Von: ka
Pavone Canavese – Fünf Jahre nach der Tat wurde der damals 67-jährige Marcellino Franco Iachi Bonvin von einem Gericht in Ivrea bei Turin im Rahmen eines verkürzten Verfahrens zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Die Richterin Valeria Rey sah es als erwiesen an, dass der Inhaber eines Tabakwarengeschäfts in der Nacht vom 6. auf den 7. Juni 2019 nicht in Notwehr gehandelt, sondern den Einbrecher – den 24-jährigen Moldawier Ion Stavila – vom Balkon aus von hinten erschossen hatte. Da die Richterin Marcellino Franco Iachi Bonvin verschiedene mildernde Umstände zugestand, fiel das Urteil wesentlich milder aus als die von der Staatsanwältin Valentina Bossi geforderten zwölf Jahre Haft. Der heute 72-jährige Trafikant, dessen Tabakwarengeschäft mittlerweile seine Kinder führen, ist vom Urteil dennoch enttäuscht. „Ich bin enttäuscht, weil ich mir einen Freispruch erhofft habe, ich habe mich nur verteidigt“, so Marcellino Franco Iachi Bonvin nach der Urteilsverkündung.
Die Kontroverse, ob Marcellino Franco Iachi Bonvin in der Nacht vom 6. auf den 7. Juni 2019 in Notwehr gehandelt oder ob er den Einbrecher – den 24-jährigen Moldawier Ion Stavila – einfach erschossen hatte, bewegte vor fünf Jahren wochenlang die italienische Öffentlichkeit. Marcellino Franco Iachi Bonvin sagte aus, dass es zwischen ihm und den von ihm überraschten Einbrechern zuerst zu einem heftigen Streit und dann zu einem Handgemenge gekommen wäre, in dessen Verlauf er seine Pistole gezogen und den 24-jährigen Kriminellen in Notwehr erschossen hätte.
Die Ermittler hegten aber von Anfang an den Verdacht, dass der versuchte Einbruch ganz anders abgelaufen war. Die Ergebnisse der Autopsie bestätigten ihre Vermutung. Dem Gerichtsmediziner zufolge war Stavila von hinten und schief von oben erschossen worden. Die Kugel, die ihn getötet hatte, war in die Schulter eingedrungen, hatte den Herzmuskel durchschlagen und war in der Brust wieder ausgetreten. Der 24-jährige Moldawier war vom Projektil getroffen worden, als er sich auf dem Gehsteig aufgehalten hatte. Laut dieser Rekonstruktion war der 67-Jährige nie hinunter auf die Straße vor seine Tabaktrafik gegangen. Der vermutlich flüchtende Einbrecher war dieser Hypothese zufolge von Franco Iachi aus relativ großer Distanz von hinten und von oben vom Balkon im zweiten Stock aus erschossen worden.
Aus der Sicht des heute 72-jährigen Täters, dem zunächst nur fahrlässige Überschreitung der Notwehr zur Last gelegt wurde, war dieses Ermittlungsergebnis besonders heikel. Da laut dieser Rekonstruktion des Tathergangs sowohl für ihn selbst als auch für seine Familie keine Gefahr mehr bestanden und sich das Opfer nach dem missglückten Einbruch bereits auf der Flucht befunden hatte, konnte die Handlungsweise des Inhabers des Tabakwarengeschäfts in Pavone Canavese kaum mehr als Notwehr oder fahrlässige Überschreitung der Notwehr angesehen werden.
Da es sich um den ersten Fall nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Selbstverteidigung handelte, das die geltenden Möglichkeiten einer berechtigten Verteidigung vor einem Angriff ausgeweitet hatte, sorgte der Fall von Pavone Canavese sofort italienweit für Schlagzeilen.
Das neue Gesetz, das bis heute in Kraft ist, sieht als wichtige Änderung gegenüber der alten Regelung vor, dass die Verhältnismäßigkeit zwischen Angriff und Verteidigung bei einem Angriff in der Wohnung oder am Arbeitsplatz immer gegeben ist. Indem sie die Strafbarkeit von Personen ausschließt, die sich in einem Zustand verminderter Verteidigungsbereitschaft oder schwerer Verwirrung befinden, wurde im Rahmen der Reform zudem die schuldhafte Überschreitung der Notwehr abgeändert.
Da der Rekonstruktion zufolge der Pistolenschütze vom Balkon seines Hauses auf die flüchtenden Einbrecher geschossen hatte – sie also weder für ihn noch für seine Angehörigen eine Gefahr mehr dargestellt hatten – waren im Fall des 67-jährigen Marcellino Franco Iachi Bonvin diese beiden Grundsätze nicht anwendbar. Der Gebrauch der Schusswaffe war daher nicht mit dem geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.
Mit Blick auf die Ermittlungsergebnisse folgte das Gericht im Wesentlichen der Darstellung der Staatsanwältin und verurteilte Marcellino Franco Iachi Bonvin zu fünf Jahren Haft. „Ich bin enttäuscht, weil ich mir einen Freispruch erhofft habe, ich habe mich nur verteidigt“, so Marcellino Franco Iachi Bonvin nach der Urteilsverkündung. Seine Verteidiger kündigten an, in Berufung gehen zu wollen.
Wie vor fünf Jahren, als dem 67-Jährigen eine Welle der Solidarität entgegenschlug, dürfte auch dieses Urteil für heftige Diskussionen sorgen. Die Kritiker des Richterspruchs von Ivrea mögen zwar auf das gesetzlose Handeln des Kriminellen verweisen, aber einen flüchtenden Einbrecher aus großer Distanz vom Balkon aus von hinten zu erschießen, hat selbst bei großzügigster Auslegung des Rechts auf Selbstverteidigung mit Notwehr nichts mehr zu tun.