Von: Ivd
Ragusa – Voller Hoffnung und im guten Glauben an ein besseres Leben ließ der 49-jährige Tunesier Mounir alles, sogar seine junge Familie, zurück, um in Italien Arbeit zu finden. Mounir ist einer von jährlich rund 41.000 legal immigrierten Arbeitskräften im „Fascia trasformata“ in Ragusa auf Sizilien. Die Männer werden meist unter falschen Vorwänden nach Italien geholt, um anschließend unter menschenunwürdigen Bedingungen zu arbeiten und wohnen, und das unter dem Deckmantel der Legalität. Die taz erzählt die Geschichte von Mounir und berichtet über die katastrophalen Zustände der Männer vor Ort.
Meer aus Plastikplanen
Die „Fascia trasformata“ ist die größte Ansammlung an Gewächshäusern in Italien und die zweitgrößte in Europa. Das Gebiet beherbergt 5.200 Betriebe, in denen so viele Arbeitskräfte arbeiten, dass nicht einmal die Gewerkschaft CGIL ihre Anzahl verlässlich schätzen kann. Die italienische Wirtschaft ist auf die Billig-Arbeitskräfte angewiesen. So sehr, dass bis 2025 weitere 500.000 Arbeitskräfte ins Land geholt werden sollen. Viele kamen über die Mittelmeerroute und haben auf ihrer Reise Tod und Schrecken erlebt. Selbst für legale Arbeitskräfte wie Mounir ist die Legalität ihrer Immigration kein Garant für humanitäre Zustände.
Mounir zahlte 5.000 Euro an einen Vermittler, um auf legalem Wege in Italien Arbeit zu finden. Bei seiner Ankunft wurden ihm weitere 650 Euro für eine Unterkunftsanmeldung abgenommen. Diese Preise sind unter den Vermittlern durchaus üblich, doch die Mittelsmänner sind oft Teil eines kriminellen Geflechts: Sie versprechen den Männern Arbeit und eine Unterkunft, doch die meisten von ihnen landen in Zelten und Baracken zwischen den giftigen Gewächshäusern, für die sie unverhältnismäßige Mieten zahlen. Oft warten sie vor Ort lange auf Arbeit. Am Ende werden viele dadurch doch in die Illegalität gedrängt, was ihre Kontrolle noch schwieriger gestaltet.
Leben zwischen Gift und Plastik
So erging es auch Mounir: Er verkaufte all sein Hab und Gut, verließ seine Frau und seinen 6-jährigen Sohn und sah sich nach seiner Ankunft mit einer dreimonatigen Wartefrist konfrontiert. Eine Katastrophe für den Familienvater. Nachdem Mounir endlich einen Arbeitgeber befunden hatte, der ihm statt der gesetzlich festgelegten Mindestvergütung von 58 Euro pro Tag nur 20 Euro bezahlte, wurde er am vierten Tag bereits wieder entlassen und aufgefordert, seine Unterkunft, ein Bett in einer Baracke zwischen den mit Pestiziden verseuchten Plastikhäusern, ohne fließendes Wasser und Strom zu räumen.
Seither versteckte sich Mounir zwischen den Gewächshäusern und wartet auf Arbeit. Ihm waren die Hände gebunden und gleichzeitig sah er sich den Gefahren seines Versteckspiels ausgesetzt: Sein Chef sowie dessen Söhne und Angestellte sind zum Teil wegen Misshandlung ihrer Arbeiter zu Gefängnisstrafen verurteilt. Wird Mounir entdeckt, könnte auch ihm dieses Schicksal ergehen. Auch CGIL-Gewerkschafter Giuseppe Scifo berichtet von der Gewaltneigung und den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in vielen Betrieben.
Legales Spiel mit Macht
„Allein die Tatsache, dass es der Arbeitgeber ist, der die Macht über seine Arbeiter hat, weil es von ihm abhängt, ob sie kommen und dableiben dürfen, verletzt rechtlich den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung“, kritisiert Giuseppe Scifo. Möglich macht das der „Decreto flussi“ – ein Gesetz zur Steuerung der Migration. Die Zahl an unkontrollierter legaler und illegaler Arbeit wird in den nächsten vermutlich eher noch steigen. Eine Besserung der Zustände ist nicht abzusehen. Gleichzeitig bleibt der Kurs der Meloni-Regierung weiter Anti-Ausländer – eine Doppelmoral, die auf dem Rücken der Vulnerabelsten getragen wird.
Ein Happy End auf Zeit
Nach Ende der Recherche meldete sich Mounir noch einmal bei den taz-Redakteuren: Er erzählte ihnen, dass es ihm jetzt besser gehe und er einen neuen Job gefunden habe, bei dem er 50 Euro pro Tage verdiene, wenn auch illegal. In der ganzen Zeit hat seine Frau ihn immer wieder motiviert und ihm Hoffnung gemacht. „Du schaffst das, und wenn es Tage oder Wochen dauert“, habe sie ihrem Mann immer wieder am Telefon gesagt um am Ende sollte sie Recht behalten. Ob dieser Segen anhält, ist fraglich, denn auch Mounir weiß, dass er bereits jetzt mehr Glück hatte als viele seiner Leidensgenossen.