Von: mk
Bozen – Sexualisierte Gewalt gegen Frauen aufzeigen, aufarbeiten, vorbeugen – das sind die Ziele der feministisch-partizipativen Aktionsforschung „TRACES – TRAnsgenerational ConsEquences of Sexual violence“ zu den Langzeitfolgen sexualisierter Gewalt gegen Frauen in Südtirol.
Im Rahmen der dreijährigen Forschung sollen die Langzeitfolgen von Traumata aus sexualisierter Gewalt und ihre transgenerationale Weitergabe in Südtirol untersucht werden, beginnend im Vinschgau. Finanziert von der Provinz Bozen-Südtirol und der Stiftung Südtiroler Sparkasse führen die Universität Trient, medica mondiale, das Forum Prävention und das Frauenmuseum Meran gemeinschaftlich die Studie TRACES durch. Die Forschungsleitung übernimmt Andrea Fleckinger von der Universität Trient. Die Forschung hat zum Ziel, das Kontinuum der Gewalt zu durchbrechen, ein Sprechen über sexualisierte Gewalt zu ermöglichen, einen Beitrag zu leisten, vergangene Gewalterfahrungen gesamtgesellschaftlich aufzuarbeiten und präventiv das Entstehen von neuen Gewaltspiralen zu verhindern. Mit sexualisierter Gewalt sind alle Formen von Übergriffen gemeint, die Frauen entgegen ihrer körperlichen Selbstbestimmung auf ihren Körper reduzieren und demütigen, wie unerwünschte Küsse, erzwungene sexuelle Handlungen, ungewollte Berührungen, Vergewaltigung und vieles mehr.
„Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine der weltweit meistverbreiteten Menschenrechtsverletzungen. Südtirol bildet hier keine Ausnahme, wie die Zahlen jedes Jahr aufs Neue belegen”, bekräftigt Landeshauptmann Arno Kompatscher, bezugnehmend auf die Erhebungen des Astat (2013-2021), Istat (2014) sowie der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA 2014). Die Forschung versteht sich als direkte Umsetzung der Istanbul Konvention und der Maßnahmen, die die Autonome Provinz Bozen Südtirol mit dem Antrag 541/22 gesetzt hat.
„Es geht darum, die patriarchale Schweigekultur zu durchbrechen und zu einer Gesellschaft beizutragen, die diese Verbrechen wahrnimmt und Verantwortung dafür übernimmt. Für eine gewaltfreie und geschlechtergerechte Zukunft muss auch und ganz besonders dort hingeschaut werden, wo es am meisten schmerzt, nämlich in unsere eigenen Familien”, erläutert Monika Hauser, Gründerin von medica mondiale.
Das Verschweigen und Verdrängen dieser traumatischen Erfahrungen hat oft nicht nur für die betroffene Person selbst Folgen, sondern für ihre ganze Familie und ihr Umfeld. Werden Traumata nicht aufgearbeitet, können sie von Generation zu Generation weitergegeben werden. Damit die Dynamiken der transgenerationalen Weitergabe verstanden werden können, zielt die Studie darauf ab, mit drei Generationen ins Gespräch zu kommen, also der betroffenen Frau, ihren Kindern und ihren Enkeln. Erst dann kann verstanden werden, ob und in welcher Form die Gewalt bis in die Gegenwart wirkt. Dabei sollen auch jene Strategien erkannt werden, die eine Weitergabe verhindern und kommende Generationen vor Langzeitfolgen schützen.
Die Studie geht davon aus, dass die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in Südtirol heute so weit verbreitet ist, weil Gewalterfahrungen der Mütter und Großmütter nicht aufgearbeitet wurden. Das Schweigen fördert das Entstehen eines Kontinuums von Gewalt. Gleichzeitig muss anerkannt werden, dass das Thema der geschlechtsspezifischen Gewalt immer noch von großen gesellschaftlichen und individuellen Tabus begleitet wird, die es den Überlebenden schwer machen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und Hilfe zu suchen. Bei sexualisierter Gewalt ist dieses Tabu besonders groß: „Forschungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt zeigen deutlich, dass diesem Phänomen kulturelle, tief in der Geschichte verwurzelte, Ursachen zugrunde liegen, die vor allem in der asymmetrischen Sichtweise des Geschlechterverhältnisses zwischen Frauen und Männern zu finden sind. Geschlechtsspezifische Gewalt wird weiterhin reproduziert und verstärkt, gerade weil häufig keine Aufarbeitung stattfindet”, so Barbara Poggio, Vizerektorin für Gleichstellungspolitik und Vielfalt und Mitbegründerin des Zentrums für interdisziplinäre Geschlechterforschung der Universität Trient.
Christa Ladurner vom Forum Prävention hebt die Wichtigkeit einer guten Zusammenarbeit der an der Forschung beteiligten Organisationen hervor: „Die Zusammenarbeit der vier Organisationen zum einen und der Draht zu den Stakeholdern zum anderen ist bei einem Thema wie diesem besonders wichtig, um eine umfassende Aufarbeitung zu ermöglichen. Nur so können wir in einem zweiten Moment geeignete Präventionsmaßnahmen ausarbeiten.“. Zudem werden Methoden und Techniken für die psychosozialen Fachkräfte entwickelt, die das Erkennen von transgenerationalen Traumata ermöglichen und die professionelle Begleitung unterstützen.
Die Ergebnisse der Studie sollen schlussendlich der gesamten Bevölkerung über eine Ausstellung im Frauenmuseum Meran zugänglich gemacht werden. Sigrid Prader vom Frauenmuseum Meran, unterstreicht die Relevanz der Forschung: „Diese Studie ist für Südtirol eine Chance, Erfahrungen von sexualisierter Gewalt Raum zu geben, den Forderungen der Istanbul Konvention gerecht zu werden und den über Generationen hinweg getragenen Schmerz zu lindern.“ Für die Studie werden Teilnehmerinnen gesucht.