Von: mk
Matsch/Bozen – Genau zehn Jahre ist es her, dass die Wissenschaftler von Eurac Research die erste Messstation im Matscher Tal in Betrieb genommen haben. Seit November 2009 werden ununterbrochen Daten zu Klima, Artenvielfalt oder Wasserhaushalt gemessen und ausgewertet. In der Zwischenzeit hat sich viel getan: Zusammen mit den Universitäten Innsbruck und Bozen haben die Forscher im Vinschgauer Trockental eines der dichtesten mikroklimatischen Messnetze Europas installiert. Sie entdeckten für Südtirol und Italien neue Insektenarten, leiteten Daten zur Bodenfeuchte an die Weltraumbehörde NASA weiter und zeigten auf, wie die Lärche aufgrund der steigenden Temperaturen von tiefen Lagen in die Höhe „wandert“. Die Daten eröffnen aber nicht nur der Forschung neue Einblicke, sie kommen auch der hiesigen Land- und Forstwirtschaft sowie allen Interessierten zugute und wurden zu diesem Zweck auch in einem anschaulichen Kalender für das Jahr 2020 zusammengefasst.
„Im Vergleich zu unserer Schnelllebigkeit reagiert die Umwelt nur sehr langsam auf äußere Einflüsse wie Klima- oder Landnutzungswandel. So langsam, dass wir mit einfachem Hinschauen die Veränderungen oft gar nicht bemerken“, macht Ulrike Tappeiner deutlich, die Leiterin des Instituts für Alpine Umwelt von Eurac Research Und dennoch, noch nie seit es den Menschen gebe, haben sich Natur und Landschaft so stark und schnell verändert wie in den letzten 20 bis 30 Jahren, unterstreicht die Ökologin und erklärt: „Es ist wichtig, dass wir uns beim Beobachten der Umwelt an ihren Rhythmus anpassen und über lange Zeiträume Prozesse und Zustände erforschen. Nur so gelingt es uns zu verstehen, was sich um uns herum abspielt und welchen Einfluss diese Veränderungen schlussendlich auf unseren Alltag haben werden.“
Das Matscher Tal ist eines der trockensten Gebiete im Alpenraum und zeigt bereits jetzt, womit in anderen Berggebieten in Zukunft gerechnet werden muss. 400 Millimeter Niederschlag wurden im gesamten Jahr 2010 gemessen. Zum Vergleich: In Bozen hat es im selben Zeitraum 60 Prozent mehr geregnet. Allerdings profitiert das Tal von den Schnee- und Eisreserven: Drei Viertel des Abflusses im Frühjahr stammen von der Schneeschmelze, 62 Prozent des Wassers im Sommer kommen von den schmelzenden Gletschern. Allerdings, allein in den vergangenen acht Jahren ist die Gletscherfläche um 20 Prozent zurückgegangen. „Sind diese Reserven aufgebraucht, wird das Wasser knapp. 20°C wurden im Juni 2019 auf 2700 Metern an der Oberetteshütte gemessen, bei diesen Temperaturen können auch niederschlagsreiche Winter wie jener von 2018/2019 den Gletscherrückgang nicht stoppen“, sagen die Biologen Veronika Fontana und Georg Niedrist von Eurac Research, die die Forschungsarbeiten im Matscher Tal koordinieren Über 3.000 solcher Messdaten werden im Matscher Tal mit 19 automatischen Messstationen stündlich registriert und an die Datenbank nach Bozen gesendet. Interessierte können einen Teil dieser Daten zusammen mit aktuellen Webcam-Bildern auf der Projektseite http://lter.eurac.edu frei herunterladen.
Die Matscher Daten sind aber auch weltweit für Biologen und Klimaforscher von Bedeutung: 18 nationale und internationale Forschungskooperationen sind inzwischen entstanden, einige der Daten werden zur Kalibrierung von Satellitenmessungen herangezogen, und seit 2014 ist das Matscher Tal Teil des weltweiten Netzwerkes für ökologische Langzeitforschung. 32 Master- und Doktoratsarbeiten sind aus dem Langzeitprojekt hervorgegangen. Alleine bis jetzt sind 28 wissenschaftliche Artikel mit Daten aus Matsch erschienen, wie beispielsweise jener zur Lärche, wo die Forscher nachgewiesen haben, dass sich das Baumwachstum an der Waldgrenze in den vergangenen 50 Jahren verdoppelt hat.
Diese und viele weitere interessante Daten und Fakten wurden nun zum zehnjährigen Jubiläum in einem Kalender zusammengefasst und mit Bildern aus dem Matschertal grafisch aufgearbeitet. Sie werden in den kommenden Tagen an zuständige Ämter und die Bewohner von Matsch verteilt. „Dieser Kalender ist ein kleines Dankeschön an die Autonome Provinz Bozen für die finanzielle Unterstützung und an die Bewohner vor Ort, die ihren Grund zur Verfügung stellen und mit großem Interesse die Forschungsarbeit unterstützen“, unterstreichen Veronika Fontana und Georg Niedrist. Und sie blicken voraus: „Die Daten aus Matsch haben sich bereits jetzt als enorm spannend erwiesen. Ihr wahrer Wert liegt jedoch in der Zukunft: Je länger die Datenreihen sind, desto aussagekräftiger und wichtiger werden sie.“