„Patrizia hat viermal angerufen“ - Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung – VIDEO

Den falschen Hubschrauber alarmiert?

Mittwoch, 05. Juni 2024 | 07:05 Uhr

Von: ka

Premariacco/Udine – Die Tragödie um die beiden jungen Frauen und den vermissten jungen Mann dürfte ein gerichtliches Nachspiel haben. Nachdem mehrere Ungereimtheiten bekannt geworden waren, eröffnete die zuständige Staatsanwaltschaft von Udine ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung.

Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht die Frage, ob der von Patrizia Cormos getätigte Notruf – die 20-Jährige hat viermal die Notrufnummer 112 gewählt und das letzte Mal keine Antwort erhalten – ernst genug genommen wurde und warum nicht der Hubschrauber, der nur wenige Flugminuten vom Unglücksort entfernt bereitstand, zum Einsatz gerufen wurde.

Die beiden ursprünglich aus Rumänien stammenden jungen Frauen – die 20-jährige Patrizia Cormos und die 23-jährige Rumänin Bianca Doros – wurden zwei Tage nach ihrem Verschwinden in den Fluten des Natisone am Sonntag tot aus dem Fluss geborgen. Nach ihrem vermissten 25-jährigen Landsmann Cristian Casian Molnar wird noch immer gesucht, aber es besteht kaum noch Hoffnung, den jungen Mann lebend zu bergen. Nachdem bereits am Freitag mehrere Ungereimtheiten aufgefallen waren, entschied die Staatsanwaltschaft von Udine, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

TikTok/Facebook/Screenshot – von links nach rechts: Bianca Doros, Patrizia Cormos und Cristian Casian Molnar

„Wir haben gegen unbekannt ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eröffnet. Es besteht der Verdacht auf unterlassene Hilfeleistung. Um festzustellen, ob die Rettungsmaßnahmen rechtzeitig durchgeführt wurden, werden alle notwendigen Ermittlungen in die Wege geleitet werden. Ich möchte jedoch betonen, dass es derzeit keine konkreten Anhaltspunkte gibt, aber wir stehen erst am Anfang der Untersuchungen“, erklärt der Staatsanwalt von Udine, Massimo Lia.

X/Vigili del Fuoco

Auf dem Prüfstand stehen insbesondere der für den Rettungsaktion eingesetzte Hubschrauber, das Vorhandensein von Schwimmverbotsschildern sowie die Frage, wie viel Zeit zwischen dem ersten Anruf von Patrizia Cormos bei der Notrufzentrale und dem tatsächlichen Eintreffen der Rettungskräfte verging.

Gesichert ist, dass die drei jungen Leute am späten Freitagvormittag bei Premariacco das Flussbett des Natisone aufsuchten. Unvorsichtigerweise begaben sie sich auf eine Insel in der Mitte des Flusses, die zu diesem Zeitpunkt noch trockenen Fußes erreicht werden konnte. Es schien die Sonne und nichts deutete darauf hin, dass der Fluss plötzlich anschwellen würde. Allerdings hatte es am Vortag im Gebiet des Oberlaufs des Flusses stark geregnet. Der Natisone ist bei den Einheimischen bekannt dafür, dass er innerhalb kürzester Zeit von einen stillen Fluss zu einen reißenden Strom werden kann.

So geschah es leider auch am Freitag. Innerhalb kurzer Zeit befanden sich Patrizia Cormos, Bianca Doros und Cristian Casian Molnar in großer Not. Wie Staatsanwalt Massimo Lia berichtet, wählte die 20-Jährige am Freitag um 13.29 Uhr das erste Mal die Notrufnummer 112. In den folgenden Minuten rief Patrizia Cormos drei weitere Male dieselbe Nummer an, wobei ihr letzter Anruf jedoch unbeantwortet blieb.

In den Anrufen gab Patrizia, den Unglücksort, ihren Namen und Adresse an und bat den Mann, der ihren Notruf entgegennahm, auch ihre Mutter zu benachrichtigen. In denselben Minuten schlugen auch der Fahrer eines Schulbusses und ein Passant, die von der nahen Brücke aus die Not der jungen Leute aus Rumänien erkannt hatten, Alarm.

X/Vigili del Fuoco

Ersten Erkenntnissen zufolge wurde die Alarmmeldung als dringende technische Hilfeleistung an die Feuerwehr weitergeleitet. Zugleich wurde ein Hubschrauber, der vom Flughafen Marco Polo in Venedig aufstieg, angefordert. Die Wehrleute waren innerhalb weniger Minuten vor Ort.

Aus heutiger Sicht wäre es sinnvoller gewesen, anstatt des Hubschraubers Drago der Feuerwehr, der von Venedig kommen muss, den Einsatz als medizinischen Notfall zu bewerten und den Notarzthubschrauber der SORES FVG, der auch erfahrene Bergretter an Bord hat und nur wenige Flugminuten von Premariacco entfernt in Campoformido bei Udine stationiert ist, zum Einsatz zu rufen.

In der Zwischenzeit nahm die Tragödie ihren Lauf. Cristian Molnar tauchte ins Wasser und versuchte, zu zwei Freiwilligen und einem Feuerwehrmann zu schwimmen. Die Strömung war jedoch zu stark, woraufhin er zu Bianca und Patrizia zurückkehrte. Während alle auf den Hubschrauber warteten, versuchten die Wehrleute, den drei jungen Leuten Seile zuzuwerfen, aber leider konnte keiner der drei eines der Seile auffangen.

L'abbraccio, poi la piena, tre ragazzi dispersi in Friuli

L'abbraccio, poi la piena, tre ragazzi dispersi in FriuliTre giovani dispersi per la piena del fiume Natisone in Friuli Venezia Giulia. Hanno provato abbracciandosi a resistere alla furia dell'acqua ma sono stati travolti. Il maltempo da ore sta flagellando soprattutto il nord est. Valeria Papitto per il Tg3 delle 19 del 31 maggio 2024

Posted by Tg3 on Friday, May 31, 2024

Als diese Versuche scheiterten, versuchten die drei jungen Erwachsenen der starken Strömung zu widerstehen, indem sie sich in einer Umarmung fest zusammenschlossen. Als der Natisone den Kies der Insel gewaltsam fortschwemmte, zerriss um 13.58 Uhr diese letzte innige Umarmung aber für immer. Unter Einsatz seines eigenen Lebens sprang ein Feuerwehrmann noch ins Wasser, konnte aber leider niemanden von ihnen fassen. Als der Rettungshubschrauber mit Sanitätern und Technikern um 14.00 Uhr endlich vor Ort eintraf, war es bereits zu spät.

Dutzende von Personen mussten hilflos mitansehen, wie die jungen Leute vom reißenden Fluss fortgerissen wurden. Unter ihnen waren aber auch viele Schaulustige. „Was mich am meisten schmerzt, ist, dass viele Fotos und Videos gemacht haben, aber niemand sie gerettet hat“, so die trauernde Mutter von Patrizia Cormos.

"Tutti filmavano e nessuno li ha salvati"Le parole della mamma di Patrizia, morta nella tragedia del #Natisone#Pomeriggio5

Posted by Pomeriggio 5 on Tuesday, June 4, 2024

Alle Fragen – insbesondere jene, warum nicht der in der Nähe bereitstehende Rettungshubschrauber zum Einsatz alarmiert wurde – werden nun die Staatsanwaltschaft beschäftigen. Weit über Friaul-Julisch Venetien hinaus ist die Trauer um die jungen Leute groß. Aber wäre ihr Tod vermeidbar gewesen?