Von: luk
Bozen – “Psychisch fit sein, hilft gegen Corona”: Das sagen Roger Pycha und Sabine Cagol von Psyhelp Covid 19 anlässlich des Welttages der psychischen Gesundheit.
Was uns psychisch gesund hält und krank macht, ist durch die weltweite Corona-Pandemie deutlicher geworden. Durch die medizinische Bedrohung entsteht eine viel größere psychische: die Angst. Sie ist das Gefühl des Überlebens. Wir stammen von den ängstlichen Vorfahren ab, die einen Baum hochgeklettert sind, als es hinter ihnen im Gebüsch raschelte. Die anderen, Mutigen, blieben sitzen und wurden vom Säbelzahntiger zerfleischt oder vom feindlichen Stamm getötet.
Ganz ähnlich fordert die Angst jetzt unsere volle Aufmerksamkeit und beeinflusst unser Verhalten. Sie wegzureden, wird nichts helfen. Erstmals sind wir einem globalisierten Gefühl ausgesetzt, das wir am besten radikal bejahen. Es hilft uns, intelligenter zu kämpfen und früher zu fliehen. Es eint uns auch. Alle Menschen können jetzt, in unterschiedlichem Ausmaß, Angstkranke verstehen. Viele zermürben sich in Zweifeln und Grübeleien, geraten in Erschöpfung. Auch dafür gibt es einen Fachausdruck: Depression. Bei Covid-Kranken tritt sie offenbar dreimal häufiger auf als bei Gesunden. Leicht können wir uns jetzt in Menschen einfühlen, die an ihr leiden. Diese riesige Krise hat große Gefahren geweckt, sie hat uns aber auch empfindsamer gemacht. Einige psychisch Kranke haben das ganz provokant beschrieben: Jetzt ist die ganze Welt in der Lage, in der wir früher als Minderheit waren. Ca jeder zweite bis dritte Mensch leidet in seinem Leben an einer psychischen Störung, es handelt sich also um ein sehr große, laufend wachsende Minderheit.
Was hilft da zu mehr Gesundheit? Der große Soziologe Aaron Antonowsky hat Antworten darauf gesucht, und sie bei den Überlebenden des Holocaust gefunden. Auch noch in unerträglichen Extremsituationen hilft es uns, wenn wir eine Lage überblicken, wenn wir handlungsfähig bleiben und wenn unsere Tätigkeit Sinn stiftet. Übersetzt ins Kleine, nach Südtirol und in den Bereich der psychosozialen Not, heißt das: Das oberste Fachgremium für psychische Gesundheit und die Psychologenkammer sehen vorher, dass ein großer psychologischer und psychiatrischer Hilfebedarf entstehen wird. Man gründet am 5. März das weit gespannte Netzwerk PSYHELP Covid 19, an dem sich 15 Dienste des Gesundheitswesens und ca 20 private Vereinigungen beteiligen. Es gibt den einzelnen Diensten Hinweise, wie sie den Kontakt zu ihren Patienten trotz Lockdowns halten sollen, tritt mit der website „dubistnichtallein“ und verschiedenen Texten mit Verhaltensempfehlungen an die Öffentlichkeit, organisiert die Psychologischen Dienste als Anlaufstellen und Verteiler für Informationsbedürftige und Therapiewillige, staffelt weitere Dienste und Anlaufstellen für den Fall einer Bedarfslawine, und verhandelt mit der Politik und Verwaltung über Teletherapie, Gratisleistungen, psychische Begleitung von Risikogruppen wie Menschen in Quarantäne, Covid-Positiven, schwer Erkrankten, ihren Angehörigen, Mitarbeitern des Gesundheitswesens und der Seniorenheime und Rettungskräften im Einsatz. Das Netzwerk bestimmt selbst sechs zum Teil wechselnde Koordinatoren mit unterschiedlichen Aufgaben, ausgehend von den Notfallpsychologen unter Dr. Erwin Steiner, vernetzt sich mit der Medizinischen und später mit der Sozialen Einsatzleitung, aktiviert sich innerhalb eines Tages als die größte je in Südtirol erlebte Suizidhäufung bekannt wird und kann, auch mit Hilfe gezielter Medienberichte, unmittelbar darauf Entwarnung geben: auf Normalhäufigkeit gesunkene Suizide ( 1 pro Woche ca) in Südtirol.
Der wissenschaftliche Koordinator Dr. Roland Keim realisiert für den Südtiroler Sanitätsbetrieb eine elektronische Befragung der Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die auch an anderen italienischen Kliniken läuft. In einem ähnlichen Projekt werden landesweit chronisch körperlich Kranke hinsichtlich psychischer Folgen der Coronakrise befragt. Eine weitere Studie zum Zusammenhang von COVID-19 und Psyche wurde gemeinsam mit ASTAT, dem Institut für Allgemeinmedizin und der Eurac realisiert. Erste Ergebnisse sind in den nächsten Tagen zu erwarten. Die Zusammenhänge dieser Ergebnisse sind komplex und bedürfen einer genauen Analyse. Aber jedenfalls entstehen wissenschaftliche Fragen und Antworten, auch in der Krise und gerade durch sie. Das ist Sinnsuche im Interesse der psychischen Gesundheit.
Dass es anderswo nicht anders ist, belegt eine heute publizierte Studie des Anton Proksch-Instituts in Wien. Dort hat Prof. Michael Musalek mit seinem Team erhoben, dass die psychische Belastung der Coronakrise größer ist als die wirtschaftliche. Psyche kommt doch vor Geld.