Prekäre Situation der Obdach- und Wohnungslosen

Straßenzeitung zebra.: Systematische Ausgrenzung muss aufhören

Freitag, 07. Juni 2024 | 11:46 Uhr

Von: mk

Bozen – Im Juni beleuchtet die Straßenzeitung zebra. die prekäre Situation der Obdach- und Wohnungslosen in Südtirol. Redaktion und Sozialarbeit zeichnen darin ein Bild von Menschen in ernsten Notlagen, die systematisch immer weiter an den Rand gedrängt werden.

Für Menschen, die täglich auf der Straße um ihre Existenz bangen müssen, sollte der Sommer eigentlich eine Zeit des Aufatmens sein. Nicht so für die 150 Menschen, die derzeit in Bozen wieder auf der Straße schlafen müssen, nachdem die vom Italienischen Roten Kreuz betriebene Notschlafstelle im ehemaligen INPDAP-Gebäude in der Pacinotti-Straße geschlossen wurde: Sie sehen sich seit Ende April wieder mit systematischer Ausgrenzung konfrontiert.

Erst im November letzten Jahres war die Unterkunft eingeweiht worden. Bis Ende April beherbergte sie rund zweihundert Menschen und deckte damit den Bedarf an Notschlafplätzen, den das ebenfalls vom italienischen Roten Kreuz betriebene Ex-Alimarket und die von Volontarius betriebene Notschlafstätte „Accoglienza Notturna Temporanea“ mit insgesamt 95 Betten für erwachsene Männer nicht decken konnten. Während des Winters und der “emergenza freddo” standen so in den niederschwelligen Notschlafstellen in Bozen und in geringerem Ausmaß auch in Meran und Brixen 520 Betten zur Verfügung. Sie wurden von Menschen in sehr unterschiedlichen Situationen genutzt, darunter langzeitobdachlose italienische und europäische Staatsbürgerinnen und -bürger, Asylsuchende “fuori quota”, Personen, die vom sogenannten „Critelli-Rundschreiben“ betroffen waren, sowie Arbeiterinnen und Arbeiter mit Kurzzeitverträgen. zebra.Verkäufer Kevin H., ist einer von ihnen.

„Kevin nutzt den Kältenotdienst in jenen Monaten, in denen er zwischen seinen Saisonarbeiten arbeitslos ist“, erklären Michael Wallnöfer und Silvia Verdino, Sozialarbeiter des Projekts der OEW-Organisation für eine solidarische Welt. Während der Saison hat der junge Mann die Möglichkeit, in dem Hotel zu übernachten, in dem er angestellt ist. Pünktlich zum Ende der Saison steht er dann wieder auf der Straße. Unter den Verkäuferinnen und Verkäufern der Straßenzeitung zebra. ist Kevin einer von vielen, die immer wieder in prekäre Lebensverhältnisse geraten. „Von den rund 60 Menschen, die wir von zebra. pro Jahr begleiten, lebt mindestens ein Drittel auf der Straße, in Heimen oder vorübergehend bei Bekannten – immer mit dem gepackten Rucksack in der Hand”, sagt Wallnöfer. Er betont: „Das immer knappere Wohnungsangebot und die steigenden Wohnpreise machen die Wohnungssuche selbst für uns Sozialarbeiter*innen inzwischen zu einer fast unmöglichen Mission“.

Alessio Giordano, Redakteur der Straßenzeitung zebra. und Mitarbeiter der OEW-Organisation für Eine solidarische Welt, erklärt: „Unsere Umfrage in der aktuellen Ausgabe von zebra. zeigt, wie sehr die Ausgrenzung von Menschen in Notsituationen in Südtirol vorangetrieben wird, während die Gemeinde Bozen und das Land die Verantwortung hin und her schieben.“ Er fügt hinzu: „Es stimmt, dass die Hauptstadt die größte Last zu tragen hat. Aber es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Marginalisierung im Allgemeinen ein städtisches Phänomen ist.“ Dies zeigt auch die jüngste ISTAT-Zählung, nach der sich die Hälfte der 96.167 in Italien gezählten Obdachlosen auf sechs Städte konzentriert: Mailand, Rom, Neapel, Foggia, Turin und Genua. Ähnlich sieht es in Österreich, Deutschland und der Schweiz aus, wie das jüngste Gipfeltreffen der deutschsprachigen Straßenzeitungen Ende Mai in Hamburg zeigte, an dem auch das Team der Straßenzeitung zebra. teilnahm.

Der Vorschlag des Bozner Stadtrats Juri Andriollo, zur Entlastung der Landeshauptstadt Wohnheime in verschiedenen Städten der Region zu eröffnen, ist laut Giordano allerdings „undenkbar, solange in deren Umfeld nicht die nötigen Dienstleistungen zur Deckung der Grundbedürfnisse von Obdach- und Wohnungslosen angeboten werden, genauso wie Gesundheitsschutz und soziale und administrative Beratung“.

Zusätzlich zu diesen Schwierigkeiten haben Obdachlose mit dem zu kämpfen, was die ehemalige britische Premierministerin Theresa May als „feindseliges Umfeld“ bezeichnet hat. Zusätzlich zur ausgrenzenden Bürokratie – für Menschen, die auf der Straße leben, ist es fast unmöglich, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, so dass ihnen viele Dienstleistungen verwehrt bleiben – ist in den letzten Monaten ein polizeilicher Sicherheitsapparat hinzugekommen, der aus städtischen DASPOs, Platzverweisen und der Einweisung in Rückführungszentren (CPR) besteht. „Es ist bedauerlich, dass sich diese systematische Ausgrenzung, wie wir in unserer Recherche in der aktuellen Ausgabe von zebra. berichten, in mehreren Fällen vor allem gegen Menschen richtet, die kein Verbrechen begangen haben“, so Giordano. „Im Artikel berichten wir zum Beispiel über den Fall eines jungen Mannes, der aus Bozen abgeschoben wurde, weil er im Freien ein Sandwich gegessen hatte und ihm vorgeworfen wurde, ‚zu campieren und Passanten zu erniedrigen und zu belästigen‘. Es gibt viele Berichte über ähnliche Vorfälle, die wir in den letzten Wochen gesammelt haben“.

Getreu den Prinzipien des konstruktiven Journalismus hat zebra. einige Verzerrungen des Systems aufgedeckt und nach Good-Practice-Beispielen gesucht, die zur Lösung des „Problems“ beitragen könnten. Denn die Erfahrungen im Land sind zahlreich, ebenso die guten Beispiele, die nicht übersehen werden dürfen: Von dormizil, das dieses Jahr mit einem Housing-First-Projekt starten wird, über das Projekt Oltre la Strada des Vereins Volontarius, der seit 25 Jahren eine „Brücke“ zwischen Menschen am Rande und der Gesellschaft baut, über die Mensa, das “centro mattutino” und die Beratungsstelle Haus Maria Hueber der Caritas Brixen bis hin zu den Solidaritäts- und Rechtsinitiativen, die von den Aktivist*innen von Bozen Solidale ins Leben gerufen wurden.

„Wir haben die Stimmen derer gesammelt, die seit Jahren Obdachlose begleiten“, fährt Giordano fort, „und es fehlt nicht an Vorschlägen für langfristige Maßnahmen: die Bereitstellung stillgelegter Wohnprojekte für Obdachlose, wie die ehemalige Wohngemeinschaft Rosenbach, die Aufhebung des umstrittenen Rundschreibens Critelli und die Eröffnung eines Tageszentrums, das allen Nationalitäten offen steht und nach Kriterien konzipiert ist, die die Geselligkeit und die Reaktivierung der persönlichen Ressourcen und Fähigkeiten fördern. Das gleiche gilt für den Vorschlag, mehr in Projekte zu investieren, an denen das IPES, die Sozialdienste, die Gemeinden, das Arbeitsamt und der dritte Sektor beteiligt sind.“

Indes erhellt die Juni-zebra. die Nacht: Neben der Auseinandersetzung mit der starken Ausgrenzung von Obdach- und Wohnungslosen in Südtirol versucht die aktuelle Ausgabe von zebra. die Frage zu beantworten, wie viel Menschen in der Kälte schlafen. Und zwar mit einer Umfrage, die die zebra.Redaktion direkt von den Seiten der Hamburger Straßenzeitung Hinz&Kunzt übernehmen durften. Nachts schläft, wer kann, aber es gibt auch viele, die arbeiten. Zum Beispiel Giuseppe Gullone, ehemaliger Schuster und jetzt Nachtportier im Parkhotel Laurin und auch Verena Senn alias DJ ENA, eine der ersten professionellen weiblichen DJs in Südtirol. zebra.Verkäufer Lawrence Odion erzählt von seinen Erfahrungen und vor allem von seinen Wünschen für die Zukunft und die freiwillige Schreiberin Sofie Terzer sammelt ihre Gedanken und Gefühle in einer berührenden Reportage aus Auschwitz.

Bezirk: Bozen