Von: luk
Innsbruck – Ein internationales Team von Wissenschaftlern um Christopher Bellas von der Universität Innsbruck hat das Leben auf Gletscheroberflächen untersucht und stellt mit einer nun in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichten Studie bisherige Annahmen über die Evolution von Viren in Frage. Sie zeigen, dass Viren auf Gletschern in den Alpen, Grönland und Spitzbergen sich wider Erwarten bemerkenswert ähnlich sind.
Viren werden oft nur als Gefahr für die menschliche Gesundheit wahrgenommen. Dabei sind Viren die auf unserem Planeten häufigsten biologischen Objekte. Jeder Teelöffel Wasser aus Flüssen, Seen oder dem Meer enthält Millionen von Viren. Sie kommen überall dort vor, wo es Leben gibt und infizieren wahrscheinlich alle lebenden Organismen. Die meisten Viren sind für den Menschen völlig harmlos. Sie infizieren mikroskopisch kleine Tiere, Pflanzen und Bakterien, deren Zellen sie umprogrammieren, um neue Viruspartikel zu erzeugen. Bei diesem Prozess werden die meisten infizierten Wirte zerstört. Jeden Tag vernichten Viren eine große Anzahl von Mikroorganismen und beeinflussen somit ihre Umwelt nachhaltig. „Wenn wir besser verstehen, wie sich Viren entwickeln und wie sie funktionieren, können wir ihre Rolle in der Umwelt und den Einfluss auf ihre Wirte vorhersagen“, sagt Christopher Bellas vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck. Gemeinsam mit Kollegen von den Universitäten Bristol, Reading und Aberystwyth in Großbritannien sowie der University of Minnesota, USA, und der Aarhus University in Dänemark hat er auf Gletscheroberflächen vorhandene virale Genome sequenziert und miteinander verglichen. Die nun in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichte Studie zeigt, dass sich die Viren auf weit voneinander entfernten Gletschern in den Alpen, in Grönland und Spitzbergen wider Erwarten sehr ähnlich sind.
Evolutionäres Wettrüsten
Aus Laboruntersuchungen ist bekannt, dass sich Viren auf genetischer Ebene rasch anpassen, um mit neu entwickelten Abwehrkräften ihrer Wirte mithalten zu können. Dieses evolutionäre Wettrüsten bedeutet, dass sie relativ zueinander im Gleichgewicht bleiben sollten. Dies ist auch als “Red Queen”-Hypothese bekannt und bezieht sich auf die rote Königin aus Alice im Wunderland, die zu Alice sagt: Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst. „Wenn wir die Genome von Viren von zwei isolierten Orten sequenzieren, sollten wir also niemals zweimal genau die gleichen Virusgenome finden“, sagt Christopher Bellas. Die von den Forschern um Bellas untersuchten Viren stammen von sehr ungewöhnlichen Lebensräumen auf der Oberfläche von Gletschern und Eisschilden, den sogenannten Kryokonit-Löchern. „Diese kleinen Schmelzwassertümpel auf Gletschern sind ideale Orte, um die Entwicklung von Viren zu untersuchen“, erklärt der gebürtige Brite Christopher Bellas, der mit einem Lise-Meitner-Stipendium des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF in Innsbruck forscht. „Hier leben winzige mikrobielle Gemeinschaften, die weltweit auf Gletschern zu finden sind.“
Genetischer Spielautomat
Die Wissenschaftler gingen zunächst davon aus, dass die Tausende von Kilometern entfernt voneinander liegenden Kryokonit-Löcher verschiedene Viren enthalten würden, die nur entfernt miteinander verwandt sind. „Zu unserer Überraschung waren die meisten bakterieninfizierenden Viren (Bakteriophagen) in der Arktis und den Alpen nahezu identisch“, erzählt Bellas. Bei genauerer Betrachtung der Genome stellten die Forscher allerdings fest, dass es in jedem Genom viele kleine Abschnitte gab, in denen das Erbgut anderer, verwandter Viren wiederholt ein- und ausgebaut wurden. Dieser Prozess wird auch Rekombination genannt. In jeder der untersuchten Regionen mischten Viren ihre Gene wie in einer Art genetischer Spielautomat durch. „In der natürlichen Umwelt erzeugt der Genaustausch zwischen den Viren durch Rekombination also eine große Vielfalt in der Virenpopulation, insbesondere in jenen Genen, die für das Erkennen und Befallen verschiedener Wirte notwendig sind. Das verleiht den Viren das Potential, sich schnell an verschiedene Wirte anzupassen“, erläutert Christopher Bellas.