Von: ka
Turin – Ein aufsehenerregendes, von vielen als zu hart empfundenes Gerichtsurteil erregt die italienische Öffentlichkeit. Das Arbeitsgericht von Turin bestätigte die Entlassung einer Angestellten, die für ihren achtjährigen Sohn einen weggeworfenen Kinderroller an sich genommen hatte. Laut Ansicht des Richters handelte es sich dabei rechtlich um einen „Diebstahl“. Die „Entlassung sei zwar ungerecht, sie bleibe aber bestehen“, so die Begründung des Arbeitsgerichts.
Die Geschichte begann im letzten Jahr, als die Verantwortlichen des Müllentsorgungsunternehmens Cidiu Servizi im Wagen der Angestellten Elisabeth Aicha Ounnadi einen weggeworfenen Kinderroller entdeckten, der eigentlich für das Recycling bestimmt war. Der Roller, der als Geburtstagsgeschenk für den jüngsten Sohn der dreifachen Mutter gedacht war, stammte aus dem Müll. Ounnadi behauptete immer, dass sie den Roller nicht gestohlen habe und dass er ihr von einer Kollegin gebracht worden sei. Ihr Arbeitgeber war anderer Ansicht und entließ die Frau wegen „Diebstahls“. Aber Elisabeth Aicha Ounnadi, die seit Juni letzten Jahres ohne Gehalt dasteht, gab nicht auf. Sie wollte um ihren Arbeitsplatz kämpfen und focht vor dem zuständigen Arbeitsgericht von Turin die Entlassung an. Zudem forderte sie einen Schadenersatz. Das Verfahren, das im Oktober 2017 begonnen hatte, wurde am 26. Februar abgeschlossen. Am Mittwochnachmittag erging schließlich das Urteil, welches trotz der Zubilligung eines Schadenersatzes für die dreifache Mutter einen harten Schlag bedeutet.
Die Kündigung sei nicht aus einem berechtigten Grund erfolgt, weil laut Ansicht des Gerichts die Entlassung in diesem Fall eine „übertriebene Maßnahme“ darstelle. Dennoch bleibe der vom Arbeitgeber eingeschlagene Weg gültig, weil laut dem staatlichen Kollektivvertrag für diesen Bereich das Verhalten der Angestellten auch die Eventualität eines Diebstahls beinhalte, so der Richter. Laut dem Urteil des Arbeitsgerichts bleibt die Kündigung rechtens. Während das Arbeitsgericht aber die Forderung nach Rückkehr zum Arbeitsplatz abschmetterte, gab es der Forderung nach einen Schadenersatz statt. Die Cidiu Servizi wurde zu einer Zahlung einer Abfindung in Form von 18 Monatsgehältern verurteilt.
„Ich bin ruiniert“, so der erste Kommentar von Elisabeth Aicha Ounnadi. Sie und ihre beiden Anwälte überlegen derzeit, ob sie nicht in Berufung gehen sollen.
Der „Fall Ounnadi“ sorgte im letzten Jahr für viele Kontroversen und sogar für eine offizielle Anfrage im italienischen Parlament. In der italienischen Öffentlichkeit und im Netz gilt das nun ergangene Urteil als zu hart. Allein schon wegen des geringen „Werts“ des weggeworfenen Rollers sowie wegen der Zweifelhaftigkeit, ob es sich überhaupt je um einen Diebstahl im eigentlichen Sinne handelt, wird von Kommentatoren das Urteil als viel zu streng empfunden.
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