauens und des Dialogs zwischen Lehramt und akademischer Theologie, zwischen den Dikasterien und den theologischen Vereinigungen, Fakultäten und Hochschulen aufzubauen. Ich bin überzeugt, dass dies dem Geist der Synodalität entspricht, auf den Papst Franziskus die Kirche führen möchte.
Martin M. Lintner
Brixen, den 3. Juli 2023