Von: ka
Rom/Trient – Nach der Erlegung der Problembärin KJ1, die am 16. Juli einen französischen Urlauber angegriffen hat, bricht über den Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti ein Sturm der Entrüstung herein.
Mehrere Tierschutzverbände bezeichnen das Vorgehen des Landeshaupmanns als „grausam und arrogant” und kündigen an, gegen Maurizio Fugatti rechtliche Schritte einzuleiten. In der Kritik der Tierschützer steht aber auch das staatliche Institut für Umwelt- und Naturschutzforschung ISPRA, das dem Trentiner Landeshauptmann für den Abschuss grünes Licht gegeben hat. Der Leiter der Abteilung Fauna der ISPRA, Piero Genovesi, kontert die Kritik. Sein Vorschlag, dass versucht werden könnte, aggressive Bärinnen zu sterilisieren, sorgt weit über das Trentino hinaus für Aufhorchen. Tierarzt und Bärenexperte Alessandro De Guelmi kann diesem Vorhaben jedoch wenig abgewinnen.
Die Experten der ISPRA dürften bei ihrer Zustimmung berücksichtigt haben, dass die Bärin KJ1, die seit Jahren ein sehr zutrauliches Verhalten gezeigt und vor zwei Wochen den französischen Touristen Vivien Triffaux angegriffen hatte, mehrere im Bärenmanagementplan PACOPACE festgeschriebene Kriterien für ihre Entnahme erfüllt hat.
Der herben Kritik der Tierschützer, dass nach der Erlegung des Muttertiers das Überleben ihrer drei Jungen gefährdet sei, entgegnet der Leiter der Abteilung Fauna der ISPRA, Piero Genovesi, mit dem Hinweis, dass die drei Jungtiere bereits alt und groß genug seien, um auch ohne ihrer Mutter KJ1 in freier Wildbahn überleben zu können. „Auch wenn sie keine Mutter mehr haben, sind die Überlebenschancen der drei Jungen der Bärin Kj1 ziemlich hoch. Deshalb haben wir empfohlen, sie so weit wie möglich in der Wildnis zu belassen und sie zu überwachen“, so Piero Genovesi gegenüber dem Trentiner Tagblatt L’Adige.
„Internationale Wildtierstudien zeigen, dass Bärenjunge im Alter von sechs bis sieben Monaten – also dem Alter, in dem die Jungtiere von KJ1 jetzt sind – gute Chancen haben, in der Wildnis zu überleben. Dies ist bereits bei mehreren Gelegenheiten geschehen. Auch im Fall der Jungen der von einem Mann erschossenen Bärin „Amarena“ („Schwarzkirsche“) haben wir in Absprache mit der Verwaltung des Parks in den Abruzzen vorgeschlagen, sie in der Wildnis zu belassen. Und in der Tat haben die Jungen überlebt“, erklärt Piero Genovesi.
Laut dem Experten der ISPRA und der Parkverwaltung unterscheidet sich die Überlebenschance von alleinlebenden sechsmonatigen Jungtieren nur mehr unwesentlich von jener ihrer gleichaltrigen Artgenossen, die noch von einem Muttertier begleitet werden. „Unabhängig vom Vorhandensein eines Muttertiers überlebt laut wissenschaftlichen Untersuchungen die Hälfte der Bärenjungen nicht ihr erstes Lebensjahr“, betonen sowohl Piero Genovesi als auch die Verwaltung des Nationalparks „Parco Nazionale d’Abruzzo, Lazio e Molise“.
Das Risiko, dass die Hälfte der Bärenjungen das erste Lebensjahr nicht übersteht, hält der Wildtierexperte für vertretbar. „Wenn man sie stattdessen einfängt und in einen Zwinger steckt, wäre es ihr Schicksal, den Rest ihres Lebens in Gefangenschaft zu verbringen“, unterstreicht Piero Genovesi.
Sein Vorschlag, dass versucht werden könnte, aggressive Bärinnen zu sterilisieren, sorgt weit über das Trentino hinaus für Aufhorchen. Piero Genovesi zufolge gedenkt die ISPRA, diesen Versuch zu wagen.
„Es hat sich gezeigt, dass einige der Vorfälle mit Bären mit von Weibchen begleiteten Jungtieren zusammenhängen. Wenn wir also die Fortpflanzung von Weibchen mit potenziell aggressivem Verhalten verhindern, könnten wir auch solche Fälle von Angriffen vermindern“, schlägt Piero Genovesi vor.
„Es handelt sich um ein Experiment, das weltweit noch nie in die Wege geleitet worden ist, dessen Durchführbarkeit wir aber nicht zuletzt auf Anregung des Umweltministers Gilberto Pichetto Fratin hin untersuchen wollen. Wir werden dem Minister in Kürze unsere fachlichen Einschätzungen vorlegen“, möchte der Leiter der Abteilung Fauna der ISPRA neue Wege beschreiten. Piero Genovesi fügt hinzu, dass es sich um eine Lösung handelt, die bereits im Fall der Bärin JJ4, die vor eineinhalb Jahren im Val di Sole Andrea Papi getötet hat, zwar zunächst erörtert, dann aber nicht weiter verfolgt worden sei.
„Aus technischer und biologischer Sicht lehne ich diesen Vorschlag strikt ab“, meint jedoch der Tierarzt und Bärenexperte Alessandro De Guelmi.
Alessandro De Guelmi, der jahrelang mit dem Projekt Life Ursus und im Bärenmanagement beschäftigt war, begegnet diesem Vorschlag seit jeher mit großer Skepsis. De Guelmi nennt nicht nur praktische Gründe, sondern bemängelt auch die enormen Kosten, die diese Praxis verursachen würde. „Es handelt sich um einen chirurgischen Eingriff, der natürlich nicht im Wald, sondern in einem speziellen Operationssaal durchgeführt werden müsste, wofür forstwirtschaftliches und tierärztliches Fachpersonal benötigt werde. Jede Sterilisation würde die Betäubung des Tieres, den chirurgischen Eingriff und eine anschließende Rekonvaleszenzzeit erfordern. Bis zur Rückkehr des Tiers in die freie Wildbahn bestünde zudem die Gefahr, dass sich das Tier am Menschen gewöhne und „zutraulich” werde“, warnte der Tierarzt und Bärenexperte bereits vor Monaten.
„Es wäre viel besser, diese Mittel für die Forschung, die Überwachung, genetische Analysen, den Kauf der besten im Umlauf befindlichen Senderhalsbänder, Bärenschutzkästen sowie für Vorbeugemaßnahmen zu verwenden“, fügte er hinzu.
„Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass gefährliche Bären so schnell wie möglich entfernt werden sollten. Das ist der beste Weg, um sowohl den Menschen als auch die Art zu schützen. Die Sterilisation macht überhaupt keinen Sinn“, betonte Alessandro De Guelmi bereits im Frühjahr.
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