Von: mk
Rom – Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat sich offenbar die Richterschaft in Italien zum Feind gemacht. Wie die Zeitung „Il Tempo“ exklusiv berichtete, gab es erst kürzlich einen brisanten Mailwechsel zwischen Vertretern der Justiz. Teile des Inhalts hat Meloni anschließend in einem Tweet aufgegriffen und selbst auf der Plattform X veröffentlicht.
Demnach hat der stellvertretende Staatsanwalt am Kassationsgericht, Marco Patarnello, in der E-Mail geschrieben, dass er Meloni heute für eine größere Gefahr halte, als es Silvio Berlusconi zu seiner Zeit als Ministerpräsident gewesen sei. „Meloni hat keine laufenden Gerichtsverfahren, die sie belasten. Sie handelt daher nicht aus persönlichen Interessen, sondern aus politischen Überzeugungen. Das macht sie nicht nur stärker, sondern auch gefährlicher“, heißt es wörtlich in dem Text.
“Meloni non ha inchieste giudiziarie a suo carico e quindi non si muove per interessi personali ma per visioni politiche e questo la rende molto più forte, e anche molto più pericolosa la sua azione (…)”. Così un esponente di Magistratura democratica. pic.twitter.com/p2oeaXuvGF
— Giorgia Meloni (@GiorgiaMeloni) October 20, 2024
Weil sie keine Leichen im Keller hat, ist Meloni nicht erpressbar, sol der Tenor der Botschaft. “Meloni ist heute eine größere Gefahr als Berlusconi. Wir brauchen ein Gegenmittel”, titelte die Zeitung “Il Tempo”. Patarnello hat die E-Mail einer Reihe von Richtern geschickt, die sich offen zum linken Parteienspektrum Italiens bekennen. Die Richter befürchten ihrerseits einen Angriff auf die Gerichtsbarkeit in Italien unter der Rechtsregierung von Meloni.
Pikantes Detail: Die Nachricht ist zum selben Zeitpunkt angekommen, als der PD, die Fünf-Sterne-Bewegung sowie Alleanza Verdi e Sinistra im EU-Parlament eine Anfrage stellten und verlangten, dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Rom wegen des Migrationsabkommens mit Albanien in die Wege leitet.
Umstrittenes Abkommen mit Albanien
Im vergangenen Jahr hatten Italiens Rechtsregierung und Albanien ein Abkommen unterzeichnet, das die Einrichtung von Flüchtlingszentren vorsieht. Dort will Rom exterritorial einige Asylanträge im Schnellverfahren prüfen und Abschiebungen schneller abwickeln. Diejenigen, die Anspruch auf Asyl haben, werden nach Italien überstellt, diejenigen, die keinen Anspruch haben, werden nach ihrem Aufenthalt in Albanien in die Heimat zurückgeschickt.
Das Projekt ist umstritten. Menschenrechtsgruppen kritisieren die haftähnlichen Bedingungen für die Menschen dort. Es wird zudem die Rechtmäßigkeit des Vorhabens infrage gestellt.
Ein Gericht in Rom hat erst kürzlich die Internierung von derzeit zwölf im italienischen Migrationszentrum in Gjadër in Albanien untergebrachten Asylwerbern abgelehnt. Sie gehören zu den 16 Migranten (zehn aus Bangladesch und sechs aus Ägypten), die zuvor mit dem Schiff “Libra” der italienischen Marine nach Albanien gebracht wurden.
Der Entscheidung der Richter liegt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) von Anfang Oktober dieses Jahres zugrunde. In diesem wird festgehalten, dass ein EU-Land einen Drittstaat im Asylrecht nur als sicheres Herkunftsland definieren kann, wenn die Bedingungen dafür im gesamten Hoheitsgebiet des Staates erfüllt sind, so der Europäische Gerichtshof. Der Beschluss des Gerichts in Rom stellt die Grundlage des gesamten albanischen Plans, für den die Regierung von Premierministerin Giorgia Meloni über fünf Jahre hinweg mehr als 600 Millionen ausgeben will, ernsthaft in Frage.
Italien ist eines der Länder, die von der Fluchtbewegung aus Afrika nach Europa übers Mittelmeer besonders betroffen sind. Vor allem vergangenes Jahr waren die Zahlen hoch: Annähernd 160.000 Migranten erreichten Italiens Küsten auf Booten. Zurzeit kommen zwar weniger als halb so viele Menschen an als vor einem Jahr. Dennoch machen sich weiterhin Zehntausende mit oft kaum seetüchtigen Booten auf den Weg. Das italienische Experiment wird von anderen EU-Staaten aufmerksam verfolgt.
Politische Reaktionen
Die politischen Reaktionen auf das veröffentlichte Mail zwischen den Richtern ließen nicht lange auf sich warten. Unmut herrscht vor allem bei Fratelli d’Italia. Die E-Mail sei die Bestätigung einer politisierten Justiz, die darum bemüht sei, sich den Handlungen der Ministerpräsidentin und ihrer Regierung entgegen zustellen, erklärte Senator Raffaele Speranzon in einer ersten Stellungnahme. Ihm zufolge seien die Passagen erschütternd, in denen die Rechtschaffenheit und die Ehrlichkeit der Ministerpräsidentin als Problem anstatt als Verdienst angesehen würden. Er will beim Justizministerium eine Anfrage einreichen und fordert eine Klärung der Angelegenheit.
Tommaso Foti, der Gruppensprecher von Fratelli d’Italia in der Abgeordnetenkammer, wirft einem Teil der Richterschaft vor, „ins Feld der Politik vorzudringen“, anstatt die gebührende Neutralität zu wahren.
Maurizio Gasparri, FdI-Gruppensprecher im Senat, wandte sich hingegen öffentlich an den Obersten Richterrat und an Staatspräsident Sergio Mattarella und wollte wissen, „ob so ein Verhalten von einem Exponenten des Kassationsgerichts überhaupt tolerierbar ist“.
Die Lega rund um Verkehrsminister Matteo Salvini hat zu Demonstrationen gegen die Justiz aufgerufen. Am 14. und 15. Dezember soll demnach in ganz Italien gegen Richter protestiert werden. Salvini zufolge seien viele Richter in Italien politisch voreingenommen.
Wenige Tage nach dem geplanten Protest wird zudem das Urteil in der Open-Arms-Affäre erwartet. Salvini ist in dem Verfahren wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch angeklagt. Dem Lega-Chef wird vorgeworfen, in seiner Zeit als Innenminister 2019 das Schiff einer spanischen Hilfsorganisation “Open Arms” mit 147 Migranten an wochenlang am Einlaufen in einen Hafen gehindert zu haben.
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