Von: APA/dpa/AFP/Reuters
Nach dem mutmaßlichen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt am Freitagabend im ostdeutschen Magdeburg ist die Zahl der Opfer gestiegen. Mindestens fünf Menschen wurden getötet, rund 200 verletzt. Die Todesfahrt wurde offenbar von einem Islam-Kritiker verübt. Der 50-jährige Arzt bezeichnet sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur selbst als “Ex-Muslim”. In sozialen Medien und Interviews erhob er jüngst teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden.
Der aus Saudi-Arabien stammende Mann wird verdächtigt, am Freitagabend mit einem Leihauto in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gefahren zu sein. Die Polizei äußerte sich am Samstagvormittag zunächst zurückhaltend zu der Frage, ob sie die Tat als Anschlag wertet. Man sei noch in der Klärung, hieß es. Der Fahrer stand einem Bericht der “Bild” zufolge womöglich unter Drogen. Ein erster Drogenwischtest sei positiv ausgefallen, berichtet das Blatt ohne Angaben von Quellen.
Polizei kennt noch keine Hintergründe zur Tat
Nach “Spiegel”-Informationen wurde er in der saudi-arabischen Stadt Hofuf geboren und kam im März 2006 zur Ausbildung nach Deutschland. Im Juli 2016 wurde er als Flüchtling anerkannt, wie der Spiegel unter Hinweis auf ein früheres Interview in der “Frankfurter Rundschau” berichtet.
Mittlerweile dürfte er laut den Recherchen des Magazins jedoch abgedriftet sein. Auf seinem Account beim Online-Dienst X habe er von einem gemeinsamen Projekt mit der in weiten Teilen rechtsextremen AfD geträumt – einer Akademie für Ex-Muslime.
In sozialen Medien und Interviews erhob der Tatverdächtige zuletzt zudem teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudi-arabische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: “Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland.”
Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser bestätigte, dass der Mann eine islamfeindliche Haltung hatte. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten auf einer Pressekonferenz am Nachmittag in Magdeburg über den Stand der Ermittlungen informieren. Ob der Generalbundesanwalt den Fall übernimmt, wird noch geprüft.
Polizei geht von einem Einzeltäter aus
Der Mann war nach der Todesfahrt festgenommen worden. Die Polizei kennt nach eigenen Angaben noch keine Hintergründe zur Tat – geht aber von einem Einzeltäter aus. Der Mann wurde nach Angaben aus der Nacht verhört. Es würden unter anderem Durchsuchungen durchgeführt, sagte eine Sprecherin. In der Früh sagte sie, es laufe eine Durchsuchung in Bernburg.
Der Verdächtige sei Arzt, lebe und arbeite in Bernburg, berichtete Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. Nach bisherigen Erkenntnissen sei er den Behörden nicht als Islamist bekannt. Mehrere Medien benannten den Mann als Taleb A. und berichteten, er sei Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Das Außenministerium in Saudi-Arabien verurteilte die Tat.
Scholz kündigt Konsequenzen an
“Wir haben fünf Menschenleben zu beklagen und über 200 Verletzte, davon viele schwerst und schwer verletzt”, sagte Haseloff am Samstag nach dem Besuch des Tatorts mit Kanzler Olaf Scholz. Dieser sagte, fast 40 Menschen seien so schwer verletzt, “dass man große Sorge um sie haben muss”.
Scholz kündigte zudem harte Konsequenzen an. Zunächst müsse man aber genau verstehen, was passiert sei und welche Motive der mutmaßliche Täter gehabt habe. “Dann werden wir mit der notwendigen Konsequenz darauf reagieren”, so der deutsche Kanzler. Es sei wichtig, dass das Land nun zusammenbleibe und nicht Hass das Miteinander der Menschen in Deutschland bestimme. Man werde diejenigen, die Hass säen, nicht durchkommen lassen, sondern mit aller Härte des Gesetzes gegen sie vorgehen, sagt Scholz.
Saudi-Arabien warnte vor Tatverdächtigem
Saudi-Arabien warnte Deutschland Sicherheitskreisen zufolge vor dem mutmaßlichen Täter der Attacke auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt, Taleb A.. Das Königreich habe seine Auslieferung beantragt, darauf habe Deutschland nicht reagiert, hieß es. Der Mann stammt demnach aus der Stadt Hofuf im Osten Saudi-Arabiens. Er sei Schiit gewesen.
Nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung in dem mehrheitlich sunnitischen Land sind schiitisch. Es gibt immer wieder Berichte über Diskriminierungen gegenüber Schiiten im Land. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin hatte es vor rund einem Jahr eine Art Warnhinweis zu dem Mann an die deutschen Behörden gegeben.
Internationales Entsetzen und Mitgefühl
NATO-Generalsekretär Mark Rutte drückte – wie er berichtete – dem deutschen Kanzler sein Mitgefühl aus. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte die Attacke. Die Vereinten Nationen zeigten sich ebenso bestürzt und sprachen den Familien der Opfer, der Regierung und den Menschen in Deutschland Beileid aus.
Mehrere ausländische Regierungen verurteilten die tödliche Attacke. Österreichs Politik zeigte sich schockiert. “Die Nachrichten aus Magdeburg sind erschütternd und machen uns fassungslos. Unsere Gedanken sind in diesen schwersten Stunden bei den Opfern, ihren Familien und den Rettungskräften”, schrieb Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf X.
Acht Jahre nach Berliner Anschlag
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein islamistischer Terrorist mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden zwölf Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde.
Auch in anderen Städten mit Weihnachtsmärkten ist die Polizei nun besonders achtsam. In Stuttgart sagte ein Polizeisprecher, die Polizeikräfte seien vor Ort sensibilisiert worden. In Berlin sagte ein Sprecher, man habe die Beamten aufgerufen, ein erhöhtes Augenmerk auf Weihnachtsmärkte zu richten.
Vorkehrungen in Österreich “intensiviert”
In Österreich werden ebenfalls Sicherheitsvorkehrungen bei Weihnachtsmärkten verschärft. So teilte die Stadt Linz am Samstag in einer Aussendung mit, die Besucher der Standl am Hauptplatz, am Volksgarten sowie des Marktes vor dem Neuen Dom durch “technische Sicherungsmaßnahmen” zu schützen. Von der Wiener Polizei hieß es, die umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen würden “auf hohem Niveau intensiviert”. Ähnlich äußerte sich das Innenministerium.
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