Von: APA/dpa
Die Erdbebenserie in der türkischen Metropole Istanbul reißt nicht ab. Der Katastrophendienst Afad meldete Donnerstagfrüh zahlreiche weitere Nachbeben, darunter eines der Stärke 4,6. Insgesamt verzeichnete Afad nach dem schweren Erdstoß am Mittwoch mit der Stärke 6,2 bisher gut 300 weitere Beben – alle entlang der tektonischen Gräben im Marmarameer. Etliche Menschen haben die Stadt aus Angst vor einem großen Beben verlassen. Viele andere kamen in Notunterkünften unter.
Rund 101.000 Personen wurden in Behelfsunterkünften wie Schulen, Moscheen und Logistiklagern aufgenommen, teilte der türkische Innenminister Ali Yerlikaya auf einer Pressekonferenz mit. Bisher sind laut Städteministerium rund 1.400 Schadensmeldungen an Gebäuden registriert worden – rund 1,5 Millionen Bauten werden demnach im Falle eines starken Erdbebens als “riskant” eingestuft.
Viele Menschen wollen nicht in ihre Häuser zurück, weil Experten warnen, dass ein noch stärkeres Beben die Millionenmetropole erschüttern könnte. Zum Teil haben die Anrainer in Parks und in ihren Autos übernachtet. “Bei einem Erdbeben haben wir nirgendwo Zuflucht. Also wir bleiben hier (im Freien), um wenigstens ein bisschen Schutz zu haben”, sagte ein Mann der türkischen Nachrichtenagentur DHA.
Sammelunterkünfte und Lebensmittelausgabe
Laut Staatssender TRT Haber hat der Türkische Rote Halbmond in den Sammelunterkünften bisher Lebensmittelhilfen für 350.000 Menschen bereitgestellt. Wie die Hilfsorganisation mitteilte, sind derzeit 3.000 Freiwillige und Mitarbeiter mit mehr als 100 Verpflegungsfahrzeugen im Einsatz.
Nach Angaben von Gesundheitsminister Kemal Memişoğlu auf der Plattform X gab es insgesamt 236 Verletzte – davon 173 in Istanbul, die übrigen in anderen Provinzen. Ihm zufolge wurden 15 Menschen noch in Krankenhäusern behandelt. Manche der Betroffenen hätten sich bei dem Versuch verletzt, sich mit Sprüngen aus Gebäuden in Sicherheit zu bringen.
Seismologen und Geologen, die in türkischen Medien zu Wort kommen, gehen in der Mehrzahl davon aus, dass ein großes Beben noch bevorsteht. Wann das der Fall sein könnte, kann niemand sagen – doch die Stärke könnte 7,4 betragen, manche Fachleute rechnen sogar mit einer Magnitude von 7,7.
Langfristig gesehen “Zeitpunkt erreicht, Istanbul zu verlassen”
Über die Frage, was mit Blick auf ein weiter drohendes größeres Erdbeben zu tun sei, sagte Geologe Celal Sengör von der Technischen Universität Istanbul in einem Interview, es sei zunächst bedenkenlos möglich, in Häuser ohne offensichtliche Schäden zurückzukehren. Langfristig gesehen aber sei nun “der Zeitpunkt erreicht, Istanbul zu verlassen”. Sengör zog mit dieser Aussage umgehend Kritik von der regierenden AKP auf sich. Ein Chefberater von Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte Sengör nach dessen Aussage in einem Beitrag auf X einen “Idioten”.
Die Türkei liegt in einer der seismisch aktivsten Gegenden der Welt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte davor, das Beben für politische Zwecke auszunutzen. Solche Tage seien nicht dazu da, “Politik zu machen”, sondern sich an die “Einheit und Brüderlichkeit” zu erinnern. Er wolle an solch sensiblen Tagen nicht diskutieren und sehe das als “Respektlosigkeit gegenüber dem Volk”.”Unser größter Trost ist, dass wir keine Toten zu beklagen haben.”
Opposition wirft Regierung Versäumnisse vor
Die Opposition wirft der Regierung Erdogans Versäumnisse bei der Stadtentwicklung und mangelnde Sicherheit vor Erdbeben vor. Die wiederum wirft der in der Metropole regierenden größten Oppositionspartei CHP vor, Fortschritte bei der Erdbebensicherheit zu blockieren.
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