Von: luk
Bozen – Die Exponenten des Hilfsnetzwerks PSYHELP Covid 19, Roger Pycha, Sabine Cagol und Francesca March, wollen die Öffentlichkeit psychologisch zu geeignetem Verhalten in dieser Zeit animieren. Es wird davon gesprochen, dass die neuen sozialen Normen unangenehm seien. Leichter ertragen könne man sie, indem man sich deren Ende vor Augen hält. Gerne könne man über die Regeln wie Sicherheitsabstand usw. schimpfen, befolgen sollte man sie aber genau, so Pycha, Cagol und March.
Regeln einhalten – einfach schwer
Vor Kurzem stellte der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck in Bozen sein Buch mit dem eingängigen Titel „Toleranz- einfach schwer“ vor, und weckte uns den gesamten Abend lang Assoziationen zur aktuellen Situation in der Coronakrise. Was wir bisher dem Virus vorbeugend entgegensetzen können, ist bloßes Verhalten. Verhalten wird durch die Psyche gelenkt, und die Psyche durch Information. In diesem Sinne ist Wissen, auch nur teilweises Wissen, Schutz und Macht. Anderseits ist Wissen etwas, was wir dauernd auch in Zweifel ziehen. Und inoffizielles Wissen, Gerüchte, persönliche Erzählungen wiegen häufig schwerer als jeder allgemeine Grundsatz, der uns ohnehin überall vorgebetet wird. Den wir nicht mehr hören können und den wir aktiv in unserem Gehirn unterdrücken. Heimliche Zusatzinformationen bieten den Einzelnen, Firmen und Staaten Überlebensvorteile. Deshalb ist Klatsch so attraktiv, deshalb gibt es Werkspionage und Geheimdienste. Es ist auch leichter, gegen Regeln aufzustehen, als sie einzuhalten. Es ist ergiebiger, über Umstände zu schimpfen, als andere und sich selbst dauernd dazu aufzufordern, sie einzuhalten. Deshalb gehen viele Influencer und solche, die sich dafür halten, diesen leichteren Weg. Medial fällt die grölende Minderheit vor dem deutschen Reichstag viel mehr auf als die glücklicherweise schweigende Mehrheit, die sich an die Coronavorgaben hält. Protestieren gibt viel mehr persönliche, narzisstische Befriedigung. Die gesamte 1968-er Generation hat davon gelebt, dass „dagegen“ zu sein „in“ war, auch ganz unabhängig von den einzelnen, durchaus erkämpfenswerten Zielen. Jetzt aber geht es darum, klug mit sinnvollen Regeln zurechtzukommen, die lästig fallen und unbequeme Konsequenzen wie Quarantäne und unangenehme Tests, unsichere Ergebnisse und quälendes Warten darauf, Erkrankung und Behandlung nach sich ziehen können. Das geht fast nur, indem wir uns Luft verschaffen, klagen und uns beschweren, Fehler und Schwierigkeiten im Ablauf aufzeigen, aber gleichzeitig hoch diszipliniert die Abstandsregeln einhalten, im heißen Herbst noch besser, zwei Meter anstellen von einem. Indem wir bei allen möglichen Gelegenheiten Masken tragen, um andere und uns zu schützen, aber auch um die Atmosphäre zu schaffen, in der Gefahr respektiert und Vorsicht gepflogen wird. Indem wir möglichst nichts und niemanden berühren, uns oft die Hände waschen, möglichst Vieles virtuell und elektronisch regeln, und indem wir uns gegenseitig freundlich ermahnen, kontrollieren und auf die Einhaltung der Regeln hinweisen. Indem wir beim Begrüßen, Verabschieden, Kennenlernen immer wieder Corona mit bedenken, die Besonderheit der Situation erklären, damit unsere Zurückhaltung nicht missverstanden wird, damit aber auch Respekt entsteht vor einer gefährlichen Situation.
Hinzu kommt die Pflege der Masken. Tägliches Wechseln, regelmäßiges Waschen (auch der Papiermasken, es ist möglich), Ablehnung der Schlauchtücher, die nur aussehen, als würden sie schützen. Einige Glückliche auf dem Lande haben bisher von Lockdown und Infektionen wenig mitbekommen, höchstens 600 Euro kassiert, und schaffen es gut, das ganze „Theater“ gering zu schätzen. Klug ist aber, bei jeder unsicheren Gelegenheit die mögliche Präsenz des Virus zu beschwören. Dann kann mindestens vereinbart werden, wie riskant man sich verhalten will, wie Grüße stattfinden können und persönliche Begegnungen auf ein symbolisches Nivau gehoben werden können. Mit unseren smartphones verteilen wir auch emoticons, sind also den Umgang mit virtuell vermittelten Sympathien gewohnt.
Im Augenblick ist sozialer Abstand heilsam, und alles, was darauf hinweist, oder dazu verhilft, von Vorteil. Die Utensilien sind eben Mund-Nasenschutz, Desinfektionsmittel, Warnplakate (die wir meist nicht mehr wahrnehmen), Abstriche, Bluttests, Schutzanzüge. Strategien sind das Verschieben privater Feiern, das Meiden von Menschenansammlungen, auch wenn sie sympathische Gründe wie Geburtstage, Siegesfeiern, Vereinsfeste und Törggelen beinhalten, die Fahrt zur Arbeit mit dem eigenen Auto statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ganz ehrlich: Offizielle Anlässe mit öffentlichen Veranstaltern sind weniger gefährlich, die haben ein Sicherheitskonzept, das durchdacht, überwacht und eingehalten wird. Und wir sind weder Feiglinge noch Außenseiter, wenn wir uns selbst schützen und andere dazu, und wieder andere auffordern, die Abstandsregeln einzuhalten.
Vor allem aber wird auch ein zweiter, weniger schwerer Gegner damit bekämpft: Die Grippe. Wenn Grippeinfektionen in diesem Herbst abnehmen, weil Menschen sich nicht gegenseitig anniesen, sondern in die Maske, nicht in die Gegend husten, sondern in die Armbeuge, ist dies ein Etappensieg. Die andere Strategie, nämlich Impfung für die Meisten, wird nämlich nur teilweise gelingen. In Südtirol hat die öffentliche Hand Grippeimpfungen praktisch aufgekauft, die Apotheken werden für den privaten Vertrieb nur späte Reste erhalten. Wieder ist das Verhalten die wirksamste Waffe. Man muss es halt üben.
Alle diese neuen sozialen Normen sind unangenehm und können leichter ertragen werden, wenn wir uns und anderen sagen, dass sie bald enden werden: Vermutlich in einem halben Jahr, vielleicht früher. Ein halbes Jahr lang werden Jung und Alt noch so diszipliniert leben müssen wie Menschen in Japan immer. Die richtige Einstellung dazu brauchen wir. Gerne über die Regeln schimpfen, aber sie peinlich genau beachten.
Roger Pycha, Sabine Cagol, Francesca March
PR Beauftragte des Netzwerks PSYHELP Covid 19