Von: mk
Paris – Es klingt wie eine wilde Verschwörungstheorie – und doch hat es der französische Virologe Luc Montagnier bei einer Fernsehdiskussion vor laufenden Kameras offen ausgesprochen: Das heimtückische Coronavirus, das derzeit die ganze Welt in Atem hält, ist eine Chimäre, also ein im Labor künstlich erzeugtes Virus. Teile von HIV seien in harmlose Coronaviren eingebaut worden. Der Haken ist: Montagnier ist nicht irgendjemand. 2008 hat der Professor für die Erforschung von HIV den Nobelpreis gewonnen.
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In einer Fernsehdiskussion behauptete Montagnier, dass er und ein Kollege bei einer Untersuchung des neuen Coronavirus RNA-Sequenzen des HI-Virus gefunden haben, die nicht auf natürliche Weise zum Bestandteil von SARS-CoV-2 geworden sein könnten. Um eine HIV-Sequenz in das Genom einzubringen, seien molekulare Werkzeuge nötig, „und das kann nur in einem Labor gemacht werden“, erklärte Montagnier.
Ein indisches Forscherteam sei zu demselben Schluss gekommen und habe ebenfalls HIV-RNA-Sequenzen im neuartigen Coronavirus gefunden. Das Team sei dann jedoch unter Druck geraten und habe das Papier zurückgezogen. Als Nobelpreisträger sei er hingegen viel weniger eingeschränkt, sagte der 87-Jährige bei der Diskussion.
Heißer Kandidat für den Entstehungsort des Virus ist wohl das “Wuhan Lab”, das Virologische Institut der Universität Wuhan (WIV). Auf die Frage, warum jemand so ein Virus konstruieren sollte, antwortete der Virologe, dass er das nicht wisse. Allerdings stellte er Vermutungen an. Seine Hypothese lautet, dass Wissenschaftler aus China und aus den USA an einem Impfstoff gegen AIDS geforscht haben könnten – und dass dann das Virus entkommen ist.
Das klingt zunächst einmal wie das Drehbuch eines Thrillers. Trotzdem gibt es plausible Hinweise, die Montagniers Aussagen nicht ganz von der Hand weisen lassen. 2011 fingen Forscher des Wuhan Lab zusammen mit US-amerikanischen und australischen Kollegen in den Höhlen von Kunming in der Provinz Yunnan im Süden Chinas Fledermäuse, die 27 bisher unbekannte Viren beherbergten. Sämtliche Viren waren dem SARS-Virus ähnlich, berichtet heise.de.
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2013 veröffentlichten die Forscher ihre Erkenntnisse im Fachmagazin “Nature” über die Isolation eines SARS-ähnlichen Virus, das die Protein-“Zacken” auf seiner Corona-“Krone” für das Andocken an menschliche ACE2-Rezeptoren nutzt.
Darauf wurden die Viren isoliert, vermehrt und dann in verschiedene Medien wie Fledermauszellen, Mäusezellen oder Menschenzellen gegeben. Dabei wurde beobachtet, wie sie sich verändern, um sich an den neuen Wirt anzupassen. Am 9. November 2015 erschien darüber ein Artikel in “Nature Medicine”: “A SARS-like cluster of circulating bat coronaviruses shows potential for human emergence”.
Am 30. März 2020 ergänzte die Redaktion von Nature allerdings: „Wir haben bemerkt, dass dieser Artikel als Basis für unverifizierte Theorien benutzt wird, dass der neue Coronavirus der COVID-19 verursacht, künstlich hergestellt wurde. Es gibt keinen Beweis, dass das wahr ist; Wissenschaftler glauben, dass ein Tier die wahrscheinlichste Quelle des Coronavirus ist.“
Umstrittener Nobelpreisträger
Auch Montagnier erntete wegen seiner Aussagen Kritik in Frankreich. Die Zeitung „Le Monde“ bezeichnete den Nobelpreisträger als mittlerweile „umstritten“, da er sich unter anderem gegen Impfungen ausgesprochen habe und den “Unsinn” vertrete, Viren mit elektromagnetischen Wellen zu behandeln. Außerdem zitiert Le Monde einen australischen Experten, der behauptet, es gebe zu wenig Ähnlichkeit mit der Sequenz des HIV-Virus, „um daraus schließen zu können, dass es einen signifikanten Austausch von genetischem Material gegeben hat“.
Der Artikel aus Nature Medicine belegt allerdings, dass an Viren aus den südchinesischen Höhlen gentechnisch herumgeschraubt wurde. Bereits 2008 soll laut heise.de eine Gruppe um Professorin Zhengli Shi aus dem Wuhan-Labor herausgefunden haben, wie man ein natürlich vorkommendes Fledermaus-Coronavirus dazu bringt, durch leichte Modifikation des Spike-Proteins auch menschliche Zellen zu infizieren. Zudem dokumentiert die Studie, dass HIV-Genmaterial für die Experimente verwendet wurde.
Die Natur toleriert nicht alles
Eindeutiger Beweis für Montagniers Vermutung, dass in den “Wuhan Labs” möglicherweise an einem Impfstoff gegen die Immunschwäche Aids gearbeitet wurde, ist das keiner. Interessant ist allerdings, was Ärzten und Forschern bei der Behandlung von Covid-19-Patienten aufgefallen ist: Das SARS-CoV-2 greift ähnlich wie HIV die T-Zellen des Immunsystems an.
Ist damit der Fischmarkt in Wuhan als Ursprung des Coronavirus als Legende entlarvt? Sofern es keinen Leak gibt, werden sich Wissenschaftler und ganz besonders wohl Regierungen davor hüten, Verantwortung für das Desaster der Pandemie zu übernehmen. Sollte Montagnier mit seinen Aussagen dennoch richtig liegen, gibt es allerdings auch Hoffnung.
Seiner Ansicht nach akzeptiert die Natur nicht alles. Zwar könne der Mensch alles Mögliche mit ihr anstellen. Allerdings hat eine künstliche Konstruktion nur wenige Überlebenschancen. „Die Natur liebt harmonische Dinge. Was dem nicht entspricht, wie etwa ein Virus, das mit einem anderen Virus kombiniert wurde, wird nicht einfach toleriert“, erklärte der Virologe bei der Fernsehdiskussion.
In den USA, wo es die meisten Fälle gebe, sei das Virus bereits mutiert: Die mutmaßliche HIV-Sequenz im Coronavirus mutiere dabei schneller als die übrigen Bestandteile, was letztendlich zu seinem Verschwinden führe, erklärt der Virologe. Salopp formuliert heißt das: SARS-CoV-2 könnte mit der Zeit möglicherweise wieder zu einem harmlosen Coronavirus werden, das lediglich einen Schnupfen verursacht.
Mittlerweile haben sich allerdings auch italienische Forscher zu Wort gemeldet, die Montagniers Theorie bestreiten.
Kritiker der Labor-Theorie
Kritiker der Labor-Theorie führen gerade die Forscherin Zhengli Shi an, die entdeckt habe, dass das neuartige Coronavirus von Fledermäusen über Schuppentiere als Zwischenwirt auf den Menschen übertragen wird. Das Schuppentier ist sowohl eine beliebte Zutat in der traditionellen chinesischen Medizin als auch eine kulinarische Delikatesse im Südosten des Landes, schreibt der Corriere della Sera.
Das Coronavirus im Menschen und jenes im Gürteltier würden nur zu 90,3 Prozent korrespondieren. Unterschiede liegen vor allem in den Spike-Proteinen, mit denen sich das Virus an die Zelle des Wirts klammert. Die Anpassung an den Menschen hätte unmöglich im Labor erfolgen können, erklärt unter anderem der Immunologe Eric Muraille aus Brüssel. Dies sei kategorisch ausgeschlossen.
Der englische Virologe Edward C. Holmes verweist hingegen auf die Evolution des Virus, die es auf seiner Reise von der Fledermaus zum Menschen hinter sich hat. Würde man die genetischen Unterschiede in einen zeitlichen Rahmen übersetzen, würden zwischen den Viren, die von Shi untersucht wurden, und den neuartigen Coronaviren eine Spanne von 20 bis 50 Jahren liegen. Die einzelnen Zwischenschritte ließen sich sehr schwierig in einem Labor nachstellen.
Etienne Simon-Loriere, Forscher am Institut Pasteur, der ebenfalls von Le Monde zitiert wird, hält das Virus für zu groß, als dass es in einem Labor hätte erzeugt werden können. Seiner Ansicht nach wirke das Coronavirus zu natürlich für eine künstliche Konstruktion.