Ermittlungen gegen drei Feuerwehrleute und einen Mitarbeiter der Notrufzentrale

„Der Hubschrauber kam zu spät, sie hätten gerettet werden können“ – vermeidbare Tagödie?

Mittwoch, 04. Dezember 2024 | 08:16 Uhr

Von: ka

Premariacco/Udine – Die Tragödie um zwei junge Frauen – die 20-jährige Patrizia Cormos und die 23-jährige Bianca Doros – und einen jungen Mann, den 25-jährigen Cristian Casian Molnar, dürfte ein gerichtliches Nachspiel haben. Nachdem das Bekanntwerden mehrerer Ungereimtheiten bereits wenige Tage nach dem Tod der drei jungen Leute die zuständige Staatsanwaltschaft von Udine dazu veranlasst hatte, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, wurden nach monatelangen Ermittlungen drei Feuerwehrleute und ein Krankenpfleger der Notrufzentrale einbestellt, um vor dem Staatsanwalt auszusagen. Allen vier Personen wird fahrlässige Tötung zur Last gelegt.

TikTok/Facebook/Screenshot – von links nach rechts: Bianca Doros, Patrizia Cormos und Cristian Casian Molnar

Im Mittelpunkt steht die Frage, ob der von Patrizia Cormos getätigte Notruf ernst genug genommen wurde und warum der 110 Kilometer vom Unglücksort entfernt bei Venedig stationierte Hubschrauber der Feuerwehr und nicht jener der Landesflugrettung von Friaul-Julisch Venetien, der nur zwölf Flugminuten vom Natisone entfernt bereitstand, zum Einsatz gerufen wurde.

Um diese Frage zu beantworten, wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Zeugen einvernommen und Telefonaufzeichnungen ausgewertet. Gemäß den Vorschriften nimmt die Zentrale der einheitlichen Notrufnummer 112 die Notrufe entgegen und leitet sie an die zuständigen Rettungsdienststellen – etwa an die medizinischen Noteinsatzkräfte und an die Kommandostellen der Feuerwehr, der Bergrettung oder des Zivilschutzes – weiter.

Die Frage ist, ob es beim am 31. Mai 2024 stattgefundenen Einsatz zu Fehlentscheidungen und zu Verzögerungen gekommen ist. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen jene Personen, die in der Zentrale bezüglich dieses Notrufs die Entscheidungen getroffen haben. Es besteht der dringende Verdacht, dass die Tragödie hätte vermieden werden können. „Der Hubschrauber kam zu spät, sie hätten gerettet werden können“, so die Mutter von Patrizia Cormos.

Um sich etwas zu entspannen und die Natur zu genießen, suchten Patrizia Cormos, Bianca Doros und Cristian Casian Molnar am späten Vormittag des 31. Mai das Flussbett des Natisone auf. Unvorsichtigerweise begaben sie sich auf eine Insel in der Mitte des Flusses, die zu diesem Zeitpunkt noch trockenen Fußes erreicht werden konnte. Es schien die Sonne und nichts deutete darauf hin, dass der Fluss plötzlich anschwellen würde. Allerdings hatte es am Vortag im Gebiet des Oberlaufs des Flusses stark geregnet. Der Natisone ist bei den Einheimischen bekannt dafür, dass er innerhalb kürzester Zeit von einen stillen Fluss zu einen reißenden Strom werden kann.

Quattro indagati per la tragedia del NatisoneSono un infermiere della sala operativa del Friuli Venezia Giulia e tre vigili del fuoco della centrale di Udine gli indagati per omicidio colposo per la morte di Patrizia Cormos, Bianca Doros e Cristian Molnar, travolti sei mesi fa dalla piena del fiume Natisone.Valeria Papitto per il Tg3 delle 19 del 2 dicembre 2024

Posted by Tg3 on Monday, December 2, 2024

So geschah es leider auch an diesem Tag. Innerhalb kurzer Zeit befanden sich die drei jungen Leute in großer Not. Wie Staatsanwalt Massimo Lia berichtet, wählte die Patrizia Cormos um 13.29 Uhr mit ihrem Smartphone das erste Mal die Notrufnummer 112. „Wir sind von Wasser umgeben, wir schaffen es nicht zurück ans Ufer“, schrie die 20-Jährige ins Telefon. Patrizia gab den Unglücksort, ihren Namen und Adresse an und bat den Mann, der ihren Notruf entgegennahm, auch ihre Mutter zu benachrichtigen. In denselben Minuten schlugen auch der Fahrer eines Schulbusses und ein Passant, die von der nahen Brücke aus die Not der jungen Leute aus Rumänien erkannt hatten, Alarm.

X/Vigili del Fuoco

In der Notrufzentrale wurde entschieden, zwei Feuerwehrmannschaften zum Unglücksort zu schicken. Zu diesem Zeitpunkt saßen Patrizia Cormos, Bianca Doros und Cristian Casian Molnar mitten im Fluss auf der Insel fest. Aber das Wasser des Natisone stieg immer schneller und begann, die kleine Flussinsel zu verschlucken. Kurz nach dem ersten Anruf setzte Patrizia Cormos erneut einen Notruf ab. „Schickt jemanden, der uns hier herausholt, sonst sterben wir alle“, bittet die 20-Jährige verzweifelt um Rettung. In den folgenden Minuten rief Patrizia Cormos zwei weitere Male dieselbe Nummer an, wobei ihr letzter Anruf jedoch unbeantwortet blieb.

X/Vigili del Fuoco

Den Ermittlungen zufolge wurde die Alarmmeldung als dringende technische Hilfeleistung an die Feuerwehr weitergeleitet. Zugleich wurde ein Hubschrauber, der vom Flughafen Marco Polo in Venedig aufstieg, angefordert. Die Wehrleute waren innerhalb weniger Minuten vor Ort.

Aus heutiger Sicht wäre es sinnvoller gewesen, anstatt des Hubschraubers Drago der Feuerwehr, der von Venedig kommen muss, den Einsatz als medizinischen Notfall zu bewerten und den Notarzthubschrauber Doppio India der Landesflugrettung Sores FVG, der nur zwölf Flugminuten vom Natisone entfernt in Campoformido bei Udine stationiert ist, zum Einsatz zu rufen.

In der Zwischenzeit spielten sich am Unglücksort dramatische Szenen ab. Während alle auf den Hubschrauber warteten, versuchten die Wehrleute, den drei jungen Leuten Seile zuzuwerfen, aber leider konnte keiner der drei eines der Seile auffangen. Als diese Rettungsversuche scheiterten, versuchten die drei jungen Erwachsenen der starken Strömung zu widerstehen, indem sie sich in einer Umarmung fest zusammenschlossen. Als die starke Strömung des Natisone den Kies der Insel fortschwemmte, zerriss um 13.58 Uhr diese letzte innige Umarmung aber für immer. Unter Einsatz seines eigenen Lebens sprang ein Feuerwehrmann noch ins Wasser, konnte aber niemanden von ihnen fassen.

ANSA/ VIGILI DEL FUOCO

Als Doppio India um 13.48 Uhr dennoch abhob, war es bereits zu spät. Als der Hubschrauber um 14.20 Uhr am Natisone eintraf, hatte der reißende Fluss die drei jungen Leute bereits fortgerissen.

„Wir hoffen, dass die Justiz klärt, warum der Hubschrauber der Landesflugrettung Sores, der mit einer Winde ausgestattet ist und erfahrene Bergretter an Bord hat, nicht sofort zum Unglücksort gerufen wurde und stattdessen der Hubschrauber der Feuerwehr, der 110 Kilometer Luftlinie vom Natisone entfernt war, angefordert wurde“, so der Anwalt der Familien Doros und Molnar, Gaetano Laghi, gegenüber dem Corriere della Sera. „Wurden alle Vorschriften ordnungsgemäß beachtet? Dies ist eine der Schlüsselfragen des Falles“, fügt Laghi hinzu.

Wohlgemerkt sind nicht die Feuerwehrleute, die vom Ufer aus bis zuletzt verzweifelt versucht haben, den jungen Leuten das Leben zu retten, Gegenstand der Ermittlungen, sondern die Entscheidungsabläufe in der Notrufzentrale. Letztendlich drehen sich die Untersuchungen vor allem um die Frage, warum der vom Unglücksort weiter entfernte Hubschrauber zum Einsatz beordert wurde.

Es besteht der dringende Verdacht, dass die Tragödie hätte vermieden werden können. „Ich hoffe, man wird mir erklären, warum nicht der näher gelegene Hubschrauber verständigt wurde. Es gab genug Zeit, sie zu retten. Ich leide bei jeder Nachricht über den Tod meiner Tochter. Solange ich lebe, werde ich dafür kämpfen, die Wahrheit zu erfahren“, so die Worte von Patrizias Mutter, Mihaela Cormos.

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