Von: ka
Verona – Verona ist Schauplatz einer verstörenden und abscheulichen Geschichte.
Einem 60-Jährigen gelang es mindestens fünf Jahre lang das Fortleben seiner längst verstorbenen Mutter vorzutäuschen und auf diese Art und Weise unrechtmäßig ihre Pension – jährlich 30.000 Euro – zu kassieren. Um keinen Verdacht zu erwecken, hatte er die Leiche seiner Mutter nie aus der Wohnung geschafft. Erst nachdem bei der Polizei mehrere Hinweise eingegangen waren, entdeckten die Polizeibeamten und die Feuerwehrleute, die die Tür zur Wohnung aufgebrochen hatten, in einem Müllsack im Schlafzimmer die mumifizierten sterblichen Überreste der Frau. Ihr Sohn, der zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung war, stellte sich später der Polizei.
Als die Beamten und die Feuerwehrleute auf der Suche nach einer älteren Frau, Helga Maria Engbarth, in die Wohnung im letzten Stock eines Kondominiums im Viertel Borgo Milano in Verona eindrangen, trauten sie ihren Augen kaum. Im Schlafzimmer stießen sie auf einen großen schwarzen Müllsack, in dem sie die mumifizierte Leiche der vor 86 in Deutschland geborenen Frau fanden. Das Ergebnis der von der Staatsanwaltschaft von Verona angeordneten Autopsie steht zwar noch aus, aber laut dem Gerichtsmediziner soll Helga Maria Engbarth seit mindestens fünf Jahren tot sein.
Verstörend ist, dass ihr Sohn, der 60-jährige Bernardo Rossi, mindestens fünf Jahre lang neben der Leiche seiner Mutter lebte, aß und schlief. Von der gleichen Wohnung aus betrieb Bernardo Rossi auch sein Ein-Mann-Telemarketing-Unternehmen. Es klingt unglaublich, aber mittlerweile gilt es als gesichert, dass der 60-Jährige jahrelang mit der Leiche seiner Mutter im Nebenzimmer von seinem Computer aus Umfragen und Marktforschung betrieb.
Die Nachforschungen der Ermittler ergaben, dass Helga Maria Engbarth im Jahr 2017 das letzte Mal von ihrem Hausarzt untersucht worden war. Auch die Nachbarn erklärten, von der vor 86 Jahren in Deutschland geborenen Frau jahrelang nichts mehr gesehen und gehört zu haben. Nach dem Ableben ihres veronesischen Ehemannes, Flaviano Rossi, war ihr Sohn Bernardo der einzige Verwandte, der Helga Maria Engbarth geblieben war. „Der Einzige, der den genauen Todeszeitpunkt kennt, ist Bernardo Rossi“, so die Ermittler.
Allerdings hatte der heute 60-Jährige den zuständigen Ämtern nie den Tod seiner Mutter gemeldet. Für das Meldeamt und das Sozialfürsorgeinstitut INPS war Helga Maria Engbarth bis zum Aufbrechen der Wohnung weiterhin am Leben. Das „Versäumnis“ war alles andere als uneigennützig. Da das Bankkonto, auf dem jeden Monat die Pension von Helga Maria Engbarth überwiesen wurde, sowohl auf dem Namen der Mutter als auch auf den ihres Sohnes lief, kassierte Bernardo Rossi unrechtmäßig mindestens fünf Jahre lang die Pension seiner Mutter. Da die Pension von Helga Maria Engbarth alles andere als klein war – sie erhielt jährlich 30.000 Euro – dürfte dem Sozialfürsorgeinstitut INPS durch diesen Betrug ein geschätzter Schaden von 150.000 Euro entstanden sein.
Bernardo Rossi tat offenbar alles, um nicht aufzufallen. „Er kam für einen Plausch in die Bar, leerte den Briefkasten und entsorgte seinen Müll“, erklärten die Anwohner. Nachbarn, die nach dem Befinden seiner Mutter fragten, entgegnete er wahlweise, dass sie bei ihm lebe oder in Deutschland zu Besuch sei. In der Nachbarschaft galt Bernardo Rossi, der nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, als freundlich und hilfsbereit. Manchmal bot Bernardo Rossi, der den Nachbarn zufolge „gebildet und gut gekleidet“ war, älteren Menschen seine Hilfe an. Sogar die Etikette neben der Türklingel, auf der immer noch der Name Rossi-Engbarth stand, schien die Existenz von Helga zu bezeugen. Niemand ahnte, dass Bernardo Rossi mit seiner toten Mutter in der Wohnung lebte.
Der unglaubliche und verstörende Betrug flog erst durch einen Zufall auf. Eine leerstehende Wohnung, die Helga Maria Engbarth und Bernardo Rossi gehört, war von Unbekannten illegal besetzt worden. Nachdem sich Anwohner über ein verdächtiges Kommen und Gehen von zwielichtigen Personen beschwert hatten, versuchte die Stadtpolizei, sich mit den Besitzern in Verbindung zu setzen. Da die ältere Frau nie erreichbar war, schöpften die Beamten der Stadtpolizei Verdacht.
„Es bestand ein begründeter Verdacht, dass Helga Maria Engbarth verschwunden sei“, so die Staatsanwaltschaft von Verona, die eine dringende Hausdurchsuchung anordnete. Als auf das Läuten an der Wohnungstür niemand antwortete, forderten die Einsatzkräfte der Polizei die Feuerwehr mit einem Leiterwagen an. Was sie im Schlafzimmer der geräumigen Wohnung fanden, ließ selbst altgedienten Polizisten den Atem stocken.
Bernardo Rossi, der vor dem Eingreifen der Polizei geflüchtet war, stellte sich einige Stunden später der Polizei. Der 60-Jährige, der in Untersuchungshaft sitzt, wird sich vor Gericht wegen Verbergens der Leiche seiner Mutter und Betrug zum Schaden des Staates vor Gericht verantworten müssen. Die Autopsie soll auch die Frage klären, ob Helga Maria Engbarth eines natürlichen Todes gestorben oder ermordet worden war. „Es handelt sich um einen Fall menschlicher Verkommenheit, der einem die Sprache verschlägt. Ich hoffe, Helga Maria Engbarth ist eines natürlichen Todes gestorben. Wenn nicht, würde es wirklich einem Horrorfilm gleichen“, schüttelt Staatsanwalt Bruno Bruni den Kopf.