Gerichtsurteil sorgt für heftige Diskussionen

Frau als Mann geboren: Antrag auf Annullierung der Ehe zurückgewiesen

Dienstag, 29. Oktober 2024 | 07:55 Uhr

Von: ka

Livorno – Ein Richterspruch, der von einem Gericht in Livorno in der Toskana gefällt wurde, sorgt in Italien für heftige Diskussionen. Als ein Mann nach 18 Jahren Ehe während seines Scheidungsverfahrens erfuhr, dass seine Frau als Mann geboren worden war, reichte er einen Antrag auf Annullierung der Ehe ein. Das mit dem Fall betraute Gericht von Livorno wies seinen Antrag jedoch zurück. Nach Ansicht der Richter ist die Unkenntnis des ursprünglichen Geschlechts des Ehegatten “nicht mit einem Irrtum über die Identität oder die Eigenschaften der Person gleichzusetzen”.

APA/APA (dpa/Symbolbild)/Patrick Pleul

Nachdem der Antragsteller nach 18 Jahren Ehe erfahren hatte, dass seine Ehefrau als Mann geboren worden war und eine Geschlechtsumwandlung vollzogen hatte, beantragte er beim Gericht von Livorno die Annullierung des Ehevertrags. Dabei berief sich der Anwalt des Mannes auf den Artikel 122 des italienischen Zivilgesetzbuchs, der genau jene Fälle regelt, in denen ein Richter das Eheband wegen “Zwang oder Irrtum” auflösen kann.

“Ebenso kann die Ehe von jenem Ehegatten angefochten werden, dessen Einwilligung infolge eines Irrtums über die Identität der Person oder eines wesentlichen Irrtums über persönliche Eigenschaften des anderen Ehegatten abgegeben wurde”, heißt es unter anderem in der deutschen Fassung des Gesetzestextes.

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Nach reiflicher Überlegung hatten der Mann und die Frau beschlossen, ihre Ehe, die 18 Jahre lang, vom Jahr 2003 bis 2021 gehalten hatte, einvernehmlich zu lösen. Da die Frau keine Kinder bekommen konnte, hatten sie während ihrer ehelichen Beziehung auch darüber nachgedacht, ein Kind zu adoptieren, was von ihnen aber nie in die Tat umgesetzt worden war. Nach der Darstellung des Mannes, an der er auch vor den Richtern festhielt, habe ihm seine Frau von einer Krankheit berichtet, in deren Folge ihr die Gebärmutter entfernt worden sei. Er beschuldigte seine Frau, ihm die erfolgte Geschlechtsumwandlung verheimlicht zu haben.

Die Frau wies diese Anschuldigung zurück und beteuerte vor Gericht, dass sie mit ihrem Ehemann bereits lange vor ihrer Heirat und schon zu Beginn ihrer Liebesbeziehung über ihre mehrere Jahre zurückliegende Geschlechtsumwandlung gesprochen habe. Ihrer Ansicht nach sei ihr Mann über das Verfahren zur Geschlechtsangleichung umfassend informiert gewesen.

Das Gericht beschäftigte sich mit den beiden widersprüchlichen Aussagen und kam während des Verfahrens zum Schluss, dass die Frau dem Mann tatsächlich nicht die volle und ganze Wahrheit erzählt habe. Im selben Atemzug gelangten die Richter jedoch auch zur Überzeugung, dass der Mann es vorgezogen habe, den “vollständigen Grund”, warum seine Frau keine Kinder bekommen konnte, nicht zu erfahren, obwohl sie ihm bei einer Gelegenheit ihre Bereitschaft bekundet habe, ihm die “ganze Wahrheit” zu sagen.

APA/APA (Archiv/Pfarrhofer)/HERBERT PFARRHOFER

In der Tat hatte die Ehefrau bereits im Jahr 1992 ihre Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau vollzogen. Im Rahmen des Gerichtsverfahrens stellte sich heraus, dass die beiden miteinander nie ausführlich bestimmte sehr heikle und intime Fragen besprochen hatten. Seiner Aussage zufolge habe er von der Tatsache, dass sie als Mann zur Welt gekommen war, erst vor zwei Jahren erfahren, als im Verlauf des Trennungsverfahrens alle Hypotheken- und Katastereinträge überprüft wurden. Daraufhin wandte er sich an einen Anwalt, um beim Gericht die Annullierung der Ehe anstelle der Scheidung zu beantragen.

Er behauptete, er sei gerade durch das Verschweigen der Geschlechtsumwandlung durch seine Frau in die Irre geführt worden und hätte der Heirat nicht zugestimmt, wenn er es früher gewusst hätte. Die Richter sahen das jedoch anders. “Selbst wenn man diese Unkenntnis als Irrtum ansehen würde, muss der Antrag dennoch zurückgewiesen werden”. Ein solches Versäumnis, so das Gericht in Livorno, “kann weder als Irrtum über die Identität der Person noch als wesentlicher Irrtum über die persönlichen Eigenschaften des anderen Ehegatten gewertet werden”, sodass keine Annullierung möglich ist. Nach Ansicht des Gerichts ist die Unkenntnis des ursprünglichen Geschlechts des Ehegatten daher “nicht mit einem Irrtum über die Identität oder die Eigenschaften der Person gleichzusetzen”.

APA/APA (Schlager)/ROLAND SCHLAGER

Die Richter verfügten daher, dass die Auflösung der Ehe im Rahmen eines normalen Scheidungsverfahrens erfolgen müsse. Dieses Verfahren war von den Eheleuten bereits vor drei Jahren eingeleitet worden. Das von den Richtern Gianmarco Marinai, Azzurra Fodra und Nicoletta Marino Giudice des Gerichts von Livorno unterzeichnete Urteil wurde auch in das Internetarchiv der italienischen Beobachtungsstelle für Familienrecht aufgenommen.

Wie ähnliche Richtersprüche, die das Familienrecht betreffen, löste auch der Richterspruch von Livorno heftige Diskussionen aus.

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