Er verlässt das Kommando der Südtiroler Carabinieri

Oberst Rivola zu Jugendbanden: „Bei einer Festnahme ist es schon zu spät“

Mittwoch, 23. Oktober 2024 | 15:42 Uhr

Von: mk

Bozen – Nach drei sehr intensiven Jahren im Kommando der Südtiroler Carabinieri ist Oberst Raffaele Rivola, 47 Jahre alt und aus Ravenna stammend, dem Generalkommando des Korps in Rom als Leiter des Büros für internationale Zusammenarbeit zugewiesen worden. Im Rahmen einer Pressekonferenz hat er Bilanz über seine Zeit in Südtirol gezogen.

Für Oberst Rivola ist dies keine Versetzung wie jede andere, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst einmal zählt der emotionale Aspekt. „In den Wälder und Gipfel der Dolomiten befinden sich die schönsten Erinnerungen meiner Kindheit. Mit meinen Großeltern und meinen Eltern habe ich dort jedes Jahr bis zu zwei Monate verbracht“, erinnert sich der Offizier, der von klein auf eine tiefe Verbindung zu Südtirol hat. Oberst Rivola, der sich schon immer für die Berge in all ihren Aspekten, vom Klettern bis hin zum Skifahren und Skitourengehen, begeistert hat, kam im September 2021 mit einem umfassenden Wissen über das Land – nicht nur geografischer Natur – in Südtirol an. Als Geschichts- und Geopolitikwissenschaftler war er von Anfang an mit der soziopolitischen und kulturellen Dynamik der Autonomen Provinz vertraut. Seine Fähigkeit, Fakten und Orte zu interpretieren und zu verknüpfen, ermöglichte es ihm, vom ersten Tag an in seinen Arbeitsbereich voll einzusteigen, ohne dass er sich erst akklimatisieren musste. Dafür dankte er auch Landeshauptmann Arno Kompatscher und der Landesregierung: „Sie haben mir von Anfang an eine bedingungslose Zusammenarbeit angeboten“.

Direkt nach seiner Ankunft aus den Arabischen Emiraten, wo er für den Generalstab des Verteidigungsministeriums gearbeitet hatte, erklärte Oberst Rivola zunächst, dass die Hauptziele seiner Tätigkeit die Jugendkriminalität und die Sicherheit des täglichen Lebens seien, mit besonderem Augenmerk auf die Raubüberfälle und Diebstahlsdelikte. „Viele sagten, dies seien die Folgen der langen Zeit von Corona, aber bei näherer Betrachtung stellte man fest, dass es sich um eine komplexere Dynamik handelt, die mit der Entwicklung der Gesellschaft und der Welt der sozialen Medien zusammenhängt. Ich erinnere mich, dass wir im September 2021 bei der ersten Sitzung des Komitees für öffentliche Ordnung und Sicherheit, an der ich teilnahm, nach den Ereignissen in Leifers darüber gesprochen haben. Es ist eine Genugtuung für uns, dass wir erst vor wenigen Tagen vom Bürgermeister von Leifers, Giovanni Seppi, und vom ehemaligen Bürgermeister, jetzt Landesrat Christian Bianchi, ein Lob für die Arbeit der Carabinieri erhalten haben, die es ermöglicht hat, diese Vorfälle zu bekämpfen.“

Ein ähnliches Szenario gab es in Meran, wo die Carabinieri neben Fällen von Jugendkriminalität auch mit allgemeiner Kriminalität zu tun hatten. Auch hier konnten mehrere Fälle aufgeklärt werden und das Sicherheitsgefühl hat sich verbessert, wie bei dem Treffen mit Bürgermeister Dario Dal Medico vor zwei Tagen in Erinnerung gerufen wurde. In diesem Zusammenhang dankte der Kommandant dem Regierungskommissar, Vito Cusumano, für „die ständige Arbeit bei der Leitung und Koordinierung der Ordnungshüter im Land“ und erinnerte an die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den Leitern der anderen Polizeikräfte.

Die Jugendkriminalität und die allgemeine Kriminalität sind laut Rivola oft zwei miteinander verbundene Aspekte und selbst angesichts der Erfolge dürfe man nicht nachlassen, sondern müsse die Komplexität des Phänomens berücksichtigen: „Das Eingreifen der Orndungskräfte, auch wenn es mit einer Festnahme wegen eines versuchten Verbrechens oder mit einer Präventivvorkehrung endet, betrifft immer ein Subjekt, das leider bereits den Weg der Kriminalität eingeschlagen hat. Wir müssen die Ursachen bekämpfen, und zwar durch gemeinsame Maßnahmen nicht nur der Polizei, sondern auch anderer sozialer Akteure wie Schulen, lokale Behörden und Sozialdienste“, so der Oberst.

Obwohl die Zahl der Festnahmen in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 13 Prozent gestiegen ist, darf laut Rivola die soziale Dimension dieses Phänomens nicht untergeschätzt werden.

Der wichtigste Aspekt für die Sicherheit sei nach wie vor die Vorbeugung, ist der Oberst überzeugt. Auf Landesebene sind allein im letzten Jahr die Taschendiebstähle um zehn Prozent, die Ladendiebstähle um 25 Prozent, die Raubüberfälle um 20 Prozent und die Überfälle auf öffentlichen Straßen um 40 Prozent zurückgegangen. Wichtig seien in diesem Zusammenhang auch die Carabinieri-Kontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln und sowie die Kontrollen der Streifen, die zu Fuß in den Stadtzentren unterwegs sind.

In Zusammenhang mit Einsätzen gegen das organisierte Verbrechen und kriminelle Banden hob Oberst Rivola drei davon: „Die Zerschlagung eines Netzwerks von Drogenhändlern im Jahr 2023 durch die Carabinieri der Kompanie Neumarkt mit der Beschlagnahme von mehreren Dutzend Kilogramm Drogen zwischen Monza und den Provinzen Bozen und Trient; die Verhaftung einer Gruppe, die für Hauseinbrüche und Raubüberfälle im Pustertal im Jahr 2024 verantwortlich war. Im Jahr 2022 wurde eine Bande verhaftet, die für den Überfall auf Geldautomaten verantwortlich war.“ Die Geldautomaten waren manipuliert und gehackt worden. Dadurch war es den Tätern gelungen, Bargeldauszahlung zu erzwingen. Nach dieser Operation gab es in Südtirol keine derartigen Fälle mehr.

“Die organisierte Kriminalität macht vor keinem Hindernis Halt”

Zur Mafia in Südtirol sagt Oberst Rivola: „Die Südtiroler Wirtschaft ist immer noch nicht sehr durchlässig, weil sie hauptsächlich familiär strukturiert ist. Dennoch habe ich in meiner langjährigen Tätigkeit im Kampf gegen die ‘ndrangheta gelernt, dass die organisierte Kriminalität vor keinem Hindernis Halt macht, wenn es um große wirtschaftliche Interessen geht. Und die Unterwanderung kann sich auch auf öffentliche Einrichtungen und die Politik erstrecken. Deshalb arbeiten wir intensiv an der Aufklärung und den Ermittlungen. Zusätzlich zur  Strafverfolgung müssen wir die Wirtschaftsakteure und die lokale Verwaltung für die Risiken sensibilisieren und ihnen helfen, die Anzeichen für Unterwanderungsversuche zu erkennen und sie uns schnell mitzuteilen.“

Der Oberst erinnerte auch an die Bedeutung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit, um Anzeichen für eine terroristische Radikalisierung zu erkennen – eine Erfahrung, die er in seiner Zeit in der Abteilung für Terrorismusbekämpfung des ROS direkt erlebt hat: “2015 hat das ROS eine dschihadistische Zelle in Meran ausgehoben; dies macht deutlich, dass das Internet junge Menschen überall anfällig für Anregungen und Rekrutierungsversuche durch terroristische Organisationen macht. Es ist nicht notwendig, große Anschläge an symbolträchtigen Orten zu verüben, um Terror zu erzeugen. Eine Messerstecherei oder das Überfahren von Menschen mit einem Auto auf einem Weihnachtsmarkt reichen aus.“

Der Kommandant erinnerte auch an kritische Situationen, die man in einem Land wie Südtirol nicht erwarten würde, wie etwa den Doppelmord in Innichen in diesem Sommer. „Als ich die Verantwortung für die Entscheidung über den Einsatz der Sondereinsatzgruppe in einem sehr heiklen städtischen Kontext und mitten in der Tourismussaison übernahm, musste ich eine sehr komplexe Analyse schnell und kühl durchführen. Eine echte Herausforderung“, so der Oberst.

Die Carabinieri haben in den letzten Jahren mit der Zeit Schritt gehalten. Zuletzt wurden Kontrollen  in den Bergen deutlich intensiviert: „Im Sommer haben wir einen exponentiellen Anstieg der Touristen erlebt und es kommt einem vor, als ob sämtliche Einwohner einer großen Stadt mit E-Bikes und Skiliften in Richtung unserer Berghütten und Wanderwege unterwegs wären. Dort gibt es auch immer mehr Kriminalität, und es ist notwendig, mit unseren Einheiten anwesend zu sein. Wir patrouillieren daher auch zu Fuß und mit E-Bikes auf Wegen und Hütten. Mehrere Verbrechen und Unfälle konnten verhindert werden“, so Rivola. In einem Fall sei das Leben einer Person gerettet worden, die auf einem Wanderweg einen Herzinfarkt erlitten habe.

“Ein Gefühl der Schuld begleitet sie ihr ganzes Leben”

Während der Pressekonferenz wurde an die zahlreichen Initiativen der Carabinieri erinnert, um Bürger zu sensibilisieren – vom Carabinieri-Schultagebuch, das dank der Gemeinde Bozen in den Schulen verteilt wird bis hin zur Arbeit mit Senioren, um diese vor Betrügereien durch falsche Anwälte oder vermeintliche Angehörige der Polizei zu warnen: „Es handelt sich um eines der abscheulichsten Verbrechen, denn die älteren Personen, die ihre gesamten Ersparnisse, die sie ihren Erben hinterlassen wollten, verlieren, entwickeln ein Gefühl der Schuld und des Versagens, das sie für den Rest ihres Lebens begleitet. Das psychologische Trauma ist irreparabel. Manchmal sind wir gerührt, wenn sie uns unter Tränen erzählen, was ihnen widerfahren ist. Glücklicherweise ist es uns in mehreren Fällen gelungen, die Täter zu fassen, aber es ist wichtig, dass die älteren Menschen über dieses Phänomen aufgeklärt werden.“

Oberst Rivola verlässt also einen Bereich, den er liebt und in dem er enge Beziehungen der Zusammenarbeit und Freundschaft geknüpft hat, auch und vor allem mit der gesamten Welt des Ehrenamtes. Ein Beispiel für alle: “Wir haben unsere Beziehungen zur Freiwilligen Feuerwehr stark intensiviert. Es war mir eine Ehre, auf ihrer Landesversammlung sprechen zu dürfen, ebenso wie die Initiativen, die sie mir gewidmet haben, auch jetzt anlässlich meines Abschieds“.

Abschließend bedankte sich der Kommandant bei allen seinen Mitarbeitern für die Unterstützung, die sie ihm zu jeder Zeit gewährt haben, und er lobte die Zusammenarbeit mit dem Ehrenamt in Südtirol, allem voran mit der Freiwilligen Feuerwehr.

Zu seiner neuen Aufgabe sagte er: „Sie ist sicher aufregend, denn ich werde für die internationalen und diplomatischen Beziehungen sowie für die Kooperationsprojekte mit internationalen Organisationen auf europäischer Ebene und darüber hinaus zuständig sein. Ich werde auch die Zusammenarbeit mit Polizeibehörden aus praktisch allen Teilen der Welt verwalten. Diese Aufgabe steht im Einklang mit meiner langjährigen Auslandserfahrung. Als Geopolitikwissenschaftler könnte ich mir nicht mehr wünschen, vor allem in dieser heiklen Phase der internationalen Beziehungen.“

Bezirk: Bozen

Kommentare

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4 Kommentare auf "Oberst Rivola zu Jugendbanden: „Bei einer Festnahme ist es schon zu spät“"


Sortiert nach:   neuste | älteste | Relevanz
Homelander
2 Tage 7 h

Das was er über die “Ersparnisse  der älteren Personen”  erzählt, ist schon echt Heftig 😔 deswegen müßen wir besonders  die älteren Menschen schützten! 

N. G.
N. G.
Kinig
2 Tage 5 h

Guter Mann! Er soricht davon, dass wenn ein Täter festgenommen wurde, es zu spät ist. Ursachenbekämpfung bei Jung und Alt und nicht von immer höheren Strafen.

Paladin
Paladin
Universalgelehrter
1 Tag 13 h

@N.G.: Beides ist richtig. Es braucht eine gute Präventionsarbeit. Dafür ist aber nicht allein der Staat verantwortlich. Das fängt in den Familien an. Dann braucht es ein gutes Netz aus Schul- und Jugendarbeit des Staates. Das (aller)letzte Mittel muss dann aber auch die Möglichkeit einer angemessenen Bestrafung sein. Wer sich für eine kriminelle Richtung entscheidet, sollte zumindest wissen, dass es böse enden kann und nicht das ohne hin nichts passiert (oder sehr wenig). Es braucht also ein Zusammenspiel mehrere Faktoren, Einrichtungen und vor allem Menschen.

Faktenchecker
2 Tage 7 h

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