Die Tat löste Entsetzen aus

Todesfahrt in Magdeburg – Behörden erhielten Hinweise

Sonntag, 22. Dezember 2024 | 13:44 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Nach dem Weihnachtsmarkt-Anschlag von Magdeburg mit fünf Toten und vielen Schwerverletzten rückt die Frage in den Blick, ob die Gewalttat hätte verhindert werden können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhielt nach eigenen Angaben im Spätsommer 2023 Hinweise zum mutmaßlichen Täter. Nach einem Hinweis aus Saudi-Arabien zu ihm wurde ein Verfahren eingeleitet. Zudem wurde bekannt, dass der Mann vor elf Jahren wegen Androhung einer Straftat verurteilt wurde.

Der 50-jährige Taleb A. soll am frühen Freitagabend mit einem Auto auf einem Weihnachtsmarkt in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt in die Menschengruppe gerast sein. Dabei waren ein neunjähriges Kind sowie vier Frauen getötet und mehr als 200 weitere verletzt worden. Viele von ihnen erlitten schwere und schwerste Verletzungen, deswegen könnte die Zahl der Todesopfer weiter steigen. Bei dem unmittelbar nach der Tat festgenommenen Taleb A. handelt es sich um einen Arzt aus Bernburg südlich von Magdeburg, der als islamkritischer Aktivist bekannt ist. Er befindet sich inzwischen in Untersuchungshaft.

“Hinweis ernst genommen”

Das Bundesamt für Migration erhielt den Hinweis zum Tatverdächtigen nach eigenen Angaben über seine Social-Media-Kanäle. “Dieser wurde, wie jeder andere der zahlreichen Hinweise auch, ernst genommen”, schrieb das BAMF auf der Plattform X. Da das Bundesamt keine Ermittlungsbehörde sei, sei die hinweisgebende Person, wie in solchen Fällen üblich, direkt an die verantwortlichen Behörden verwiesen worden. Im Netz kursierten am Wochenende Screenshots, die Nachrichten einer Person mit Warnungen vor dem mutmaßlichen Täter an das BAMF zeigen sollen, doch war die Echtheit nicht zu verifizieren. Laut der “Welt am Sonntag” habe eine Frau Ende 2023 eine entsprechende Warnung abgeschickt. Eine weitere hätte an die Berliner Polizei gehen sollen, doch landete sie versehentlich bei der Polizei einer Gemeinde namens Berlin in den USA.

Mann in mehreren Bundesländern den Behörden bekannt

Unabhängig davon war der Mann der Justiz in mehreren deutschen Bundesländern bekannt. So gab es etwa in Berlin ein Verfahren der Amtsanwaltschaft wegen des Missbrauchs von Notrufen durch Taleb A. Der Direktor der Magdeburger Polizeiinspektion, Tom-Oliver Langhans, erklärte am Samstag auf einer Pressekonferenz, dass die Polizei in der Vergangenheit eine Strafanzeige aufgenommen habe. “Es ist auch von unserer Seite versucht worden, eine Gefährderansprache durchzuführen. Das ist jetzt auch noch Gegenstand der Ermittlungen, woran das dann nachher letztendlich in diesem Verfahren dazu nach meiner Erkenntnis erst mal so nicht gekommen ist.” Dieses Verfahren liege aber derzeitig schon ein Jahr zurück.

BKA-Chef Holger Münch sagte am Samstagabend im ZDF, dass das deutsche Bundeskriminalamt schon im November 2023 einen Hinweis aus Saudi-Arabien zu dem Mann bekommen habe. Die Polizei in Sachsen-Anhalt habe dann “entsprechende Ermittlungsmaßnahmen” vorgenommen, doch sei die Sache unspezifisch gewesen.

Wegen Drohung in Mecklenburg-Vorpommern verurteilt

Schon im Jahr 2013 wurde der Mann vom Amtsgericht Rostock zu 90 Tagessätzen wegen Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten verurteilt, teilte der mecklenburg-vorpommerische Innenminister Christian Pegel am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Schwerin. Demnach lebte Taleb A. von 2011 bis 2016 im norddeutschen Bundesland und absolvierte dort auch Teile seiner Facharzt-Ausbildung. In einem Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen habe er gegenüber Vertretern der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern mit einer Tat gedroht, die internationale Beachtung bekommen werde. Dabei habe er auf den Anschlag beim Boston-Marathon verwiesen.

Suche nach dem Tatmotiv

Über das Tatmotiv wurde weiterhin gerätselt. Der Leitende Oberstaatsanwalt Horst Walter Nopens hatte am Samstag gesagt, das Motiv des mutmaßlichen Täters könnte Unzufriedenheit über den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland gewesen sein. In sozialen Netzwerken präsentierte sich der Festgenommene als vehementer Kritiker des Islams und des repressiven Machtapparats in Saudi-Arabien. Zugleich setzte er sich für die Belange vor allem von Frauen aus seinem erzkonservativ geprägten Heimatland ein. In sozialen Medien und Interviews erhob er zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden und hielt ihnen unter anderem vor, nicht genug gegen Islamismus zu unternehmen.

Der Mann soll sich mittlerweile als Ex-Muslim ansehen. Zehn Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland stellte er im Februar 2016 einen Asylantrag, der im Juli 2016 positiv beschieden wurde. Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform “RAIR”, die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin warf er der deutschen Polizei vor, das Leben saudischer Asylsuchender, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu zerstören. Zudem präsentierte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk, der inzwischen Positionen der amerikanischen Rechten vertritt, und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig bezeichnete er sich aber politisch als links.

BKA: Kein Hinweis auf islamistisch motivierten Anschlag

BKA-Chef Münch sagte im ZDF-“heute journal”, es gebe – anders als bei ähnlichen Taten in der Vergangenheit – keinen Hinweis auf einen islamistisch motivierten Anschlag. Auch der Generalbundesanwalt sage noch nicht eindeutig, wie der Sachverhalt einzuordnen sei. Der Tatverdächtige habe eine islamfeindliche Einstellung, er habe sich auch mit rechtsextremen Plattformen beschäftigt, sagte der Chef des Bundeskriminalamts. Es sei aber noch nicht abschließend möglich zu sagen, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei.

Diskutiert wird nun wie häufig in solchen Fällen die Frage, ob die Sicherheitsbehörden nicht früher hätten handeln können oder müssen. Der Terrorismusexperte Peter Neumann sagte im ZDF, der Tatverdächtige habe nicht in ein bestimmtes Raster gepasst. “Er war eben kein typischer Islamist. Er war ein Saudi, der sich gegen den Islam gewendet hat. Das passt für Behörden nicht so richtig in die gängigen Schema rein.” Zudem habe man heute eine Flut von Informationen von Tausenden von Leuten, die im Internet ähnliche Botschaften sendeten. “Und es ist ganz, ganz schwierig zu unterscheiden: Wer meint es ernst, und wer ist nur auf dem Internet und macht Sprüche?”

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