Von: ka
Rom – Mit großer Sorge beobachten Europas Regierungen, wie immer mehr Berufssoldaten der Armee den Rücken kehren. Der Hauptgrund ist sicherlich, dass die Besoldung viel zu gering ist, aber angesichts der sich mehrenden militärischen Konflikte in der Welt scheinen nicht wenige Männer immer öfter auch das Risiko zu scheuen, in den Krieg ziehen zu müssen.
Mit besseren Gehältern und Karriereaussichten versuchen die europäischen Regierungen, diesem Phänomen entgegenzuwirken, aber sollten diese Maßnahmen nicht greifen, steht die Rückkehr zur Wehrpflicht in Raum. Die Entscheidung der dänischen Regierung, die Wehrpflicht auf die Frauen auszudehnen und gegebenenfalls die militärische Dienstpflicht zu verlängern, könnte bald Schule machen.
Die Tatsache, dass der Krieg in der Ukraine eine alles andere als ermutigende Wendung zu nehmen scheint und der erneut in sein Amt „gewählte“ Kremlherrscher Wladimir Putin keinen Hehl daraus macht, dass er seine Offensive fortsetzen und nicht verhandeln wird, lässt bei Europas Regierungen die Alarmglocken schrillen. Im Raum steht die Befürchtung, dass die ukrainische Front in den nächsten Monaten kollabieren könnte. Mit der Erhöhung der einzelnen Verteidigungsetats und dem Plan, einen größeren Teil der Wirtschaft militärischen Notwendigkeiten zu widmen, wollen insbesondere die NATO-Staaten sich mittelfristig auf einen möglichen Konflikt mit Russland vorbereiten.
Schade nur, dass wie viele Wirtschaftszweige auch die europäischen Heere von einem Fachkräftemangel geplagt werden. Wie eine von Politico veröffentliche Untersuchung zeigt, besteht das Problem vieler europäischer Armeen in Wirklichkeit darin, ihre Sollstärken zu halten. Wie aus einem dem Deutschen Bundestag vorgelegten Bericht hervorgeht, kehrten im vergangenen Jahr mehr als 1.500 Soldaten der Bundeswehr den Rücken, was dazu führte, dass die Truppenstärke auf rund 181.000 Soldaten zurückging. Die französische Armee kämpft mit ähnlichen Problemen. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren verbringen französische Zeitsoldaten im Durchschnitt ein Jahr weniger in der Armee. Aufgrund des Mangelns an neuen Rekruten sah sich das Vereinigte Königreich sogar dazu gezwungen, sich an ein Privatunternehmen zu wenden.
Die NATO-Staaten rüsten zwar massiv auf, aber ihre Armeen tendieren dazu, immer kleiner zu werden. Vielen Experten zufolge rächt sich nun die in den meisten europäischen Ländern getroffene Entscheidung, die Wehrpflicht abzuschaffen. Nach dem Ende des Kalten Krieges glaubten viele Regierungen, auf die Wehrpflicht verzichten und alle militärischen Sicherheitsaufgaben auf ein kleines Heer von Berufssoldaten übertragen zu können. Der zumeist geringe Sold und die mangelnden Karrierechancen sorgen aber dafür, dass sich immer weniger Männer und Frauen für den Beruf des Soldaten entscheiden. Die nicht unerheblichen Risiken für die eigene Sicherheit und die langen Auslandseinsätze dürften ebenfalls eine Rolle spielen, dass für viele Berufseinsteiger der Dienst in der Armee wenig attraktiv erscheint.
Mit besseren Gehältern und Karriereaussichten versuchen die europäischen Regierungen, diesem Phänomen entgegenzuwirken. Besonders osteuropäische Staaten wie Polen, die im wahrsten Sinne des Wortes die Nähe Russlands spüren, wollen massiv aufrüsten. Die neue polnische Regierung unter Donald Tusk kündigte an, die Besoldung der Soldaten, die sich für eine längere Dienstzeit in der Armee entscheiden, um 20 Prozent zu erhöhen. Diesem Vorhaben zufolge soll das Anfangsgehalt von bisherigen 4.960 Złoty auf 6.000 Złoty – umgerechnet von etwa 1.150 Euro auf rund 1.390 Euro – angehoben werden, was für polnische Verhältnisse einen beachtlichen Monatsverdienst darstellt.
Frankreich möchte einen ähnlichen Weg einschlagen. Ein dem Parlament in Paris vorgelegter Plan des Verteidigungsministeriums sieht vor, den französischen Soldaten sowohl die Gehälter als auch die zu erwartenden Pensionen zu erhöhen. Erleichterungen bei der Wohnungssuche, Zugang zu guter medizinischer Versorgung und Kinderbetreuung sowie die Zusage, Paare, bei denen beide Partner in der Armee dienen, gemeinsam zu versetzen, runden das attraktive Gesamtpaket ab.
Ob das ausreichen wird, um Brigaden und Divisionen zu füllen, steht aber in den Sternen. Angesichts der Bedrohung aus dem Osten wird in ganz Europa bereits über weit einschneidendere Lösungen des „Fachkräftemangels“ nachgedacht. Dänemark ist schon einen Schritt weiter. Das nordeuropäische Land beschloss nicht nur eine Verlängerung der Dienstpflicht für alle Armeeangehörige, sondern im Namen der Gleichberechtigung auch die Wehrpflicht auch auf die Frauen auszudehnen. Dies geschah nicht zuletzt auch mit Blick auf die Ukraine. In der ukrainischen Armee dienen mehr als 47.000 Frauen, von denen rund 5.000 an vorderster Front im Kampfeinsatz stehen.
Auch in anderen NATO-Staaten steht die mögliche Einführung einer Wehrpflicht im Zentrum lebhafter Debatten. Einerseits ließen sich durch sie die Sollstärken der NATO-Armeen relativ schnell und günstig erhöhen, andererseits bestehen aber auch viele Nachteile. Eine Wehrpflicht würde dem Arbeitsmarkt viele junge Leute entziehen, was wirtschaftliche Nachteile birgt. Zudem verlangen die modernen Waffensysteme nach langen Ausbildungszeiten, was eher gegen eine einjährige Wehrpflicht spricht. Andererseits könnten alle „einfacheren“ Waffen Wehrpflichtigen überlassen werden, wodurch mehr Berufssoldaten für die Ausbildung an hoch technisierten Waffensystemen zur Verfügung stehen würden. Da eine Wiedereinführung der Wehrpflicht äußerst unpopulär ist, schrecken viele Regierungen davor zurück, diese drastische Entscheidung zu treffen.
Der italienische Verteidigungsminister Guido Crosetto gehört zu jenen, die der Wehrpflicht eher skeptisch gegenüberstehen. Guido Crosetto plant, eine Reserve von vorerst etwa 10.000 Freiwilligen zu schaffen, die Teil der regulären Streitkräfte werden sollen. In jedem Fall stehen die NATO-Staaten vor schweren Entscheidungen. Neben der Absicht, die Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, gilt es auch, die Wirtschaft auf möglicherweise kommende Konflikte vorzubereiten.
Nach der NATO-Klassifizierung gab Italien im Jahr 2023 28,6 Milliarden für die Verteidigung aus. Um die Anforderung des Zweiprozentziels zu erfüllen, sollte der italienische Staat dieses Jahr in der Lage sein, für sein Militär 39,2 Milliarden aufzuwenden. Trotz gegenteiliger Beteuerungen scheint aber auch in Italien die Wehrpflicht nicht vom Tisch zu sein. Auch Südtiroler könnten in Zukunft bald wieder im Esercito italiano dienen müssen.