Nur Spitze des Eisbergs: 62.000 „Schlaumeiern“ 665 Millionen überwiesen

„Das Bürgergeld war eine einzige Katastrophe“

Mittwoch, 22. Januar 2025 | 07:03 Uhr

Von: ka

Rom – Seit seiner Einführung vor fast sechs Jahren sind von den Ordnungskräften immer wieder Nutznießer des in Italien „Reddito di cittadinanza“ genannten Bürgergelds entweder bei der Schwarzarbeit oder bei sonstigen Betrügereien erwischt worden.

Aber erst seit seiner Abschaffung durch die Regierung Meloni vor fast einem Jahr wird das ganze Ausmaß des Desasters offenbar. Aus den Ermittlungen der Finanzwache geht hervor, dass in den letzten Jahren mehr als 62.000 „Bürgergeld-Schlaumeier“ entdeckt wurden, wobei dem italienischen Staat ein Schaden von über 665 Millionen Euro entstanden ist. Die Beamten sind sich jedoch sicher, dass es sich dabei nur um die Spitze des Eisbergs handelt, was bedeutet, dass die Summe der veruntreuten Gelder eher die einer Milliarde Euro übersteigen dürfte.

ANSA/ANGELO CARCONI

Obwohl das Bürgergeld bereits seit mehr als einem Jahr abgeschafft ist, wird die Liste der erwischten „Bürgergeld-Schlaumeier“ ständig länger. Bisher konnten 62.215 Betrüger entdeckt und angezeigt werden. Der durch sie entstandene Schaden beträgt mehr als 665 Millionen Euro. So beeindruckend diese Zahlen auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, so stellen sie doch nur die Spitze des Eisbergs der weitverbreiteten Betrügereien zum Schaden des Staates dar, der zwischen April 2019 und dem 31. Dezember 2023, als das Bürgergeld endgültig abgeschafft wurde, an mehr als 1,1 Millionen Familien über 34,5 Milliarden Euro ausgezahlt hat. Den Statistiken zufolge hat jeder Antragsteller eine durchschnittliche Monatsüberweisung von 540,38 Euro erhalten.

Ein Ende ist noch lange nicht absehbar. In ganz Italien sind die Gerichte überfüllt mit Ermittlungsakten wegen Betrugs zu Lasten des Staats, die den ohnehin schon langsamen italienischen Justizapparat belasten. Das Schlimme ist, dass es keine Anzeichen für ein schnelles Nachlassen gibt. Die meisten Betrugsfälle kamen zutage, nachdem die Beamten der Finanzwache sogenannte „Risikoindizes“ anwendend Gegenkontrollen durchgeführt hatten, wobei mehrere vorhandene Daten über die mutmaßlichen Betrüger miteinander verglichen worden waren. Bei den gezielten Kontrollen vor Ort gab es für die „Bürgergeld-Schlaumeier“ dann kaum ein Entrinnen mehr.

Bis zum November letzten Jahres wurden vonseiten der Finanzwache 75.910 Fälle kontrolliert, die in vier von fünf Fällen zur Aufdeckung eines Betrugs führten. Neben den kleinen Fischen und „Einzeltätern“, die zumeist bei der Schwarzarbeit erwischt wurden, deckten die Beamten der Finanzwache ganze kriminelle Vereinigungen auf, dessen Mitglieder einen Teil des Bürgergelds „schwarz“ kassierten und nicht selten dem organisierten Verbrechen angehörten.

Guardia di Finanza

Die Finanzwache deckte mehrere große Fälle auf, in denen betrügerische Angestellte von Steuerberatungszentren und Patronaten für die Antragsteller die Gesuche „vorbereiteten“, indem sie ihre Daten verfälschten. Auf diese Weise konnten Hunderte von Personen, die nicht in Italien wohnhaft waren, unrechtmäßig in den Genuss des Bürgergelds gelangen.

Die Chancen, dieses Geld, das den Weg ins Ausland genommen hat, zurückzugewinnen, sind sehr gering. Auch die Strafverfolgung dieser Betrüger – immer, sofern es sich überhaupt um echte Personen handelt – dürfte auf einen Kampf gegen Windmühlen hinauslaufen.

An besonders eklatanten Betrugsfällen herrscht kein Mangel. Sicher zu den eindrucksvollsten gehört jener, der von der Mailänder Staatsanwaltschaft mithilfe von Ermittlungen der Finanzwachen von Cremona und Novara aufgedeckt wurde. Er führte zu 21 Verhaftungen wegen krimineller Verschwörung, schweren Betrugs und Erpressung. Bei den Kriminellen handelte es sich zumeist um Rumänen, die mehr als 9.000 gefälschte Bürgergeldanträge eingereicht und auf diese Weise mehr als 20 Millionen Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. Ohne das Eingreifen der Beamten hätten die Betrüger mithilfe dieser Masche der „Geister-Gesuche“ weitere 60 Millionen Euro erbeuten können.

Facebook/Guardia di Finanza

Aufsehenerregend war auch der Fall der Kriminellen, denen die Carabinieri von Monreale bei Palermo das Handwerk legen konnten. Vor zwei Jahren nahmen die Carabinieri den Leiter und eine Mitarbeiterin eines Steuerberatungszentrums fest, die im Gegenzug von 200 Euro pro Bürgergeldgesuch eine Reihe von gefälschten Bescheinigungen vorgelegt hatten, die ihren „Kunden“ die Genehmigung garantierten. Falls sie die geforderten 200 Euro nicht zahlten, drohten die beiden den Empfängern, für die Streichung des Bürgergelds zu sorgen. Die Ermittlungen führten zur Anklageerhebung gegen 341 Bürgergeldempfänger, die zu Unrecht rund 2,4 Mio. Euro erhalten hatten. Als „Betrugsvermittlern“ gelang es dem Chef des Steuerberatungszentrums und seiner Angestellten, den von ihnen „betreuten Bürgergeld-Schlaumeiern“ fast 70.000 Euro abzuknöpfen. Sowohl die beiden „Vermittler“ als auch ihre „Kunden“ stehen nun vor Gericht.

Angesichts des ungeheuren Ausmaßes der Bürgergeld-Betrügereien ist die italienische Öffentlichkeit nur mehr empört und angewidert. Viele Italiener sind immer stärker davon überzeugt, dass das in Italien „Reddito di cittadinanza“ genannte Bürgergeld eine Mentalität der „sozialen Hängematte“ gefördert und dem Arbeitsmarkt – besonders dem saisonalen Tourismusgewerbe – wertvolle Arbeitskräfte entzogen hat.

„Das Bürgergeld war eine einzige Katastrophe“, so der Tenor der arbeitenden Bürger des Stiefelstaats.

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