Von: mk
Bruneck/Bozen – Es ist eine alte Therapeutenerfahrung: Weihnachten und Neujahr sind Krisenzeiten. Das gilt vor allem für Alleinstehende. In der Corona-Krise sind viele noch einer weiteren Belastung ausgesetzt. Doch es gibt auch Hilfe. Darauf macht Roger Pycha, Primar der Psychiatrie am Krankenhaus Brixen, aufmerksam.
Nicht alles, was glänzt, ist Gold. Auch Schneekristalle glänzen eisig. Zu Weihnachten macht die Kälte draußen bereit für innere Wärme, man rückt zusammen im Familienkreis, wünscht sich Freude und will sie fast zwingen, auf den Tag und auf die Stunde. Am Heiligabend soll das alles, bereichert um möglichst überraschende Geschenke, über die Bühne gehen. Manche ärgern sich über Regiefehler. Andere sind ganz einfach ausgegrenzt, fallen durch den Rost der zusammengerückten Familien in schneidende Einsamkeit, innere Kälte. Zu Neujahr gibt es einen Neustart nach ausgelassenem Feiern. Hoffnungen und Wünsche werden frei gesetzt, manchmal erleichtert durch etwas Alkohol. Nicht alle Menschen ziehen positive Bilanzen. Manche bemühen sich um ein Lächeln nach außen, um nicht aufzufallen. Andere sind von vorneherein nicht mit von der Partie.
Das gewollt Positive zieht auch gegenteilige Kreise, Schwierigkeiten und Ängste brechen auf. Als Durchschnittsmensch sollte man auf Krisen vorbereitet sein, wenn Feste zu feiern sind. Tatsächlich nehmen um Weihnachten die Anrufe bei Telefonberatungsstellen um bis zu 30 Prozent zu, die Verlassenheit wird zum vorrangigen Thema. Beim nationalen Kongress von telefono amico 2010 in Bozen wurde betont, die beiden wichtigsten Anliegen der Anrufer bei der Telefonberatung sind Einsamkeit und Erschöpfung.
Hilfsbedürftige wissen um die Urlaube ihrer Helfer und Therapeuten, und werden ängstlicher. Erste Hilfe-Stationen und psychiatrische Abteilungen füllen sich mit Menschen in Existenzkrisen, die manchmal auch in Drogen ertränkt worden sind, körperliche Symptome erzeugen oder direkt in Depression umschlagen. Und heuer kommt Corona wieder dazu. Da kann Weihnachten zur Krise in der Krise werden.
„Vor genau 20 Jahren war ich mit Cristina Grazioli von der Selbsthilfeorganisation psychisch Kranker Lichtung auf dem Heimweg von einer Tagung im Ausland, als sie mir eröffnete, was sie sich sehnlichst wünschte: Zu Weihnachten nicht alleine zu sein. Und ich entgegnete ihr, es ginge sicher vielen Alleinstehenden gleich. Da meinte sie, wenn man all die Einsamen am Heiligen Abend zusammenbrächte, wären sie es wohl nicht mehr. Ich ergänzte, versuch‘s doch mit der Lichtung, da gibt es viele einsame psychisch Kranke, die vielleicht nur darauf warten, gerufen zu werden“, erklärt Roger Pycha.
Sie tat es, und begründete die Weihnachtsfeiern für Alleinstehende in Bruneck. Sie wurden alljährlich ein voller Erfolg, 2019 beteiligten sich 13 Organisationen daran, anderswo im Land gab es bereits kleine Ableger. 2020 legte Corona alles lahm.
Heuer meldet sich die zähe Lichtung zurück, wieder allein, wie ganz zu Beginn. Es ist ihr wichtig, dann präsent zu sein, wenn alle anderen mit sich selbst beschäftigt sind. Am Heiligen Abend um 17.00 Uhr beginnt im Pfarrsaal des Pfarrheimes neben der Pfarrkirche Bruneck das heurige Weihnachtsfest für Alleinstehende in Präsenz. Eingelassen wird jeder mit Green Pass, für drei Stunden Wärme, Besinnlichkeit und Gemeinschaft, für innige Erlebnisse in einer Gruppe Gleichgestellter. Eine telefonische Voranmeldung ist bitte doch erforderlich, im Büro der Lichtung bei Frau Monika Gasser, 0474 530266, oder Lichtung-Handy 349 0089588.
Dieser mutige Neuanfang wurde vor Kurzem im Netzwerk PSYHELP Covid 19 diskutiert. Da hatte Verena Perwanger den Einfall, es sollte auch ein virtuelles Weihnachtsfest geben. Sie leitete die Idee an die Genesungsbegleiter des Verbandes der Angehörigen psychisch Kranker weiter, und sie verwirklichten sie sofort. Am Mittwoch, den 22. Dezember gibt es eine Online-Weihnachtsfeier für alle, die teilnehmen wollen, Beginn ist um 18.00 Uhr. Musik, Gedichte, Lieder zum Mitsingen, Witze und Weihnachtsgeschichten, ein heiter-besinnliches Gemisch wird bis ca. 20.00 Uhr geboten. Zugangsdaten sind https://us06web.zoom.us/j/81285868221, Meeting ID: 812 8586 8221, Kenncode: 353319.
Das Netzwerk PSYHELP Covid 19 dankt der Lichtung und den Genesungsbegleitern des Verbandes Ariadne für diesen großen Schritt hin zur Normalität in weiterhin schwierigen Zeiten. Die Botschaft der psychisch Kranken und ihrer Freunde ist ganz eindeutig und hilfreich: Wir lassen uns nicht unterkriegen.