Zweisprachigkeitsnachweis verschärft Personalnot – ein Kommentar

“Patentino” um jeden Preis?

Donnerstag, 06. März 2025 | 01:55 Uhr

Von: ka

Bozen – Die mutmaßlich gefälschten Zweisprachigkeitsnachweise zweier Ärzte lassen nicht nur im Südtiroler Gesundheitswesen, sondern auch in der heimischen Öffentlichkeit die Wogen hochgehen.

Dies dürfte nur die Spitze des Eisbergs sein. Kenner der internen Verhältnisse im heimischen Gesundheitswesen erleben fast täglich, dass nicht wenige Inhaber der liebevoll auch „Patentino“ genannten Zweisprachigkeitsnachweise im Berufsleben ihre liebe Mühe mit der gelebten Zweisprachigkeit haben. Auch Klagen von Patienten, dass Ärzte und Pflegepersonal die deutsche Sprache nicht oder nur sehr mangelhaft beherrschen, sind immer wieder zu hören.

Da ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Verdacht, dass so manches Sprachzertifikat unter fragwürdigen Umständen erworben wurde. Echte Fälschungen, wie sie im Fall der beiden Anästhesisten vermutet werden, sollen die große Ausnahme sein. Beliebter sei es, sich an private Institute zu wenden, die gegen bares Geld „Hilfe“ jedweder Art beim Erwerb der begehrten Sprachzertifikate versprechen.

APA/APA/dpa-Zentralbild/Waltraud Grubitzsch

Wären die Wartelisten nicht so lang und die Personalsituation im Südtiroler Gesundheitswesen nicht so angespannt, könnte man über den aufgedeckten mutmaßlichen Betrug herzlich lachen. Die nicht zuletzt durch die EU-Gesetzgebung erzwungene Praxis, befristete Verträge nach drei Jahren nicht mehr verlängern zu können, verschärft die Situation für viele Ärzte und Pflegekräfte und lässt manchen, der eigentlich dem heimischen Gesundheitssystem treu bleiben will, über höchst dubiose Abkürzungen nachdenken.

Wer sich jetzt über die beiden erwischten Anästhesisten freut, vergisst, dass in fast allen wohlhabenden Staaten des Westens und des Nahen Ostens Ärzten mit Facharztausbildung wie allen anderen Gesundheitsberufen der rote Teppich ausgerollt würde.

Nüchtern betrachtet verliert das öffentliche Gesundheitswesen zwei Fachkräfte, die ihm unter normalen Umständen erhalten geblieben wären. Da Anästhesisten für einen reibungslosen OP-Betrieb unverzichtbar sind, werden sich die entsprechenden Wartelisten leider verlängern.

Ohne den Betrug beschönigen zu wollen, müssen wir uns fragen, ob wir dazu bereit sind, für den „Patentino“ einen hohen Preis zu zahlen. Besser wäre es, sich auf politischer Ebene für Fristverlängerungen und Unterstützung beim Erlernen der Zweitsprache einzusetzen.

Bezirk: Bozen

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