Von: ka
Rom – Der Präsident des Obersten Gesundheitsinstituts ISS (Istituto Superiore di Sanità), Walter Ricciardi, geht mit der Informationspolitik der Verantwortlichen in England hart ins Gericht.
Walter Ricciardi, der auch als Berater des römischen Gesundheitsministeriums tätig ist, wirft England vor, trotz der bereits im September erfolgten Entdeckung der neuen B.1.1.7 getauften „englischen Variante“ des Coronavirus monatelang geschwiegen zu haben. Diese weitaus ansteckendere Mutation des Virus – so Walter Ricciardi – mache nicht nur härtere Corona-Einschränkungen notwendig, sondern bringe auch den für den 7. Januar geplanten Präsenzunterricht in Gefahr.
Walter Ricciardi, der in allen Corona-Fragen die Regierung berät und dem Obersten Gesundheitsinstitut ISS als Präsident vorsteht, gilt unter seinen Kollegen als Freund der unmissverständlichen Worte. Zusammen mit dem Gesundheitsminister Roberto Speranza hat er am letzten Wochenende in den entscheidenden Regierungsberatungen für die Festtage auf strengere Corona-Einschränkungen gepocht, ist aber in den stundenlangen Sitzungen „überstimmt“ worden. Nach der Nachricht von der Entdeckung einer „englischen Variante“ des Coronavirus fühlt er sich in seinen bereits geäußerten Bedenken bestätigt.
„Die Briten haben bereits im September von dieser sich im Umlauf befindenden Variante gewusst. Sie haben geschwiegen und uns nicht gewarnt. Jetzt brauchen wir einen Lockdown oder zumindest sehr strenge Corona-Maßnahmen. Die neue Variante ist zwar nicht tödlicher, verbreitet sich aufgrund seiner höheren Infektiosität aber um 70 bis 80 Prozent schneller. Sie scheint aber nicht die Wirksamkeit der Impfstoffe zu gefährden“, so der Präsident des Obersten Gesundheitsinstituts ISS.
„Unter diesen Bedingungen wird es schwierig sein, am 7. Januar die Schulen wieder zu öffnen. Zu Weihnachten riskieren wir einen neuerlichen Anstieg der Ansteckungskurve. In der Zwischenzeit muss auf europäischer Ebene der gesamte Flugverkehr mit Großbritannien unterbrochen werden. Angesichts dieser neuen Variante befürchte ich, dass strengere Corona-Einschränkungen unvermeidlich sind“, meint Walter Ricciardi.
„Die Zirkulation des Virus ist intensiv und die Zahl der Infizierten bleibt hoch. Die Eindämmungsmaßnahmen müssen länger, einen bis eineinhalb Monate, anhalten. Die große Mehrheit der Italiener hält sich an die Regeln, aber ein Fünftel bis ein Zehntel der Menschen sind immer noch nicht gewillt, ihr Verhalten zu ändern“, so Walter Ricciardi.
Ein angesehener Virologe, Matteo Bassetti, pflichtet Walter Ricciardi bei und fügt hinzu, dass die jahreszeitlich bedingte Kälte, die in Italien in den ersten beiden Monaten des neuen Jahres vorherrschen wird, die Corona-Lage verschlimmern wird.
„Das kalte Wetter, das im Anmarsch ist, wird dem Kampf gegen das Coronavirus nicht dienlich sein. Im Januar und Februar, wenn wir es wahrscheinlich mit einer dritten Corona-Welle zu tun bekommen, werden sich unter SARS-CoV-2 viele andere Viren wie Grippe- und Erkältungsviren mischen. Wir werden in eine komplizierte Lage geraten und man wird sehr vorsichtig sein müssen. Ich hoffe, dass so viele Menschen wie möglich gegen Grippe und Pneumokokken geimpft sind. Das sollte den am meisten gefährdeten Patientengruppen helfen. Ich rate dazu, immer eine Mundnasenschutzmaske zu tragen und sich regelmäßig die Hände zu waschen“, so Matteo Bassetti.
Die Aufregung um die „englische Variante“ des Coronavirus hält der angesehene Virologe aus Genua aber für übertrieben. Matteo Bassetti ist davon überzeugt, dass die Variante B.1.1.7 die Wirksamkeit der Impfstoffe nicht beeinträchtigt.
„Selbst, wenn sie vorhanden ist, betrifft die Mutation nur einen kleinen Teil des viralen Codons. Es handelt sich dabei nur um einen kleinen Teil des Genoms und um einen kleinen Teil des Spike-Proteins. Der Impfstoff richtet sich hingegen gegen ein großes Spike-Protein. Selbst wenn sich also ein kleiner Teil verändert, verändert sich dadurch nicht die tragende Struktur. Der Impfstoff ist wirksam und wird wirksam bleiben. Und selbst wenn es in Zukunft Mutationen geben sollte, können immer noch die Impfstoffe modifiziert werden. Wir müssen uns nicht fürchten“, so die optimistische Meinung des Virologen.
Ob die beiden Experten recht behalten werden, werden die nächsten Monate weisen.