Von: ka
L’Aquila/Palermo/Castelvetrano – Matteo Messina Denaro ist tot. Der „letzte Pate“, der nach der Verhaftung von Totò Riina und Bernardo Provenzano das Ruder der sizilianischen Cosa Nostra übernommen hatte, erlag in der Nacht auf Montag im Alter von 62 Jahren im Krankenhaus von L’Aquila seinem Krebsleiden, das vor acht Monaten vermutlich indirekt zu seiner Ergreifung geführt hatte.
Leise Hoffnungen, dass der Capo di tutti i capi vielleicht einige dunkle Geheimnisse der Cosa Nostra enthüllen könnte, erfüllten sich leider nicht. Matteo Messina Denaro, besser bekannt als ‘U Siccu („der Dünne“), zeigte nie Reue und starb wie fast alle Corleonesi als eingefleischter, tief in seinem kriminellen Milieu verwurzelter Mafioso.
Der „letzte Pate“ zog es vor, alle dunklen Geheimnisse mit in sein Grab zu nehmen. Die Ermittler aber wissen, dass er ihnen hätte so viel erzählen können. ‘U Siccu gehörte zu Beginn der 90-er Jahre des letzten Jahrhunderts zum innersten Zirkel der Cosa Nostra, als der damalige unangefochtene Capo di tutti i capi Totò Riina nach den Erfolgen der Anti-Mafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino beschloss, nicht „nur“ diese beiden Chefermittler zu ermorden, sondern auch dem italienischen Staat den Krieg zu erklären und die Halbinsel mit Terroranschlägen zu überziehen.
Aufgrund seiner Beteiligung an den Massakern von Capaci und Via D’Amelio, bei denen Giovanni Falcone, seine Frau, Paolo Borsellino sowie viele ihrer Leibwächter ermordet worden waren, wurde Matteo Messina Denaro sowohl in erster Instanz als auch im Berufungsprozess zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Die Urteilsbegründung stützt sich vor allem auf die Teilnahme von ‘U Siccu an einem Treffen hoher Mitglieder der Cosa Nostra in Castelvetrano, bei dem der Beschluss zum Mord an Giovanni Falcone und Paolo Borsellino gefasst wurde. „Es war ein Treffen, bei dem absolutes Schweigen herrschte. Allen war bewusst, dass man auf einen totalen Zusammenstoß mit dem Staat zusteuerte, was den Anfang vom Ende der Cosa Nostra bedeutete“, beschreibt Nino Giuffré die Atmosphäre der Zusammenkunft. Genauso wie ein ehemaliger enger Freund von Matteo, Francesco Geraci, erklärte sich Nino Giuffré mehrere Jahre später dazu bereit, als reuiger Mafioso mit der italienischen Justiz zusammenzuarbeiten.
Matteo Messina Denaro wusste offenbar, dass die Cosa Nostra zur Ermordung von Giovanni Falcone ein ganzes Stück Autobahn in die Luft sprengen würde. „Einmal sagte er mir, ich solle nicht mehr über die Autobahn bis nach Palermo fahren, und riet mir eindringlich dazu, bei Alcamo auszufahren und bis nach Palermo die alte Staatsstraße zu nehmen“, so Francesco Geraci bei seiner Einvernahme während des Mafiaprozesses. Nach dem tödlichen Anschlag auf den Staatsanwalt habe ‘U Siccu ihm lächelnd versichert, dass er nun wieder bis Palermo die Autobahn benutzen könne.
Matteo Messina Denaro wurde am 26. April 1962 in Castelvetrano als zweiter Sohn von Francesco Messina Denaro, „Don Ciccio“, geboren. Offiziell bewirtschaftete „Don Ciccio“ das Landgut der Familie der D’Alì von Trapani, aber in Wirklichkeit war Francesco Messina Denaro als enger Vertrauensmann von Totò Riina der Kopf der Cosa Nostra der Umgebung von Castelvetrano und aller Gegenden bis hinunter ans Meer.
Als Sohn von „Don Ciccio“ wurde Matteo Messina Denaro früh in die Cosa Nostra eingeführt. Bereits mit vierzehn Jahren hielt er eine geladene Pistole in der Hand und er war noch nicht volljährig, als er seine Feuertaufe erlebte und seinen ersten Mord verübte. Als gnadenloser Vollstrecker der Mordbefehle von Totò Riina und seines engeren Kreises wurde auch der Capo di tutti i capi, der Matteo bereits seit Kindstagen kannte, früh auf die Treue und die Fähigkeiten des jungen Mafiosos aufmerksam.
Als Francesco Messina Denaro, „Don Ciccio“, ins Visier der Mafiaermittler geriet und untertauchen musste, war für Matteo die Zeit gekommen, nach der Macht zu greifen. Er übernahm die Rolle seines Vaters, wurde fast über Nacht der Capo seiner Familie und seiner Stadt und stieg im inneren Zirkel der Cosa Nostra zum engen Vertrauten und Ratgeber von Totò Riina auf, bei dem er sich durch seine „kriminelle Intelligenz“, sein strategisches Denken und seine Menschenkenntnis sehr bald großes Ansehen und großen Einfluss erwarb. ‘U Siccu war kaum 30 Jahre alt, als er bereits zu den einflussreichsten Mafiosi Siziliens gehörte.
Der Capo di tutti i capi beschloss Anfang 1992 zunächst, junge aufsteigende Mafiosi wie ihn zusammen mit dem ebenfalls jungen Giuseppe Graviano nach Rom zu schicken, um die Morde an Falcone und den damaligen Justizminister Claudio Martelli sowie missliebigen Journalisten vorzubereiten. Später fasste Totò Riina aber den Entschluss, Giovanni Falcone und Paolo Borsellino in Sizilien zu ermorden, um so dem Staat einen unmissverständlichen Wink mit dem Zaunpfahl zu geben.
Als Riina am 15. Januar 1993 gefasst wurde, kam es innerhalb der Cosa Nostra zu einer ersten Krise. Während Bernardo Provenzano und Giovanni Brusca dazu neigten, die Strategie der Anschläge wegen der zu großen Aufmerksamkeit aufzugeben, wollten Bagarella, die Graviano-Brüder und Messina Denaro die Morde und Massaker fortsetzen, um aus einer Position der Stärke heraus dem Staat die Friedensbedingungen diktieren zu können. Die tödlichen Attentate wurden in den frühen Neunzigerjahren zwar fortgesetzt, aber nach und nach wurden die ranghöchsten Cosa Nostra-Mitglieder verhaftet, bis nur mehr ‘U Siccu in „untergetauchter Freiheit“ übrig blieb.
Der nunmehr „letzte Pate“ war intelligent genug, eine 180-Grad-Wende zu vollziehen und sich fortan auf das „Geschäft“ zu konzentrieren. Er erreichte sein Ziel, dass die Mafia mit Beginn des neuen Jahrtausends weitgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwand. Ob und falls ja von wem er dabei Unterstützung fand, ist seit Jahren Gegenstand heftiger Spekulationen.
Es gelang ihm nicht nur bis vor acht Monaten vom Gesetz unbehelligt in Campobello di Mazara ein fast normales Leben, zu dem auch Liebschaften gehörten, zu führen, sondern durch sogenannte „Pizzini“ – verschlüsselte Botschaften auf einem kleinen Stück Papier, mit denen Mafiabosse ihren Verwandten und Untergebenen Mitteilungen zukommen lassen – kriminelle Geschäfte anzubahnen und Kontakt mit seinen Verwandten und Untergebenen zu halten.
‘U Siccu, der mindestens 50 Morde entweder selbst verübt oder in Auftrag gegeben haben soll, wird in den nächsten Tagen in Castelvetrano beerdigt werden. Seine dunklen Geheimnisse, von denen die bisherigen Ermittlungen und Prozesse nur zum Teil Aufschluss geben konnten, wird er mit in sein Grab nehmen. Um ihn trauern nur seine engsten Freunde und Verwandten, von denen viele selbst im Gefängnis sitzen. Seine Opfer, darunter eine schwangere Frau und mindestens zwei Kinder, hingegen werden ihm nie verzeihen können.