Von: luk
Bozen – Eine Welle von Vergewaltigungen schreckt Italien auf. Eine polnische Touristin am Strand von Rimini, eine Ärztin in Sizilien und eine deutsche Urlauberin in Rom sind nur einige Fälle, die in jüngster Zeit bekannt geworden sind.
Trotzdem ereignet sich der größte Teil der sexuellen Übergriffe im Familien- und Bekanntenkreis. In rund der Hälfte der Fälle ist der Partner oder der Ex-Partner der Täter. In 70 Prozent der Fälle ist der Tatort die eigene Wohnung, so der Verein TERRE DES FEMMES Menschenrechte für die Frau e. V. aus Deutschland.
Die Gewalttaten gegenüber Frauen scheinen nicht abzureißen. Doch was kann eine Frau tun, um einer Vergewaltigung zu entgehen und wie soll sie sich verhalten, wenn es tatsächlich dazu kommt?
Südtirol News hat sich schlaugemacht und einige Tipps zusammengetragen, die in Notsituationen hilfreich sein können.
Kampfsportler Franz Gluderer vom Dragons Club in Meran kennt sich mit dem Thema Selbstverteidigung und richtiges Verhalten in bedrohlichen Situationen aus. Für ihn ist das Thema Vergewaltigung brandaktuell, da in seinen Kursen gerade in jüngster Zeit eine wachsende Nachfrage danach herrscht. Das Interesse sei enorm.
Selbstverteidigung, so Gluderer, fange bereits damit an, dass man sich aufmerksam durch die Stadt bewegen sollte. Gefährliche oder dunkle Gegenden seien von vorne herein zu meiden. Man sollte außerdem die Umgebung stets im Blick haben, um rechtzeitig zu merken, ob man verfolgt wird. Man sollte sich nicht einfach von der Routine leiten lassen oder sich mit dem Smartphone ablenken.
Sich richtig zu wehren, will gelernt sein
Kommt es tatsächlich zur Vergewaltigungssituation, so sollte sich die Frau wehren. Schläge auf empfindliche Stellen, wie Augen, Hals und Genitalien empfiehlt der Kampftrainer. Doch die Sache habe einen Haken: “Richtig schlagen will nämlich gelernt sein”, so Gluderer. Die Gegenwehr müsse zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Technik erfolgen. Außerdem befinde sich die Frau in diesem Moment in einem Schock. Mit diesem Stress umzugehen und dennoch gute Treffer zu landen, bedürfe ebenfalls des Trainings.
Schockstarre kann Frau lähmen
Dass Frauen in solch dramatischen Momenten in eine Art Schockstarre verfallen können, weiß auch die Psychotherapeutin Dr. Angelika Klammer aus Bozen. Sie findet es daher schwierig für Frauen, sich im Ernstfall entsprechend wehren zu können.
Eine Vergewaltigung ist eine traumatische Erfahrung, wo Bewältigungsmechanismen Kampf oder Flucht oft nicht möglich sind, da durch die überwältigende Angst (Todesangst) und die starken Gefühle von Ohnmacht und Ausgeliefertsein ein Notfallprogramm ausgelöst wird, bei welchem es zu einem Totstellreflex kommt und in einem zweiten Moment in einen dissoziativen Zustand mündet. Diese Reaktion ermöglicht, dass eine solche überwältigende Erfahrung in einem benebelten Bewusstsein überstanden werden kann. Dieser dissoziative Zustand ist ein Schutzmechanismus, wo dieser Zustand der Übererregung einfriert, also nicht wieder abgebaut wird. In diesem Schockzustand ist die Wahrnehmung eingeengt, es kommt zu einem Verlust des Zeitgefühls, Verwirrung und einem geistigem Wegtreten. “Appelle, man solle in einer solchen Situation aktiv schreien und sich zur Wehr setzen, greifen daher in vielen Fällen zu kurz”, erklärt die Psychotherapeutin.
Schreie sind kein Allheilmittel
Vielfach ließt man im Internet, dass Frauen bei einem Übergriff die Täter durch Schreien zum Abbrechen bewegen können. Dies untermauert der Fall der deutschen Redakteurin Julia Burr (28). Die junge Frau wurde nachts auf dunkler Straße von einem Sex-Täter überfallen. Durch laute Rufe schlug sie den Mann in die Flucht. Vor Gericht sagte dieser dann aus, dass die Schreie wie ein Weckruf für ihn gewesen seien. Er habe dann von ihr abgelassen.
Für den Selbstverteidigungs-Lehrer Franz Gluderer ist lautes Schreien jedoch kein Allheilmittel. Es komme stark auf die Umgebung und den Täter an. Trifft dieser an einem abgelegenen Ort auf sein Opfer und ist willensstark genug, würden Schreie der Frau nicht helfen. Er sei dann eher daran interessiert, sie mundtot zu machen und schlage sie bewusstlos. In diesem Moment habe er nämlich nur ein Ziel vor Augen, das er mit allen Mitteln erreichen will.
“Jeden Fall anzeigen”
Die Staatspolizei rät zu ähnlichen präventiven Handlungsmustern wie der Kampfsportlehrer aus Meran. “Überall auf der Welt gilt es, gewisse Gegenden gerade in der Nacht zu meiden. Außerdem sollten Frauen wenn möglich nach dem Ausgehen nach Hause begleitet werden”, so Giuseppe Tricarico Fahndungsleiter der Bozner Quästur.
Er verweist eindringlich darauf, jeden Fall zur Anzeige zu bringen. Gerade was die häusliche Gewalt angehe, gebe es in Südtirol zahlreiche Institutionen, die den Frauen weiterhelfen. Dabei spricht er etwa das Netzwerk “Frauen helfen Frauen” und geschützte Wohneinrichtungen an.
Auf die Frage, ob die Ordnungshüter das Tragen von Pfefferspray gut heißen, meint Tricarico, dass es ein frei erhältliches Mittel zum Selbstschutz sei. Es sollte aber verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Wenn eine Frau beispielsweise verfolgt wird, sollte sie wenn möglich die Polizei verständigen, als sich der Gefahr direkt zu stellen.
Auch Franz Gluderer hält Pfefferspray für ein gutes Mittel zur Selbstverteidigung. Gelingt es dem Täter den Spray zu entwenden, kann er ihn allerdings gegen das Opfer einsetzen. Damit der “Schuss” im Ernstfall nicht nach hinten losgeht, sollte man auch hier den korrekten Umgang damit lernen.
Auch der Landesbeirat für Chancengleichheit hat einige Tipps auf Lager.