Von: luk
Bozen – “Ich habe Covid in den Augen unserer Patienten gesehen – bei denen, die es geschafft haben und bei den anderen. Glaubt mir, die Krankheit ist eine Bestie. In der schlimmsten Phase der Pandemie wussten wir nicht mehr, wo wir die Särge unterbringen sollten. Covid-19 ist schlimm, schlimm ist aber auch das, was unter Umständen danach geschieht. Zwar erholt sich der Großteil der Patienten von der Krankheit innerhalb von zwei Monaten, manche – auch junge Menschen – leiden aber auch noch länger an Symptomen, die mit dem Begriff ‘Long Covid’ bezeichnet werden.” Diese Worte stammen vom Virologen Fabrizio Pregliasco, dem Direktor des Instituts “Galeazzi” in Mailand und Forscher an der staatlichen Universität von Mailand. Er hat im Sarntal einen Zweitwohnsitz und stand gestern den Lesern der Tageszeitung Alto Adige Rede und Antwort.
“Dritte Dosis kommt wohl in wenigen Wochen”
Heute fasst das Blatt die wichtigsten Themenbereiche zusammen. Eine Frage, die den Interessierten unter den Nägeln brannte, war jene nach der dritten Impfdosis. Vor allem ältere Menschen, die sich schon im Jänner und Februar impfen lassen konnten, fragen sich, wie lange der Impfschutz anhält und wann eine Auffrischungsdosis nötig wird. Hier kann Pregliasco keine eindeutige Antwort liefern. Auch er stelle sich diese Frage, doch die Datenlage sei unklar. In Israel habe man etwa bereits damit begonnen, vulnerable Gruppen, deren Impfung länger als fünf Monate zurückliegt, die dritte Dosis zu verabreichen – auch in Hinblick auf die aufkommende Deltavariante. Laut dem Virologen aus Mailand würden einige Studien einen guten Impfschutz von neun bis zwölf Monaten sehen. Pregliasco macht aber darauf aufmerksam, dass die Impfung wie ein Schutzschirm ist, der nach und nach schwächer wird. Er geht davon aus, dass auch in Italien in wenigen Wochen über eine dritte Dosis diskutiert werden wird. Zunächst würden wohl ältere und schwächere Personen, deren Impfung sechs Monate zurückliegt, dazu aufgerufen.
Antikörpertests kein Maßstab
Auch die Frage, ob die Auswertung der Antikörper auf das Coronavirus Sinn macht, wurde dem Virologen gestellt. Darauf antwortet er mit einem klaren “Nein”. Die Immunantwort auf das Virus hänge nämlich nicht nur von der Anzahl der Antikörper gegen das Spike-Protein ab, sondern ist viel komplexer. Außerdem würden die neutralisierenden Antikörper nicht getestet und dann gebe es noch unterschiedliche Analysesysteme, die nicht vergleichbar sind. Somit sei die Aussagekraft der Antikörpertests dürftig, erklärt der Experte.
“Wir werden mit dem Virus leben”
Das Coronavirus werde nach einigen Jahren endemisch werden. “Wir werden damit leben und es wird uns auch keine Angst und Probleme mehr bereiten”, ist sich Fabrizio Pregliasco sicher. “Vermutlich muss aber jährlich eine Impfdosis gemacht werden – ähnlich wie die Grippeimpfung.” Der Virologe glaubt zudem nicht daran, dass eine Herdenimmunität erreicht werden kann. Mit der Impfung würde es aber gelingen, das Virus unter Kontrolle zu bringen und die Inzidenz merklich abzuschwächen.
“Ungeimpfte Senioren haben großes Risiko”
Über 26.000 Südtiroler über 60 Jahren sind noch ungeimpft. Diese Information bestürzt Professor Pregliasco. Das Alter sei unter anderem ein Risikofaktor für einen schweren Coronaverlauf. Damit würden sich diese Menschen einer großen Gefahr aussetzen.