Hohe Verluste auch durch Pandemie-Nebeneffekte

Österreich verlor durch Pandemie rund 350.000 Lebensjahre

Dienstag, 11. März 2025 | 19:05 Uhr

Von: apa

In den durch den neuen SARS-CoV-2-Erreger geprägten Jahren 2020 bis 2022 gingen in Österreich laut einer neuen Studie unter Führung britischer Forscherinnen und Forscher rund 350.000 Lebensjahre quasi verloren. Mehr als die Hälfte davon hätten die Betroffenen in weitestgehender Gesundheit verbracht, so die Schätzung. Neben Covid selbst geht aber auch ein großer Anteil der “verlorenen Jahre” auf die Begleitumstände der Pandemie, wie Brüche in der Medizin-Versorgung, zurück.

Unter “gesunden Lebensjahren” versteht man in den Gesundheitswissenschaften die Anzahl jener verbleibenden Jahre, die eine Person ab einem bestimmten Alter aller Voraussicht nach ohne mittelschwere oder schwere Gesundheitseinschränkungen leben wird. Da dieser Wert bei hochbetagten Menschen in der Regel stark abnimmt und nach dem Auftreten von Covid-19 rasch klar war, dass die Hochrisikogruppe vor allem aus sehr alten Menschen besteht, gab es immer wieder auch Stimmen, die darauf hinwiesen, dass der Verlust an gesunden Jahren vielleicht vergleichsweise gering ausfallen könnte – eine These, die die neuen Studienergebnisse allerdings eher nicht stützen.

Impfungen senkten Covid-bedingte Übersterblichkeit

In Österreich und den allermeisten anderen europäischen Ländern setzte man bekanntlich teils auf strikte und mit Fortdauer der Pandemie entsprechend immer umstrittenere Regelungen für breite Bevölkerungsteile. Im Gegensatz dazu fokussierte dagegen etwa Schweden seine Eindämmungsmaßnahmen stark auf ältere Personen. Das Forschungsteam um Sara Ahmadi-Abhari vom Imperial College London und Kollegen aus Polen, Finnland und den USA hat nun im Fachblatt “Plos Medicine” nicht etwa Auswirkungen von Maßnahmen analysiert, sondern versucht, auf Basis von statistischen Daten die verlorenen Lebensjahre in 18 europäischen Ländern abzuschätzen.

In den Haupt-Pandemiejahren 2020 bis 2022 kommen sie in ihrer Analyse in allen untersuchten Ländern auf knapp 17 Millionen verlorene Jahre. Dafür hauptverantwortlich waren Todesfälle mit Covid-19. Mit Beginn der Impfkampagnen und deren breitem Ausrollen ging die auf die Krankheit selbst zurückzuführende Übersterblichkeit in den Jahren 2021 und 2022 dann auch merklich zurück.

Österreich “verlor” rund 70 Lebensjahre pro 1.000 Einwohner

Allerdings: Der Anteil verlorener Jahre im Rahmen der Pandemie, die nicht direkt auf Covid-19 zurückzuführen sind, war laut der Analyse beträchtlich – nämlich zwischen 3,6 und 5,3 Millionen Lebensjahre. Und dieser Anteil sank auch nicht ab, als die Covid-19-Impfungen anfingen zu greifen. Im Gegenteil: Die Nicht-Covid-Übersterblichkeit stieg in den meisten Ländern im Untersuchungszeitraum nämlich an.

Für Österreich weist die Studie im ersten Pandemiejahr ein Lebensjahr-Minus von knapp 90.000 sowie in den Folgejahren – mit deutlich stärkeren Covid-Wellen – rund 123.000 (2021) und 140.000 Jahren (2022) aus. Beim Umlegen der verlorenen Jahre auf die Gesamtbevölkerung liegt Österreich mit rund 70 Jahren Verlust pro 1.000 Einwohner eher im hinteren Mittelfeld der 18 untersuchten Länder. Während in Estland, Polen, Spanien, Ungarn und Tschechien die anteilig meisten Lebensjahre abhanden kamen – nämlich über bzw. um 100 pro 1.000 Einwohner -, waren es in der Schweiz, Dänemark oder Schweden relativ wenige – nämlich um die 20. Für Deutschland ermittelten die Wissenschafter einen Wert um die 50 verlorene Lebensjahre pro 1.000 Personen. Außer in Schweden kehrte bis Ende 2022 die Lebenserwartung von Menschen über 35 Jahre in keinem Land zum Niveau des Jahres 2019 zurück.

Auch Ältere verloren einige “gesunde Lebensjahre”

Wie in den meisten untersuchten Staaten, hätte in Österreich mehr als die Hälfte der verlorenen Zeit bei relativ guter Gesundheit verbracht werden können. Laut den Autoren zeigt dies, dass die Verwerfungen der Pandemie sogar eher unterschätzt wurden, da sie auch bei Menschen über 80 viele “gesunde Lebensjahre” kostete. Länder mit tendenziell höheren Durchschnittseinkommen konnten den Verlust insgesamt besser eingrenzen, Frauen verloren deutlich weniger Lebensjahre als Männer. Das zeige auch, dass sich sozioökonomische- und Geschlechterunterschiede insgesamt verstärkt haben.

Vor allem die Erkenntnis, dass die Pandemie auch bei Personen zu einer Übersterblichkeit geführt hat, die nicht an oder mit Covid-19 verstarben, “zeigen die breiten Auswirkungen der Pandemie”, wird Ahmadi-Abhari zitiert. Diese Todesfälle dürften laut der Erstautorin vor allem durch Ausfälle in der Gesundheitsversorgung zustande gekommen sein – vor derartigen “Kollateralschäden” der Eindämmungsmaßnahmen haben Experten im Pandemie-Verlauf mehrfach gewarnt. Die Erkenntnisse aus ihren Berechnungen würden jedenfalls “die dringende Notwendigkeit eines umfassenden Programms zur Pandemie-Vorbereitung” zeigen, das sowohl die kurz- als auch die langfristigen Effekte auf die öffentliche Gesundheit mitberücksichtigt, so Ahmadi-Abhari.

(S E R V I C E – https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1004541)

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