Das Geheimnis der "Blauen Zonen"

Das Dorf der 100-Jährigen auf Sardinien: Alles nur Fake?

Donnerstag, 28. November 2024 | 08:07 Uhr

Von: Ivd

Ogliastra – In den schroffen Bergen Sardiniens, fernab des Trubels und der Touristenscharen liegt Perdasdefogu, ein kleines Dorf, das immer wieder für Schlagzeilen sorgt, denn es zählt weltweit zu den Orten mit der höchsten Dichte an Hundertjährigen. Dieser Rekord hat dem knapp 1800-Seelendorf nicht nur internationale Bekanntheit durch einen Platz im Guinnessbuch der Rekorde gesichert, sondern die Aufmerksamkeit von Kritiker auf sich gezogen. Was ist dran am Mythos der sogenannten „Blauen Zone“?

Der Stolz eines kleinen Ortes

Bereits am Ortseingang macht eine steinerne Tafel auf die Besonderheit von Perdasdefogu aufmerksam. Im Herzen des Dorfes erinnert die „Piazza Longevità“ – der Platz des langen Lebens – an die beeindruckende Anzahl hochbetagter Bewohner. Eine Gasse weiter schmücken Schwarz-Weiß-Porträts der Hundertjährigen die Fassaden, versehen mit Namen und Geburtsdaten, die bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreichen.

Wissenschaftler und Historiker versuchen seit Jahren, das Phänomen der Langlebigkeit in der Region Ogliastra zu entschlüsseln. Salvatore Mura, Historiker und Gemeinderat, nennt mehrere Faktoren: „Die Gene spielen sicher eine Rolle. Aber auch die Ernährung aus dem eigenen Garten und das soziale Netzwerk der Familie halten die Menschen gesund.“ Anders als in Großstädten leben die Alten hier bis zu ihrem letzten Tag im Kreise der Familie, was sowohl körperlich als auch geistig fit halte.

Das Phänomen hat auch die Wissenschaft auf den Plan gerufen: In einem groß angelegten Projekt sollen 13.000 DNA-Proben von Bewohnern der Provinz Ogliastra untersucht werden. Ziel ist es, genetische Faktoren für das lange Leben zu finden. Auch die Universität Sassari beteiligt sich an der Forschung. Rektor Gavino Mariotti erklärt: „Wir hoffen, beweisen zu können, dass man auf Sardinien nicht nur lange, sondern gut lebt – ein potenzieller Werbefaktor für unser Land.“

Wissenschaftler sind sich uneinig

Doch nicht alle Experten teilen die Euphorie über die sogenannten „Blauen Zonen“. Der australische Forscher Saul Justin Newman untersucht Gebiete, in denen eine Vielzahl von Menschen überdurchschnittlich alt wird. Perdasdefogu auf Sardinien, die griechische Insel Ikaria und die japanische Stadt Okinawa sind nur einige Beispiele für diese Zonen. Newman findet für dieses übernatürliche Phänomen meistens dieselbe nüchterne Erklärung: Betrug.

Der Forscher verwies in einer Studie, für die er mit dem Ig-Nobelpreis (kein Bestandteil des offiziellen Alfred-Nobel-Preises) ausgezeichnet wurde, darauf, dass in den meisten dieser Regionen fehlerhafte Geburts- und Sterberegister eine Rolle spielen könnten. Seine Untersuchung brachte etwa Fälle von Rentenbetrug in Griechenland zutage, bei denen 72 Prozent der über 100-Jährigen tatsächlich tot waren und weiter Rente kassierten.

In Perdasdefogu könnte die schiere Größte des Dorfes eine Rolle spielen: 2022 waren es neun über 100-Jährige, gerechnet auf knapp 1800 Einwohner. Das Gesetz der großen Zahl besagt, erst mit einer großen Stichprobe gewinnt das Ergebnis an Aussagekraft. Außerdem fehlten in vielen der untersuchten Fälle die Geburtsurkunden oder sie waren ungenau.

Ein einfaches, gesundes Leben

Im Dorf selbst ist man sich sicher: Die Langlebigkeit hat viel mit dem sardischen Lebensstil zu tun. „Hier gibt es kein Drogenproblem, die Menschen ernähren sich gesund und leben einfach“, sagt Massimo, Barista an der zentralen Piazza Europa zum Tagesspiegel. Doch auch in Perdasdefogu macht die Zeit nicht halt: Nicht alle der Hochbetagten sind noch aktiv auf den Straßen zu sehen, viele bleiben in den heißen Sommermonaten lieber im Schatten ihrer Häuser.

Enthüllungen wie die von Newman werfen Fragen über das vermeintliche Geheimnis der Langlebigkeit auf und fordern die bisherige Forschung heraus. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Langlebigkeit in Perdasdefogu weder bewiesen noch widerlegt ist. Die Lebenserwartung auf Sardinien liegt übrigens bei 83 Jahren und damit leicht über dem europäischen Durchschnitt von 80,1 Jahren. In Trient liegt dieser Wert sogar bei 84 Jahren.

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