Von: ka
Ivrea – Dutzende von Einschreiben, die den nicht geimpften Empfängern die baldige Suspendierung oder Entlassung ankündigen, sind bereit, verschickt zu werden. Die „Suspendierungswelle“ ist auf ein Urteil des Arbeitsgerichts von Ivrea zurückzuführen, das im Fall einer suspendierten Angestellten eines Altersheimes befand, dass die Entfernung der Impfgegnerin vom Arbeitsplatz rechtmäßig erfolgt war. Die drastische Maßnahme, die von der Frau auf dem Dringlichkeitsweg angefochten worden war, wurde vom Richter des Arbeitsgerichts abgewiesen.
Es ist aber besonders die Urteilsbegründung, die es in sich hat. Der Richter wies darauf hin, dass keine Verletzung der von der Verfassung garantierten Freiheiten vorliege, da das Interesse der Gemeinschaft über dem des Einzelnen stehe. Vor allem aber – so das Arbeitsgericht – stehe dem einzelnen Arbeitnehmer immer noch die Möglichkeit offen, den Impfstoff zu verweigern, wenn auch mit den entsprechenden Folgen für die Arbeitsbedingungen. Im Falle der Verweigerung ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem ungeimpften Arbeitnehmer – immer sofern verfügbar – eine risikofreie Arbeit zuzuweisen. Aus Sicht des Gerichts geht es eindeutig um einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen Rechten und Interessen.
Natürlich hat die Altenpflegerin nun 15 Tage Zeit, in die Berufung zu gehen. Allerdings gilt das Urteil des Arbeitsgerichts von Ivrea unter Rechtsexperten als wegweisend. Den Anwälten des Arbeitgebers zufolge wären mit Blick auf die Urteilsbegründung jedoch nicht nur Suspendierungen von der Arbeit, sondern auch Entlassungen „aus triftigem Grund“ rechtmäßig. Viele Betreiber von Altersheimen, die bisher unentschlossen waren, könnten nun entscheiden, Ungeimpfte nach Hause zu schicken.
Der Fall nahm seinen Anfang, nachdem das Altersheim die Genossenschaft, die die öffentliche Auftragsvergabe gewonnen hatte, dazu aufgefordert hatte, dafür zu sorgen, dass alle Arbeitnehmer gemäß dem Gesetzesdekret, das die Impfpflicht vorschreibt, „für die ihnen anvertrauten Aufgaben geeignet sind“. Als es sich herausstellte, dass die Mitarbeiterin weder eine Dosis erhalten hatte noch für einen Impftermin vorgemerkt war, wurde sie am 11. April mit sofortiger Wirkung beurlaubt.
Am 14. April forderte die Frau ihren Arbeitgeber schriftlich dazu auf, sie wieder zur Arbeit zuzulassen. Die Altenpflegerin begründete ihre Forderung „mit dem experimentellen Charakter der Impfstoffe und der fehlenden Zuständigkeit des Arbeitgebers, Maßnahmen wie eine Suspendierung von der Arbeit zu ergreifen“. Zudem berief sich die Impfgegnerin auf das im Europarat verankerte Diskriminierungsverbot. Das Schreiben blieb aber ohne Folgen. Die Angestellte wurde gemäß dem Gesetzesdekret am 21. April ohne Gehalt von der Arbeit suspendiert.
Der später auf dem Dringlichkeitswege eingebrachte Rekurs wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Der Richter lehnte den Eilantrag ab und erkannte die Impfpflicht für die Frau, die keine medizinisch begründeten Ausnahmen geltend gemacht hatte, die eine Befreiung ermöglicht hätten, an. Auch das Argument der Impfgegnerin, dass es sich um „experimentelle Vakzine“ handle, wurde vom Richter mit der Begründung, dass „alle verfügbaren Impfstoffe von den zuständigen Aufsichtsbehörden – den Arzneimittel-Agenturen EMA und AIFA – zugelassen sind und auf der Grundlage der anerkanntesten Studien zur Vorbeugung und gegen einen schweren Verlauf von Covid-19 als wirksam angesehen werden“, zurückgewiesen.
Der Richter fügte hinzu, dass „die Suspendierung von der Arbeit eine unmittelbare Folge des Gesetzes ist und der Arbeitgeber sicherlich dazu befugt ist, den Arbeitnehmer von risikoreichen Aufgaben zu suspendieren. Um die Gesundheit und körperliche Unversehrtheit aller Mitarbeiter und zu schützen, ist der Arbeitgeber sogar dazu verpflichtet. Da die Klägerin in einem Altersheim – die Altersheime waren von der Pandemie besonders betroffen – tätig ist und sie dort Personen pflegt und betreut, die nach den Notfallverordnungen als besonders gefährdet gelten, gilt dies umso mehr für den vorliegenden Fall. Im vorliegenden Fall steht im Übrigen fest, dass die Klägerin nicht mit anderen Aufgaben betraut werden konnte“.
Das Urteil des Arbeitsgerichts von Ivrea gesellt sich zu Urteilen, die in ähnlich gelagerten Fällen bereits von anderen Gerichten gefällt wurden. Auch laut einem Gericht in Modena, das europäisches und italienisches Recht zitiert, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, der sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen will, ohne Gehalt vom Dienst suspendieren. „Der Arbeitgeber ist der Garant für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer und Dritter im Unternehmen“, so die Richter in ihrer Urteilsbegründung. Auf den Richterspruch von Modena angesprochen, erklärt der bekannte Arbeitsrechtler Pietro Ichino, dass die Impfpflicht am Arbeitsplatz bereits heute „gängige Rechtsprechung“ sei.