Das Wrack der abgestürzten Maschine

Aserbaidschan geht von Waffeneinsatz gegen Jet aus

Freitag, 27. Dezember 2024 | 23:07 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Die aserbaidschanische Regierung spricht erstmals öffentlich von einem Waffeneinsatz gegen das in Kasachstan abgestürzte Passagierflugzeug. “Die Ermittlungen werden klären, mit welcher Art Waffe die Einwirkung von außen geschah”, sagte Verkehrsminister Rashad Nabiyev nach Angaben der staatlichen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Azertag in Baku. Russland hatte zuvor den zeitlichen Zusammenhang mit einem Drohnenangriff der Ukraine bestätigt.

Schäden am Wrack und Zeugenaussagen legten nahe, dass das Flugzeug von außen beschädigt worden sei, sagte Nabiyev vor Journalisten. Dies sei über dem ursprünglichen Zielflughafen Grosny in Russland geschehen. “Demnach gab es ein Explosionsgeräusch außen, und dann wurde das Flugzeug von etwas getroffen.” Der Minister verwies auf Berichte von Überlebenden, wonach “drei Explosionen” zu hören waren, als sich das Flugzeug über Grosny befand. Nabiyev sagte nicht, wer nach Erkenntnissen der Regierung geschossen habe. Die Maschine mit 67 Menschen an Bord stürzte später bei der Stadt Aktau in Kasachstan ab. Es gab 38 Tote.

Aus Sicherheitsgründen keine Starts und Landungen in Grosny

“Die Situation an diesem Tag und während dieser Stunden im Bereich des Flughafens von Grosny war sehr kompliziert”, sagte der Chef der russischen Luftfahrtbehörde Rosawiazija, Dmitri Jadrow, am Freitag. Ukrainische Kampfdrohnen hätten in den Gebieten Grosny und Wladikawkas Angriffe durchgeführt.

Das in Kasachstan abgestürzte Passagierflugzeug aus Aserbaidschan konnte demnach aus Sicherheitsgründen nicht an seinem Zielort in Grosny, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, landen. Laut Jadrow waren wegen der Gefahr durch die Drohnen keine Starts und Landungen in Grosny erlaubt. Alle Piloten mussten in dem Zeitraum des Alarms den Luftraum verlassen. Es war das erste Mal, dass eine offizielle russische Stelle einen zeitlichen Zusammenhang zwischen einem Drohnenalarm und dem Absturz herstellte. Auf russischer Seite leitet Rosawiazija die Ermittlungen.

Jadrow äußerte sich nicht dazu, ob die Maschine womöglich durch den Einsatz einer russischen Flugabwehrrakete beschädigt wurde und dann nach längerem Flug in Kasachstan abstürzte. Er sagte auch, dass in Grosny zu der Zeit dichter Nebel herrschte. Der Pilot der Maschine habe zwei Landeversuche unternommen – ohne Erfolg. Er sei dann Richtung Kasachstan abgedreht.

Azerbaijan Airlines: Absturzursache war Einwirkung von außen

Der Überlebende Subchonkul Rachimow sagte dem staatlichen russischen Sender RT, außerhalb des Flugzeugs habe es eine “Explosion”gegeben, als dieses versuchte, in Grosny im Nebel zu landen. Dabei seien Splitter ins Innere der Maschine gelangt. Er habe sich eine Rettungsweste gegriffen und gesehen, “dass sie ein Loch hatte – sie war von Splittern durchbohrt”, schilderte der Passagier.

Die Betreibergesellschaft der abgestürzten Maschine, Azerbaijan Airlines, machte unterdessen eine nicht näher beschriebene “Einwirkung von außen” für den Absturz verantwortlich. Vorläufige Untersuchungsergebnisse hätten gezeigt, dass die Maschine “externen physischen und technischen Störungen” ausgesetzt war, teilte die Airline am Freitag mit.

Wegen potenzieller Risiken für die Sicherheit sei in Abstimmung mit der aserbaidschanischen Luftfahrtbehörde der Flugbetrieb in zehn russische Städte von Baku aus eingestellt worden. Das Aussetzen des Flugbetriebs bleibe in Kraft bis zur kompletten Aufklärung des Absturzes.

Aserbaidschan will keine Hilfe aus Tschetschenien

Aserbaidschan lehnt nach einem Medienbericht angebotene Hilfen der russischen Region Tschetschenien für Opfer des Flugzeugabsturzes ab. “Weder der Staat noch die Bürger werden solche Hilfe annehmen”, zitierte das aserbaidschanische Portal Day.az einen nicht genannten Vertreter der Führung in Baku. Die tschetschenische Regierung hatte den Opfern und ihren Familien finanzielle oder sonst benötigte Hilfe angeboten. Der zitierte Vertreter des Präsidialamtes in Baku wiederholte indes eine bisher nur inoffiziell kommunizierte Forderung an Moskau: “Aserbaidschan verlangt eine Anerkennung der Tatsache, eine Entschuldigung und die Zahlung entsprechender Entschädigung.”

Offiziell teilte das Präsidialamt mit, Staatschef Ilham Aliyev habe mit seinem kasachischen Kollegen Kassym-Schomart Tokajew telefoniert. Dabei habe er für die professionellen Rettungsarbeiten und die gute medizinische Betreuung der Opfer gedankt. Beide Präsidenten seien sich einig, dass die Absturzursache durch die laufenden Untersuchungen vollständig aufgeklärt werden könne.

Ukraine gibt Russland die Schuld

Die Ukraine gab die Schuld an dem Absturz Russland. Moskau müsse für den “Abschuss” der Maschine der Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines zur Verantwortung gezogen werden, erklärte der Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, auf der Plattform Telegram.

Die Ukraine setzt in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg immer wieder auch auf Drohnenangriffe. Zuletzt hatte es im Nordkaukasus mehrere solcher Angriffe gegeben, weshalb Russland seine Flugabwehr einsetzte. Immer wieder wird im Zuge solcher ukrainischen Attacken auch der Betrieb auf russischen Flughäfen zeitweilig eingestellt.

Russland sperrte am Freitag den Luftraum im Süden des Landes. Eine Maschine der Azerbaijan Airlines auf dem Weg in die südrussische Stadt Mineralnyje Wody sei daher nach Baku zurückgekehrt, berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS. Die russische Regierung erklärte, es sei wichtig, die Untersuchung des Flugzeugabsturzes abzuwarten, um zu verstehen, was passiert sei, berichtete die Agentur weiter.

Militärexperte Reisner geht von versehentlichem Nahtreffer aus

Bundesheer-Oberst Markus Reisner sieht es aufgrund der öffentlich verfügbaren Daten über das Flugverhalten der Maschine und der bisher veröffentlichten Bilder für relativ gesichert an, dass ein Beschuss durch die russische Luftabwehr stattgefunden hat, wie er im Ö1-“Morgenjournal” vom Freitag sagte. Es dürfte sich um einen versehentlichen Nahtreffer gehandelt haben, der das Heck des Flugzeugs beschädigt habe, meinte der Militärexperte. Reisner geht aufgrund der verfügbaren Informationen nicht von einem absichtlichen Beschuss aus. Inmitten eines Drohnenangriffs könnte eine Verwechslung der Daten und damit ein Fehlschuss der russischen Luftabwehr passiert sein, spekulierte er.

Auf die Möglichkeit einer Beschädigung der Maschine durch die russische Flugabwehr wiesen in einem frühen Stadium Militärblogger aus Russland, aber auch ukrainische Vertreter hin. Internet-Flugzeugtracker wie Flightradar24 berichteten, dass die GPS-Daten zur genauen Position des Flugzeugs über Russland gestört worden seien.

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